Fabel: Der zipperlein und die spinn

[149] Als ich spazieret auf ein tag

vor einem walt an grünem hag,

in dem erhört ich ein gesprech

jenseit des hages in der nech;

ich schlich hinein, wolt on gefer

hören, wer jenseit hages wer.

als ich gemachsam horcht darin,

da war es gar ein alte spinn,

mit der redet der zipperlein.


Der zipperlein.


Der sprach zu ir: gespile mein,

wie zeuchst so ellent über felt?

tregst weder kleider oder gelt.


Die spinn.


Die spinn sprach: da trib man mich aus

eins mechtig reichen burgers haus,

darin ich lenger kunt nicht bleiben.


[149] Der zipperlein.


Zipperlein sprach: wer tet dich treiben?


Die spinn.


Die spinn sprach: ich het vil unfrit,

ser großen hunger ich da lit,

wan darin waren wenig mucken,

die ich in mein netz mocht gezucken,

weil man so sauber hielt das haus;

die mucken trib man auch oft aus,

mit muckenwedel und mit schwammen

tet man sie teglich auch verdammen,

doch waren im haus vil huntsmucken,

die teten mir mein netz zerrucken,

der ich gar keine kunt erhalten,

des must ich großes hungers walten;

auch stellet mir nach meinem leib

der herr und darzu auch sein weib,

wo sie mich etwan teten sehen,

in meinem gespunst in der nehen

sahen hangen in einer ecken,

mit scheltwort tetens beid aufwecken

die hausmeit und auch den hausknecht,

von den wurt ich denn hart durchecht,

kerten im haus die ganzen wochen,

haben mein spinnweb oft zubrochen,

das ich kaum in ein kluft entran;

so fieng ich denn ein anders an,

und e ich dasselb ausgespun,

kam etwan tochter oder sun

und mir dasselbig auch zerstört.

ich hab im haus schier alle ört

versucht; in solchem herzenleit

spun ich doch mer denn beide meit.

ich bin erstlich ein junkfrau gwesen,

tut man im Ovidio lesen,[150]

Arachne so war ie mein nam,

meiner kunst war die Pallas gram,

das sie mich in ein spinn verkeret;

also hab ich mein zeit verzeret

bei den höflichen burgersleuten,

mein edle kunst mit zu bedeuten;

weil iederman mir setzet zu

so streng on alle rast und ru,

muß ich die burgerschaft verlaßen

und bin gleich iezunt auf der straßen.


Der zipperlein.


Zipperlein sprach: wo wiltu naus?


Die spinn.


Die spinn sprach: in eins bauren haus

wil ich mich in ein winkel schmucken,

der hat wol hundert tausent mucken,

da wil ich mich reichlich erneren,

forthin mein tag in ru verzeren,

weil oft ein ganzes jar hinferet,

e man die spinnenweb abkeret,

meit und knecht anderst zschaffen haben.

schau, bei dem wil ich mich eingraben,

bei dem da bleib ich unvertrieben,

dieweil die bauren mich auch lieben,

dieweil die alten bei in jahen,

ich tu die bösen dempf auffahen;

des bleib ich ungeirret henken,

vor einem dunklen fenster schwenken,

von muckendrecken überzogen.

das ich mich hab so lang geschmogen

in der stat, das tut mich noch dauren.


Der zipperlein.


Der zipperlein sprach: schweig der bauren;[151]

ich kum erst flüchtig von in her,

sie sint mir grob und gar gefer.

wo ich zog zu eim bauren ein,

tet er gar nit verschonen mein,

er schleppet mich durch dreck und kot;

macht ich im schon ein fuß gar rot,

so meint er, het in nur verrenkt,

mit arbeit er mich oft bekrenkt,

lud mit mir mist, ackert und seet,

er fur gen holz, er drasch und meet,

darmit da tet er sich erhitzen,

das er fast dunsten wart und schwitzen;

derselbig schweiß macht mich gar krank,

wan er mir in die nasen stank,

stieß mich auch auf wurzel und stein,

auch war mein narung bei im klein,

er aß nur millich, rübn und kraut,

gersten und erbeiß, was er baut,

trank auch nur waßer, milch und schotten,

tet mich zipperlein gar verspotten.

des wurt ich gar hungrig und mat,

kunt nicht mer bleiben an der stat;

der erzt halb wolt ich wol sein bliben,

mit hunger hat er mich austriben,

wan bei solch ringem trank und speis

ist gar nicht zu bleiben mein weis,

dieweil Bachus mein vatter ist,

der mich gebar vor langer frist

durch gute bißlein, stark getrank,

allem wollust und müßiggank,

wie das denn lert die teglich prob.

darzu die bauren sint zu grob,

drumb ich von in auszogen bin.


Die spinn.


Die spinn sprach: wo wiltu denn hin,

dein zeit forthin im lant vertreiben?


[152] Der zipperlein.


Der zipperlein sprach: nun wil ich bleiben

bei burgern, adel oder pfaffen,

die haben iezt nit mer zu schaffen,

denn müßig gen und wollust treiben

mit baden, spilen, schlafn und weiben;

eßen und trinken auch das best,

bei den da wirt ich wol gemest,

da legt man mich auf sanfte bet.

trutz, der mich da anrüren tet!

man wicklt mich ein und helt mich warm,

ob mich die erzt mit großem schwarm

mit irer kunst wöllen vertreiben,

so tu ich dennoch lenger bleiben.

so balt ich nur ein weng nachlaß,

so lebt der krank voriger maß

und tut mir selb locken und heien,

mit starker kost und trank erfreien.

so tu ich in denn wider drucken,

balt tut der krank sich wider ducken

und helt ein zeit sich stil und meßig;

laß ich nach, wirt er wider gfreßig,

als denn so vexier ich in wider

und nem im all seine gelieder

ie eines nach dem andern ein.

von ersten bin ich kurz und klein,

tu im an einer zehen we,

darnach ich immer weiter ge,

wirt mit der zeit lenger und gröser,

ein gast, herber, bitter und böser,

entlich gar nit zu treiben aus.


Die spinn.


Die spinn sprach: ich kom in ein haus

erstlich einig, alters allein,

gleich wie du unachtsam und klein,[153]

im winter mich etwan verkreuch,

im glenzn ich wider fürher zeuch;

ich lege eier und tu nisten,

zeuch aus mein jungn in kurzen fristen,

derselben ist on maß und zal,

umbzeuch das ganz haus überal

in stubn, kamer und allen geden,

vor allen löchern, fenstrn und leden

mit meiner jungen web und netzen,

da tu in freuden mich ergetzen,

drumb bit ich, kom nach kurzer zeit

aufs dorf, beschau mein herlichkeit

in meines armen bauren haus.


Der zipperlein.


Ich kom nicht mer aufs dorf hinaus,

sprach der zipperlein mit verlangen;

in der stat wirt ich schön empfangen,

da weiß ich einen burger reich,

denselben ich noch heint erschleich,

weil er gleich sitzt in eim banket,

der mich lang zu im locken tet

mit starker speise und getrank,

der wirt aufnemen mich zu dank

und auf ein seiden küss mich legen.

mein schwester spinn, laß dich bewegen,

in die stat wider mit mir ker

und schau mein herlichkeit und er,

wie mich der burger helt so wol.


Die spinn.


Die spinn sprach: müst ich ie sein vol,

das ich mein leben wagt dahin!

fro bin ich, das ich ledig bin.

ich zeuch dahin ins bauren haus

und kom auch nimmermer heraus.[154]

bleib bei deim burger in der stat,

da man dich auch in eren hat,

so sei wir all beid wol versehen.


Das zipperlein.


Der zipperlein sprach: das sol gschehen,

zeuch hin, ich wünsch dir glück und heil.


Der beschluß

Also zog hin ein ieder teil,

die spinn aufs dorf hin zu den bauren,

der zipperlein in die statmauren,

der fuß für fuß gemachsam gieng.

zu laufen ich balt anefing

in die stat, die burger zu warnen

vor des argen zipperleins garnen:

der wirt heint auf den abent kommen

und zu gast werden aufgenommen;

drumb wer im nit wöll herberg geben,

derselb verzeren sol sein leben

mit harter arbeit, ringer kost,

wie denn Petrarcha gibt ein trost:

armut den zipperlein treib aus,

der nur wont in der reichen haus,

doch welcher reicher ermklich leb,

der zipperlein die flucht auch geb.

derhalb so fliech, wer fliehen mag,

das der zipperlein auf den tag

nicht bei im einker und aufwachs

durch überfluß, das ret Hans Sachs.


Anno salutis 1545, am 28. tag Decembris.


Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Zweiter Theil: Spruchgedichte, Leipzig 1885, S. 149-155.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Spruchgedichte (Auswahl)
Meisterlieder, Spruchgedichte, Fastnachtsspiele
Spruchgedichte: Auswahl

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon