[98] 1761.
Du Herr der Felsen, die einander gleichen,
Wie Söhne die Ein Weib gebahr;1
Stolz wuchsen sie empor, den Himmel zu erreichen:
Auf ihren Gipfel floh ein Paar
Verliebte, als für ihre schwarze Sünde
Die erste Welt in Wasser schwomm!
Da forschte Gott, ob er sie schonens-werth befinde
Und ihrer beyder Liebe fromm.
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Ein Blick in sie aus seines Dunkels Hülle
Fand ihre Seelen ganz verderbt;
Und, daß ihr Leben nicht die Erde neu erfülle
Mit Bosheit, sprach der Rächer: sterbt!
Die Fluth vernahm es, die Orcane hörten
Und stürzten auf die Felsen los,
Wie Kriegesheere die Jerusalem zerstörten:
Da bebten von der Wellen Stoß
Der mütterlichen Erde Zwillings Söhne
Dreymahl; und die Gewalt zertrieb
Sie also reissend daß auf einem Fels die Schöne,
Der Jüngling auf dem andern blieb.
Die Wolken-Welt die über ihren Köpfen
Mit ganzen Meeren Wasser hing
Ward finstrer, schien sich selber zu erschöpfen
Indem das Mädchen untergieng.
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Die dicke Luft erscholl von dem Geheule
Des Jünglings der zum Wasser sprach:
Komm schnell herauf gestiegen Wasser! eile!
Es kam, er schwomm dem Mädchen nach.
Sie kämpfte noch mit ihren Untersinken,
Als ihr Geliebter sie umfing
Und geizig war, den Geist in sich zu trinken,
Der an den kalten Lippen hing.
Die Muse sagt, sie lägen an dem Fusse
Des einen Felsen, wären Stein
Unkennbar durch die Zeit, wie ein vom Regengusse
Verwaschnes Bildniß pflegt zu seyn.
Die Felsen aber mit erhabnem Haupte
Verkündigen des Höchsten Hand,
Der über eine Welt, die keine Gottheit glaubte,
Den Tod in Wolken abgesandt.
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Sie sehen sich, troz allen Ungewittern
Unumgestürzt einander an:
So steht, wenn Schlag auf Schlag die Erde wird erschüttern
Der Christ, und der rechtschafne Mann!
1 Zweene gegen einander stehende sehr hohe Felsen, in der Grafschaft Wernigerode, nicht weit von Ilsenburg, von welchen man glaubt, die Sündfluth habe sie von einander gespaltet.
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