Die Zwerge

[326] Es war ein Ritter, war traurig genung;

Er sah sie laufen, sich raufen und schnaufen um nichts.

Sein Haar wurde grau, doch der Mut blieb ihm jung,

Und eckelt' ihn manchen Dreihellergesichts.

Es trippelten, trappelten Zwerg' um ihn her,

Die klipperten, klapperten, rappelten sehr.


»Ade,« sprach der Ritter, »du Vaterland mein;«

Es starrete kalt in der Brust ihm das Herz –

»Ade, es muß nun geschieden sein,

Was weiß diese Brut, was weiß sie von Glut und von Schmerz?«

So zieht er und flieht von dannen fort,

Ein Kleinod doch läßt er am heimischen Ort.


»Tu auf deinen Schoß, o Waldestal,

Und nimm dieses Kleinod, nimm treulich es auf!

Ich strebte und lebte der Liebe zumal.«

Dann schüttet er viele Figuren darauf;

»Die Zeichen sind magisch, die mögen da ruhn;

Was wollen die Zwerge den Zeichen tun?«


So sprach er und ging von dannen im Zorn.

Gleich spürten die Zwerge und rührten am Platz,

Wie reinliche, kleinliche Mäuse im Korn,

So knaupelten, graupelten die in dem Schatz;

Sie trugen die Stücke zu Markte heraus,

Und machten sich zierliche Mäntelchen draus.


Sie sprangen auf Stühlen und Bänken frisch

Und gingen auf Köpfen wunderlich,

Bald saßen sie ernsthaft am langen Tisch,

Bald drehten wie Kräusel im Kreise sie sich.

Sie hatten zu viel genascht und genagt

Am heimlichen Schatze, von dem wir gesagt.


Sie warfen die Bilder wohl hin und wohl her,

Und hatten des immer und nimmer Gewinn.[327]

Sie stellten die Zeichen die Kreuz und die Quer

Und fanden jedweder sich selber darin.

Der rechte Edelstein fehlt ihnen doch,

Der ruhte wohl tief in der Erde noch.


Es zwitscherten einige schmachtend und zart,

Doch andre bellten und schalten darauf;

Es strichen sich andre den kleinen Bart,

Und bauten possierliche Häuserchen auf.

Sie schrien und schrieben und trieben es viel,

Sie rissen, zerbissen sich selber zum Spiel.


Nun fanden die Zwerge in selbiger Gruft

Ein heidnisches Bild von Marmelstein:

Sie zerren und zergen's hervor an die Luft:

»Das,« sprachen sie, »soll unser Abgott sein.«

Sie toben und loben das Bildnis fortan,

Den heidnischen, herrlichen Marmormann!


»Wohl ist es ein alter erkaltender Block,

Und die ihn erfanden, verstanden's nicht recht;

Wir, die wir springen um Stein und um Stock,

Sind aber ein spitzig und witzig Geschlecht.

Wir bilden uns aus und bilden uns ein,

Was fragen wir nach dem Edelstein?«


Da traten zum Walde die Wölfe hervor,

Die luden und laden sich selber zu Gast.

Sie essen und messen die Zwerge sich vor,

Sie zählen und wählen in eilender Hast;

Doch freut sich dessen das Zwergengeschlecht,

Die schwärmen und lärmen und schreien nun recht.


So geht es noch alles am heutigen Tag.

Die Wölfe, die gehen dem Wildpret nach,

Der Marmor schimmert zu jeglicher Stund',

Die Zwerge lärmen und schwärmen verkehrt,

Der Edelstein leuchtet im dunkelen Grund,

Und der ihn vergrub, nie wiederkehrt.

Fern singt er am Meere manch heimliches Lied,

Bei Sonn' und bei Mond, wie die Wolke zieht.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 326-328.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon