[155] Im Oktober 1772.
O wie lacht der Lenz auf allen Hügeln!
Welch ein süßer Maienblumenduft
Hebt sich auf der Weste Purpurflügeln
Und durchbalsamt rings umher die Luft!
Alle Blumen, die des Maien harrten,
Heben sich aus jungem Gras empor;
Wie ein zauberischer Blumengarten
Steht die Flur in tausendfachem Flor.[155]
Sammelten die Vögelchen sich alle,
Diesen Tag zu feiren? Sangen sie
Je in solchem wonniglichen Schalle
Ihre süße Frühlingsmelodie?
Freude schallt aus blühenden Gesträuchen,
Wo das Laub in Netze sich verflicht:
Aller Anmut, alle Sorgen weichen,
Aber nur aus meinem Herzen nicht.
Götter! ach, wenn keine Daphne wäre,
O so mischte sich mein Jubel auch
In der Schöpfung allgemeine Chöre,
Und durchwirbelte den Blumenhauch!
Aber ach! ihr schuft zu meinem Leiden,
Daphnen, die mit Lieb' und Treue spielt,
Und der Liebe süße Götterfreuden
Nie in ihrer falschen Brust gefühlt!
Zwar sie lacht aus allen ihren Zügen;
Unschuld wohnt im blühenden Gesicht;
Aber nur mich Armen zu betrügen;
Ach! in ihrem Herzen wohnt sie nicht.
Als sie mich an ihren Busen drückte,
Liebe mir und stete Treue schwur;
Als sie mich ins Himmelreich entzückte,
Damals lachte, so wie jetzt, die Flur.
Liebesgötter scherzten um das Mädchen,
Maienblumen blühten überall;
Zephyrs deckten sie mit Rosenblättchen,
Und es flötete die Nachtigall.[156]
Götter! welch ein Leben! taumelnd flogen
Über uns die goldnen Stunden hin,
Tausend Küsse wurden eingesogen
Von dem Rosenmund der Zauberin.
Aber jene Nacht! – Schon harrt' ich lange
Der Geliebten; und Diana hing
Traurig zwischen Wolken, sah mich bange,
Als ich nach des Mädchens Hütte ging.
Und sie saß, dem Frevler in den Armen;
Und Diana sah vom Himmel her,
Fühlte sanftes Mitleid und Erbarmen,
Und verschwand und leuchtete nicht mehr.
O vernichtet, Götter! diese Stunde,
Diesen bangen Augenblick, und mich!
Wenn, o wenn verblutet sich die Wunde,
Wenn vergess' ich, falsches Mädchen, dich! –
Ha! da handeln Wetterwolken! Götter!
Sendet Tod aus ihnen mir herab!
Euer Donner, wär' er mein Erretter,
Und begrüb' er mich ins öde Grab!
Buchempfehlung
Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.
178 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro