IV

[73] Präzise sieben Uhr saß ich in der Weißbierstube und erwartete das Pärchen.

Ich war schlechter Laune. Der Eigentumserwerb des Finders machte mir von Tag zu Tag weniger Freude. Ich fing an Sozialist zu werden und überhaupt jeden Eigentumserwerb zu perhorreszieren..

Und dann diese Berliner Weiße, die ich auf den Tod nicht leiden konnte, die für mich der Inbegriff, das Symbol des spezifisch berlinischen Stumpfsinns war.. Die Ungemütlichkeit, die Nüchternheit dieses traurigen Stoffs teilt sich ordentlich den Lokalen mit, in denen es geschenkt wird!

Und dieses elende Gesöff hatte mein Vetter als das richtige Getränk für eine junge Liebe erklärt.. Pfui Teufel! Ein toller Sensualist, mein Vetter! –

Da waren sie.

Lore verließ seinen Arm und flog auf mich zu. Wir drückten uns warm die Hand, wir freuten uns ehrlich.. Ich dachte in den ersten Augenblicken gar nicht daran, wie sie angezogen war, die liebe Lore.

Erst als ich meinen Vetter begrüßte und dessen trockenernste Mienen sah, fiel es mir wieder ein, das mit dem vertrackten Knopf, und ich musterte sie.

– Setz dich dorthin, Berta.

Er nannte sie Berta, der Esel! In diesem[74] Augenblick hatte ich eine wahre Wut auf ihn. Die Lore mit ihrem wirklichen Namen zu nennen, welche Profanation, welche Roheit!

Sie hatte die Matrosentaille an. Ach, wie hübsch sie war! Und gerade vorn vor der Brust – – hatte sie drei zarte weiße Rosen vorgesteckt. Es sah das sehr nett aus, sehr nett..

Das fröhlichste Lächeln in dem freundlichen, ulkigen Gesichtchen.. Armes Kind, dacht ich, hätt ich ihr doch im Laufe des Nachmittags telegraphiert oder eine Rohrpostkarte geschickt, daß sie sich nur auf alle Fälle den albernen Knopf annähen möchte! So ahnungslos in ihr Verderben zu rennen, in diese ganz verdammte Falle – gräßlich! Wenn ihm wirklich so wahnsinnig viel daran lag, zum Teufel, warum nähte er ihn denn da nicht selber an, statt sich und ihr und mir das Leben schwer zu machen! Verrückt! Aber vielleicht, wer weiß, es war doch noch gar nicht gesagt..


Noch ist die schöne, goldene Zeit,

Noch sind die Tage der Rosen..


Während ich mit ihr plauderte, verwandte der Vetter kein Auge von dem Rosenbukett an ihrer Brust. Er scheute sich doch, den letzten Schritt zu tun. Er besaß doch nicht den traurigen Mut, mit eigener rauher Hand diese zarte Rosenlüge..

Abscheulicher Gedanke! –

Er war äußerst nervös erregt und trommelte an seiner Weißen herum.

– Sag mal, Berta – unterbrach er uns –[75] hast du die Rosen nicht meinem Vetter mitgebracht?

– Nein – sagte sie lachend – das verlangt der nicht. Wie?

– Nein, gewiß nicht, gewiß nicht! – rief ich ängstlich.

– Wo hast du sie denn her! – fragte der entmenschte Vetter weiter – darf ich mal riechen?

– Nein, nein. Du zerdrückst sie mir. Wie ich nämlich vorhin über die Linden ging, fuhr ein hochfeiner, offenbar fürstlicher Wagen vorbei und ein Herr, der raussah – grüßte mich und warf mir blitzschnell die Rosen zu. Fort war er. Ich konnte aber doch noch sehen, wie die Dame an seiner Seite ganz bleich wurde.

– Ach was! Das ist ja interessant! Wer mag denn das gewesen sein?

– Tja! Im ersten Moment dacht ich, es wär der kleine Protziwill, wie wir ihn nennen – aber wie ich das Wappen sah – ich müßte mich sehr irren – nein –: es war sicher der König von Portugal! Sicher! Aber ich bitte die Herren, nicht darüber zu sprechen, ich möchte nicht, daß die Sache an die große Glocke gehängt würde.

– Nein, nein. Das würden wir ja schon im Interesse der armen Königin nicht tun.

Jetzt wagte der Vetter eine neue Attacke:

– Aber, sieh mal, Berta – sagte er – das sind nun gerade drei Rosen, und wir sind auch gerade drei. Möchtest du nicht jeden von uns[76] beiden zum Glückseligsten der Sterblichen machen, indem du jedem eine abgibst?

– Mein lieber Freund! Erstens, wie gesagt, hab ich diese Rosen selber geschenkt bekommen – sozusagen von hoher Stelle. Zweitens dürfte es dir wohl bekannt sein, daß, in der guten Gesellschaft wenigstens, nur die Herren den Damen Blumen mitzubringen pflegen. Das Umgekehrte ist nicht üblich.

Der Vetter war um eine Kenntnis in Sachen des guten Tones reicher und schwieg betroffen.

Ich hoffte schon, daß die Gefahr nun gebannt sei und setzte in möglichst harmlosem Tone das Gespräch mit Lore fort.

Aber da nahte das Unheil!

Ein hausierender Blumenhändler trat in das Lokal. Mein Vetter winkte ihn eifrig heran und kaufte drei prachtvolle Marschall-Nielrosen. Unser Gespräch stockte. Ich ahnte die Katastrophe ...

– Mein liebes Kind – sagte mein Vetter sehr höflich zur Lore – gestatte mir, daß ich, deiner guten Belehrung folgend, dir diese Rosen zu Füßen lege.. Halt! Ich möchte eine Bitte daran knüpfen: tauschen wir! Schenk du mir die portugiesischen, ja? Bitte! Wenn das auch in der Gesellschaft nicht ganz üblich ist, so denke, daß wir ja hier in einer Weißbierstube sitzen, und daß es niemand erfährt ...

Es trat eine Pause ein. In Lores Zügen ging eine Veränderung vor. Das freudige, lustige Lächeln verschwand, der dumme und freche[77] Trotz eines verprügelten Jungen erschien. Mit einer häßlichen, eckigen Gebärde riß sie die drei kleinen Rosen von ihrer Brust, warf sie auf den Boden und rief:

– Da! Du willst ja doch bloß wissen, ob ick mir den Knopf angenäht habe – da!

Zum ersten Male hörte ich, wie sie ick statt ich sagte. Es ging mir durch und durch. – Und auch sonst: ihre Stimme klang plötzlich so roh, so brutal, daß ich erschrak und ein lebhaftes Schmerzgefühl empfand. Armes Kind!

Der Knopf, der zweite von oben, fehlte nach wie vor.

Wir schwiegen alle drei, sehr beklommen. Es trat eine peinlich lange Pause ein. Dann rief mein Vetter den Kellner, wir zahlten. –

Als wir Abschied nahmen und die Lore, die ein Lächeln erzwingen wollte, sah, daß ich traurig war und mich nicht, wie sie wohl vermutete, über die Sache mokierte, glaubte ich zu bemerken, daß ihr ein paar Tränen in die Augen traten. Sie wandte sich schnell ab und nahm den Arm des Vetters.

Ich ging in tiefer Mißstimmung heim.

– Armes Kind! Aber warum näht sie sich auch den Knopf nicht an!

Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Berlin 1913, S. 73-78.
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