Andächtiges Buhßlied zu Gott, üm wahre Reü und Erkentniß der vielfältig begangenen Sünden

[222] Dises kan gesungen werden auf die Melodei des BuhßPsalmes: O Herre Gott, begnade mich.


1.

Wie groß ist meine Missethat,

Die dich, O Gott, erzürnet hat!

Dir wil Ich gern bekennen

Die Sünde, die mich brennen,

Der mehr als schwehrer Sand am Meer

Gehn über meine Scheitel her,

Die mir das Hertz beschwehren,

Ja Mark und Bein verzehren.

Sie steigen gleich in vollem Lauff',

O starker Gott, zu dir hinauff'.

Mit dir kan Ich ja rechten nicht,

Drüm fodre mich nicht ins Gericht,

Den sonst bin Ich verlohren.


2.

Mein Leib und Seel' ist gahr unrein:

Wie könt Ich den gefällig sein

Dir, der du frei von Sünden?

Wer aber kan ergründen

Die Tieffe meiner Missethat,

Die leider mich bedekket hat?

Die Sünd' hab' Ich ererbet,

Ja Sünd hat mich verderbet.

Mein böser Will, O Herr, ist dir

Gantz widerspenstig für und für;

Ich bin ein ungerahtner Knecht,

Der nimmer dich erkennet recht

Noch auch von Hertzen liebet.


3.

Ich, der Ich dir vertraue nicht,

Versäume täglich meine Pflicht,

Von meiner zahrten Jugend

Vergess' Ich aller Tugend.

Gleich wie der Brunn ein Wasser quillt

Das endlich Gründ' und Seen füllt,

So quillt mein Hertz die Sünde,

Welch' Ich in Mir empfinde,

Alß Unzucht, Lügen, eigen Ehr',

Auch Rachgier, Geitz und andre mehr

Verdampte Laster, welcher Lohn

Wird sein der Höllen Plag' und Hohn,

Wie du fürlengst gedreüet.


4.

Ach Gott! mein Hertz ist roh' und wild,

Verlohren hab Ich gahr dein Bild;

Ich bin im Sünder Orden

Ein Bild des Satans worden:

Mein frecher Geist ist Tugendloß,

Ach HERR, mein Elend ist so groß,

Daß Ich schier muß verzagen;

Ich werde matt von Klagen.

Mein Leben und Gerechtigkeit

Ist ein beflektes Lasterkleid;

Die Sünde wird Mich armes Kind

Hinführen noch, gleich wie der Wind

Die Spreüer läst verstieben.


5.

Wie bößlich hab' Ich doch gelebt,

In dem Ich dir, HERR, widerstrebt

Und bin durch sündlichs Wallen

Auß deiner Gunst gefallen!

Daß Ich die Lust der kurtzen Zeit

Vertauschet mit der Ewigkeit

Zu fühlen Höllen Schmertzen,

Das klag' Ich itz von Hertzen.[222]

Nun bin Ich dein verlohrner Sohn,

Dein Grim ist mein verdienter Lohn.

Mit recht heiss' Ich der Bettelmann,

Der nimmermehr bezahlen kan;

Wo soll Ich Hülffe finden?


6.

Bey dir allein ist Hülff und Raht,

Wen Menschen Hülff' ein Ende hat:

Mein Gott, du kanst mich lehren,

Du kanst mein Hertz bekehren.

Du ziehst auß Mir den Lasterpfeil

Und machest meine Wunden heil,

Du kanst in disem Leben

Ein fleischern Hertz Mir geben.

O Helffer, den man Vater heist,

Gib Mir doch einen neüen Geist;

Sei gnädig und verwirff mich nicht

So gahr von deinem Angesicht,

Gedenk an deine Gühte.


7.

Ich bin dein Schaf, Herr, suche mich,

Laß mich nicht irren ewiglich.

Hilff, daß Ich ja mit Thränen

Nach dir mich müge sehnen;

Den auß der Seelen Traurigkeit

Komt wahre Reü in diser Zeit,

Dadurch man kan auf Erden

Des Trostes fähig werden.

Gahr schleünig endigt sich der Schmertz,

Im Fall Sich ein zerbrochnes Hertz

Von Thränen nass' zu dir bekehrt

Und dich in rechter Demuht ehrt:

Das wirst du nicht verschmähen.


8.

Ach Gott, es thut mir hiftig weh,

Daß Ich so schändlich für dir steh'

Und mit so faulen Schaden

Der Seelen bin beladen.

Ich trag' immittelst Leid und Reü,

Daß du vor deine Lieb und Treü

Nicht dankbahr mich erfunden;

Diß schlägt mir tieffe Wunden.

Wie trett' Ich denn nun für Gericht?

Wie komm' Ich für dein Angesicht?

Frei sag' Ichs her auf disem Plan

Daß viel, viel Böses Ich gethan

Und hefftig dich erzürnet.


9.

Mein Gott, Ich hab es nicht bedacht,

Alß Ich verlustig mich gemacht

Der Kindschafft deiner Liebe;

Doch der Ich mich betrübe,

Verzweifle nicht zu diser Frist:

Ich weiß, daß du mein Vatter bist,

Drüm kanst du mich nicht lassen

Noch unaufhörlich hassen.

Dein Kind muß Ich doch endlich sein.

O treüer Gott, erbarm dich mein

Und gib, daß Ich nach disem Streit

Dich preiß' in jenner Ewigkeit

Um Christi willen, Amen.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 222-223.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon