Orpheisch

[422] Es gab den Dolch in deine Hand

Ein böser Dämon in der bösen Stunde –

Ich weiß nicht, wie der Dämon hieß –

Ich weiß nur, daß vergiftet war die Wunde.
[422]

In stillen Nächten denk ich oft,

Du solltest mal dem Schattenreich entsteigen

Und lösen alle Rätsel mir

Und mich von deiner Unschuld überzeugen.


Ich harre dein – o komme bald!

Und kommst du nicht, so steig ich selbst zur Hölle,

Daß ich alldort vor Satanas

Und allen Teufeln dich zur Rede stelle.


Ich komme, und wie Orpheus einst

Trotz ich der Unterwelt mit ihren Schrecken –

Ich finde dich, und wolltest du

Im tiefsten Höllenpfuhle dich verstecken.


Hinunter jetzt ins Land der Qual,

Wo Händeringen nur und Zähneklappen –

Ich reiße dir die Larve ab,

Der angeprahlten Großmut Purpurlappen –


Jetzt weiß ich, was ich wissen wollt,

Und gern, mein Mörder, will ich dir verzeihen;

Doch hindern kann ich nicht, daß jetzt

Schmachvoll die Teufel dir ins Antlitz speien.
[423]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 422-424.
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