Gesang der Muscheln

[63] Hier auf deinem Fensterbrette

Durcheinander hingetan,

Träumen wir vom Wiegenbette,

Träumen wir vom Ozean.


Unter Algen, unter Moosen,

Tief im Wald von Silbertang,

Lebten einen sehnsuchtslosen

Tag wir, tausend Jahre lang.


Oben die kristallne Wandung,

Die uns von dem Himmel trennt,

Und im Ohr den Ruf der Brandung,

Die den Klippenwall berennt.


Dunkle Purpurrosen blühten

Aus der Finsternis umher,

Tausend Augen blitzten, glühten

Gleich Demanten rings im Meer.


Und nun liegen wir und glänzen

Hier auf deinem Fensterbrett,

Deine grellen Blumen kränzen

Unser hartes Totenbett.


Und in deinen Händen fühlen

Wir dein heißes Blut mit Scham.

Ach, als noch in ihre kühlen

Finger uns die Nixe nahm![63]


Ihre Silberflossen glitten

Leise unsern Leib entlang,

Und wir zitterten und litten,

Lauschten ihrem Ferngesang.


Tauche du nur einmal nieder,

Wo das Dunkel purpurn scheint,

Schenktest uns der Welle wieder,

Die um ihre Kinder weint.


Quelle:
Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte. Hamburg 1908, S. 63-64.
Lizenz:
Kategorien: