Beim Mausbarbier

[116] »Springst auch zum Bader?«

»Ja!«

»Spring'n wir zusammen!«

»Ein schöner Sonntag heut –«

»Duck dich!«

»Was ist?«

»Ein Has!«

»Ein Has! das ist 'was Recht's!«

»Sei still! wenn er dich hört, so –«

»Nun?«

»Verklagt er uns beim Raben!«

»Du!«

»Was hast? ein Korn?«

»Hihi! die Hälfte fress' ich –«

»Mehlgebacknes?«

»Und mit der andern zahl' ich –«

»Den Barbier? Und ich?«

»Hi! wenn du noch dein Weibchen wärst!«

»Ich beiß' dich –«

»Still! da sind wir!«

»Guten Morgen!«


Aus einem Erdloch

unter einer Wurzel

verbeugt sich tief

ein alter Mausekopf –:[117]

»Frisieren? brennen?

Bitte, nur herein!«


Die Mäuslein nehmen Platz

auf einer Moosbank

und harren stumm

in saubern Spinnwebmänteln,

indes der Alte

seine Eisen draußen

auf einen Stein

ins Sonnenfeuer legt.


»Die Härchen ausziehn?«

»Nach der Mode!«

»Bitte! ...«

Bedächtig zieht

der alte Mausbarbier

die Schnurrbartfädchen

durch das warme Scherlein.


Dann wichst er sie

ein wenig noch mit Harz

und wäscht zum Überfluß

die samtnen Köpfchen

mit Birkenöl

und scheitelt sie geschickt.
[118]

Dann knüpft er flink

die Mäntel ab

und bürstet

die sonntäglichen Wämser

spiegelglatt.


Mit Anstand holt

das eine Mäuslein drauf

den Kuchen aus der Tasche:

»Bitte!«

»Danke!« ...


Von seinem Loch aus

guckt der Mausbarbier

dem stolzen Paar

behaglich knabbernd nach

und lugt vergnügt

zum blauen Himmel auf,

der reiche Kundschaft

heute noch verspricht.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 2, Basel 1971–1973, S. 116-119.
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