Erster Akt.

[7] Wenn der Vorhang aufgeht, sieht man in Tiefdunkel. Man hört draußen die Elemente brausen und heulen und orgeln. Und als wenn der Wind dazwischen noch extra auf einem Fensterloche pfiffe, mischt sich darein eine feine, schneidende, verlockend süße Geigenmelodie.

Aus dem Tiefdunkel taucht die Beine übereinander geschlagen, gegen ein Fensterkreuz sitzend, die Gestalt des Motz Gothla auf, im grünen, napoleonischen Gardefrack mit goldenen Knöpfen, das weite Hemd offen, die Lederhosen an den Fußgelenken zugebunden, hochrote, gestrickte Pantoffeln an den Knochenfüßen, hängendes, volles, schneeweißes Lockenhaar um den breiten, grundgütigen Totenkopf. Er spielt lächelnd auf seiner Geige die Totentanzmelodie.

Zu seiner Totentanzmelodie, wie ein Schemen schwebend, tanzt ein Paar herein. Ein ganz junges Ding von Dorfmädchen, die kaum sechzehnjährige Rapunzel, im Arm eines schlanken Mannes mit schlichthängendem, leicht ergrauten Braunhaar, des Johannes Habundus. Der Mann in faltigem, braunem Habit mit schwarzem Gürtel und mit schwarzen Passepoilen, die weiten Hosen, die in schwarzen Spitzschuhen stecken, von demselben braunen Zeuge,

mit schwarzen Längsstreifen, einen schwarzen Spitzhut auf dem Kopfe. Und mit gepflegtem, braunem Spitzbart. Das Paar tanzt einige Runden, gegen das Tiefdunkel schwebend.

Nachdem das ganze Bild vom Dunkel wieder eingeschluckt ist, und die Geigenmelodie wie in der Ferne verschwindet,[7] taucht langsam ein armseliger Wohnraum aus dem Tiefdunkel. Wände und Decke ganz kahl und schwarz verräuchert. In der Ecke links steht ein bis auf den Strohsack leeres Bett, halb verfallen, ein paar schwarze Lumpen als Decke drauf. In der Tiefe eine Tür. Links zwei Fenster. Der Ofen rechts in der Ecke. Um den Ofen eine Bank. Durch die Ofenritzen glüht noch der Brand. Links vorn ein zweites elendes Lager, darauf unter schmutzigen Kissen die alte Raschke schläft. Ganz vorn ein alter Schub. Neben dem Bett in der Tiefe ein verfallener Schrank. Davor mehr in die Stube hinein ein altes Gerüst von einem Sorgenstuhl und ein Berg Besenruten auf der Erde. Rechts davon an der Wand vor einer Brettbank ein alter Tisch. Ein bretterner Lehnstuhl liegt umgekehrt auf der Diele, worauf Rapunzel, die am blanken Erdboden auf schmutzigem Stroh und Lumpen und mit Lumpen zugedeckt schläft, wie auf ein Kopfkissen ihren Kopf gelegt hat. Rechts ganz vorn steht eine schmutzige, alte Kiste. Die Stube liegt jetzt einen Augenblick nur umheult vom Wintersturm.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die armseligen Besenbinder. Leipzig 1913, S. 7-8.
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