|
[249] Dises kan man auch singen auf die Melodei des Lides: Nun lobe, meine Seele, den Herren.
1.
Frisch auf und last uns singen,
Ihr Kinder Gottes alzumahl,
Von unerhörten Dingen,
Der grossen Freüd ins HimmelsSahl.
Bald wird der Tag anbrechen,
An welchem Gottes Sohn
Uns freündlich wird zu sprechen:
Komt her, empfangt den Lohn,
Den Ich Eüch geb' auß Gnaden,
Komt her, ererbt das Reich,
Darin Ihr ohne Schaden
Und Trübsahl lebt zu gleich.
2.
O Freüd! O Lust! O Wonne!
Wir sollen Gottes Antlitz sehn.
O Licht! O Glantz! O Sonne!
Wie wird uns doch so wol geschehn!
Itz sehen wir im Spiegel
Und einem tunklen Wohrt;
Wen aber wird das Siegel
Eröffnet, sol man dort
Den Herren selber schauen:
O süsser Gnadenblik!
Der Tod macht Mir kein Grauen,
Den Sterben ist Mein Glük.
3.
Hinweg mit allen Freüden,
Die man in disem Leben hegt,
Hinweg mit Gold und Seiden,
Davon man schöne Kleider trägt;
Hinweg mit Säitenspielen,
Hinweg mit süssem Wein,
Hinweg mit KönigsStühlen,
Hinweg mit Perlenschein:
Ein Augenblik Gott sehen
In seinem Himmelszehlt
Macht grösser Freüd entstehen
Alß alle Lust der Welt.
4.
O Freüd' in jennem Leben,
O Freüd im schönen Paradeis,
Welch' uns ein Hertz wird geben,
Das gahr von keiner Trübsahl weis,
Daß sich nicht darff entsetzen
Für Unglük und Gefahr,
Daß Niemand kan verletzen
Daß frisch ist immerdar,
Daß frei von allen Sorgen
Nicht suchet Geld noch Guht,
Daß für dem Neid verborgen
Stets lebt in sichrer Huht.
5.
O Freüd in Gottes Kammer,
O Freüd in seinem Fridenslicht,
Da man vom Kriegesjammer
Nicht das geringste Wöhrtlein spricht.
Da wird man Frieden halten
Mit Gott und ewiglich
In stiller Ruhe walten,
Nicht mehr betrüben Sich:
Da wird man Friede haben
Auch mit der EngelSchaar,
Ja Leib und Seel erlaben
Im Frieden jmmerdar.
6.
O Freüd! O Jubiliren!
O Jauchtzen! O voll Wonne sein!
Wie wollen wir lustiren
Dort oben in des HimmelsSchein!
Wir wollen da bewohnen
Den Pallast, der geschmükt
Mit hundert tausend Krohnen,
Der zehnmahl heller blikt
Alß alle Diamanten,
Rubinen und Saphir.
Ihr Himmels Anverwandten,
Bedenkt es, waß für Zier!
7.
O Freüd, ein neüer Himmel!
O Freüd, ein neüer Erdenkreis,
Davon der Welt Gewimmel
Das weinigste zu sagen weis,
Da man im steten Lentzen
Uningeschlossen lebt,
Nicht in gewissen Grentzen
Alß auf der Erden schwebt,
Nein, da man nach gefallen
In Gott erfreüet sich,
Der Alles ist in allen
Und herschet ewiglich.
[250]
8.
O Freüd! O lieblichs Wesen,
In welchem wird zu finden sein
Gesellschaft auserlesen:
Gott selbst mit seinen Engelein,
Da König und Propheten,
Da die Bekenner sind,
Die Gott auß Ihren Nöhten
Gerissen hat geschwind,
Woselbst die Patriarchen
Und keüsche Jungfräulein
Besitzer und Monarchen
Des Himmels werden sein.
9.
O Freüd! O lieblichs Singen!
O süsses Lied! O Lustgeschrei!
O Wunder frölichs Klingen!
O nimmerstille Kantorei!
Die schnellen Himmelsgeister
Und Engel stehen da
Wie die Kapellenmeister,
Das gross' Allelujah
Mit uns auf hohen Geigen,
Auf Lauten und Pandor
Zu machen; nichts sol schweigen
Im Baß, Diskant, Tenor.
10.
O Freüd! O Lust! O Leben!
O güldnes Haus! O schönste Zier!
Wir wollen kräftig streben
In diser Sterbligkeit nach Dir.
O Gottes Antlitz sehen!
O stets im Friede sein!
O bei den Engeln stehen!
O theürer Himmelsschein!
O Herligkeit ohn Ende!
Mein Gott, wen dirs gefält,
So nim Mich auf behende.
Nun guhte Nacht, O Welt.
Buchempfehlung
In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«
340 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro