An Gott

[67] A nice and subtle happiness I See

Thou to thy self proposest, in the choice

Of thy associates.

Milton.


Ein stiller Schauer deiner Allgegenwart

Erschüttert, Gott! mich. Sanfter erbebt mein Herz,

Und mein Gebein. Ich fühl', ich fühl' es,

Dass du auch hier, wo ich weine, Gott! bist.


Von deinem Antlitz wandelt, Unendlicher,

Dein Blick, der Seher, durch mein eröffnet Herz.

Sey vor ihm heilig, Herz, sey heilig,

Seele, vom ewigen Hauch entsprungen!
[68]

Verirrt mich Täuschung? oder ist wirklich wahr,

Was ein Gedanke leise dem andern sagt?

Empfindung, bist du wahr, als dürf' ich

Frey mit dem Schöpfer der Seele reden?


Gedanken Gottes, welche der Ewige,

Der Weis' itzt denket! wenn ihr den menschlichen

Gedanken zürnet: o wo sollen

Sie vor euch, Gottes Gedanken! hinfliehn?


Flöhn sie zum Abgrund; siehe, so seyd ihr da!

Und wenn sie bebend in das Unendliche

Hineilten; auch im Unbegränzten,

Wärt ihr, allwissende! sie zu schauen!


Und wenn sie Flügel nähmen der Seraphim

Und aufwärts flögen, in die Versamlungen,

Hoch ins Getön, ins Halleluja,

In die Gesänge der Harfenspieler;


Auch da vernähmt ihr, göttliche Hörer! sie.

Flieht denn nicht länger, seyd ihr auch menschlicher,

Flieht nicht; der ewig ist, der weiss es,

Dass er in engen Bezirk euch einschloss.
[69]

Des frohen Zutrauns! ach der Beruhigung,

Dass meine Seele, Gott! mit dir reden darf!

Dass sich mein Mund vor dir darf öffnen,

Töne des Menschen herabzustammeln!


Ich wag's, und rede! Aber du weisst es ja,

Schon lange weisst du, was mein Gebein verzehrt,

Was, in mein Herz tief hingegossen,

Meinen Gedanken ein ewig Bild ist!


Nicht heut erst sahst du meine mir lange Zeit,

Die Augenblicke, weinend vorübergehn!

Du bist es, der du warst; Jehova

Heissest du! aber ich Staub von Staube!


Staub, und auch ewig! denn die Unsterbliche,

Die du mir, Gott! gabst, gabst du zur Ewigkeit!

Ihr hauchtest du, dein Bild zu schaffen,

Hohe Begierden nach Ruh und Glück ein!


Ein drängend Heer! Doch Eine ward herlicher

Vor allen andern! Eine ward Königin

Der andern alle, deines Bildes

Letzter und göttlichster Zug, die Liebe!
[70]

Die fühlst du selber, doch als der Ewige;

Es fühlen jauchzend, welche du himlisch schufst,

Die hohen Engel deines Bildes

Letzten und göttlichsten Zug, die Liebe!


Die grubst du Adam tief in sein Herz hinein!

Nach seinem Denken von der Vollkommenheit,

Ganz ausgeschaffen, ihm geschaffen,

Brachtest du, Gott! ihm der Menschen Mutter!


Die grubst du mir auch tief in mein Herz hinein!

Nach meinem Denken von der Vollkommenheit,

Ganz ausgeschaffen, mir geschaffen,

Führst du sie weg, die mein ganzes Herz liebt!


Der meine Seele ganz sich entgegen giesst!

Mit allen Thränen, welche sie weinen kann,

Die volle Seele ganz zuströmet!

Führst du sie mir, die ich liebe, Gott, weg!


Weg, durch dein Schicksal, welches, unsichtbar sich

Dem Auge fortwebt, immer ins Dunklre webt!

Fern weg den ausgestreckten Armen!

Aber nicht weg aus dem bangen Herzen!
[71]

Und dennoch weisst du, welch ein Gedank' es war,

Als du ihn dachtest, und zu der Wirklichkeit

Erschaffend riefst, der, dass du Seelen

Fühlender, und für einander schufest!


Das weisst du, Schöpfer! Aber dein Schicksal trent

Die Seelen, die du so für einander schufst,

Dein hohes, unerforschtes Schicksal,

Dunkel für uns, doch anbetungswürdig!


Das Leben gleichet, gegen die Ewigkeit,

Dem schnellen Hauche, welcher dem Sterbenden

Entfliesst; mit ihm entfloss die Seele,

Die der Unendlichkeit ewig nachströmt!


Einst löst des Schicksals Vater in Klarheit auf,

Was Labyrinth war; Schicksal ist dann nicht mehr!

Ach dann, bey trunknem Wiedersehen,

Giebst du die Seelen einander wieder!


Gedanke, werth der Seel' und der Ewigkeit!

Werth, auch den bängsten Schmerz zu besänftigen!

Dich denkt mein Geist in deiner Grösse;

Aber ich fühle zu sehr das Leben,
[72]

Das hier ich lebe! Gleich der Unsterblichkeit,

Dehnt, was ein Hauch war, fürchterlich mir sich aus!

Ich seh', ich sehe meine Schmerzen,

Gränzenlos dunkel, vor mir verbreitet


Lass, Gott, diess Leben, leicht wie den Hauch entfliehn!

Nein, das nicht! gieb mir, die du mir gleich erschufst!

Ach, gieb sie mir, dir leicht zu geben!

Gieb sie dem bebenden, bangen Herzen!


Dem süssen Schauer, der ihr entgegen wallt!

Dem stillen Stammeln der, die unsterblich ist,

Und sprachlos ihr Gefühl zu sagen,

Nur, wenn sie weinet, nicht ganz verstummet.


Gieb sie den Armen, die ich voll Unschuld oft,

In meiner Kindheit, dir zu dem Himmel hub,

Wenn ich, mit heisser Stirn voll Andacht,

Dir um die ewige Ruhe flehte.


Mit Einem Winke giebst du, und nimst du ja

Dem Wurm, dem Stunden sind wie Jahrhunderte,

Sein kurzes Glück; dem Wurm, der Mensch heisst,

Jähriget, blühet, verblüht, und abfällt.
[73]

Von ihr geliebet, will ich die Tugend schön

Und selig nennen! will ich ihr himlisch Bild.

Mit unverwandten Augen anschaun,

Ruhe nur das, und nur Glück das nennen,


Was sie mir zuwinkt! Aber o frömmere,

Dich auch, o die du ferner und höher wohnst,

Als unsre Tugend, will ich reiner,

Unbekant, Gott nur bemerket, ehren!


Von ihr geliebet, will ich dir feuriger

Entgegenjauchzen! will ich mein voller Herz,

In heissern Hallelujaliedern,

Ewiger Vater, vor dir ergiessen!


Dann, wenn sie mit mir deinen erhabnen Ruhm

Gen Himmel weinet, betend, mit schwimmendem

Entzücktem Auge; will ich mit ihr

Hier schon das höhere Leben fühlen!


Das Lied vom Mittler, trunken in ihrem Arm

Von reiner Wollust sing' ich erhabner dann

Den Guten, welche gleich uns lieben,

Christen wie wir sind, wie wir empfinden.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 67-74.
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