Optische Täuschung

[17] Schwankt dort in der Ferne nicht

Leis im Wind ein roter Mohn –

Oder täuscht mich mein Gesicht?

Aber näher kommt es schon,

Und es ist kein roter Mohn.[18]


Bauernrosenriesige Blüte

Naht es, und der Herr behüte

Gnädig uns vor allem Bösen!

Wenn sich erst die Blumen lösen,

Einzeln durch die Welt zu rennen,

Muß der Teufel mit im Bund sein.


Doch wie konnt ichs nur verkennen.

Was könnt auch so rot und rund sein?

Meine liebe, hübsche, runde,

Morgenfrische, kerngesunde

Kleine ist es, mit dem strammen

Schritt, mein tapfrer Füselier.


Wie die drallen Wangen flammen!

Aber röter flammt die Zier

Über ihrem Sommerhut

Mit dem zarten Federlila.

Wär ein Stier ich zu Sevilla,

Ich geriet in große Wut

Vor dem Sonnenschirm, dem roten,

Den sie schultert, wie der Krieger

Sein gefährlich Schießgewehr:

Wollt ihr was, so kommt nur her.


Jede Wut ist hier verboten,

Denn ich wär der Unterlieger,

Wenn ich wild, wie zu Sevilla,

Auf den Bandiller der Stier,

Stürzte auf den Füselier

Mit der Feder zart und lila

Auf dem neuen Sommerhut,

Und dem Schirm, so rot wie Blut.


Und ich hab doch sonst wohl Mut.

Aber hier geht er verloren.

Kalte, scharfe Blicke bohren

Tapfer drohend sich in meine,

Und es schwenkt dabei die Kleine,[19]

Diese liebe, hübsche, runde,

Morgenfrische, kerngesunde

Mit der unbeschirmten Rechten;

Alles ist so klar zum Fechten,

Daß ich klug zur Seite weiche.


Und der bauernrosengleiche

Schirm entwandelt, schrumpft zusammen

Und verzwergt sich, bis sein Flammen

Wieder aus der Ferne scheint,

Daß man einen Mohn vermeint

Auf bewegtem Halm zu sehn,

Einen Mohn im Sommerwehn.


Quelle:
Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte. Hamburg 1908, S. 17-20.
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