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[264] Die Föderirten waren endlich Herren von Jacksonville – und in Folge dessen auch des Saint-John. Die unter der Leitung des Commandanten Stevens gelandeten Truppen besetzten unverzüglich die Hauptpunkte der Stadt. Die Beamten aus eigener Machtvollkommenheit waren entflohen. Vom früheren Bürgerausschuß war Texar der Einzige, der in ihre Hände fiel.[264]
Im Uebrigen bereiteten die Einwohner, sei es, weil sie der in den letzten Tagen verübten Vexationen müde waren, oder aus Gleichgiltigkeit gegenüber der Sklavenfrage, welche der Norden und der Süden jetzt noch durch Waffengewalt zu entscheiden suchten, den Officieren der Flottille, also den Vertretern der Bundesregierung zu Washington, keineswegs einen schlechten Empfang.
Zu derselben Zeit beschäftigte sich der jetzt in Saint-Augustine liegende Commodore Dupont damit, am floridischen Ufer die Einfuhr von Kriegscontrebande zu verhindern. Die Wasserstraße des Mosquito-Eilands wurde sofort gesperrt.[265]
Das machte dem Handel mit Waffen und Munition, der von den zu den englischen Bahama-Inseln gehörigen Lucayen aus sehr schwunghaft betrieben wurde, mit einem Schlage ein Ende. Man konnte sagen, von dieser Stunde an stand der Staat Florida wieder unter der Botmäßigkeit der Bundesregierung.
Noch am nämlichen Tage fuhren James und Gilbert Burbank, Mr. Stannard und Miß Alice wieder über den Saint-John, um nach dem Castle-House zurückzukehren.
Perry und die Unterverwalter erwarteten sie an der Landungsbrücke des kleinen Hafens mit einer Anzahl Schwarzer, welche sich auf der Ansiedlung wieder eingefunden hatten, und man kann sich leicht den Empfang, der ihnen zu Theil wurde, die Huldigungen, welche die Leute ihnen darbrachten, vorstellen.
Eine Minute nachher befanden sich James Burbank und sein Sohn, Mr. Stannard und seine Tochter am Krankenbette der Frau Burbank.
In derselben Stunde, wo sie Gilbert wiedersah, erfuhr die Leidende auch Alles, was geschehen war. Der junge Officier preßte sie in seine Arme. Mars küßte ihr die Hand. Jetzt dachten sie sie nicht mehr zu verlassen. Miß Alice konnte ihr alle Sorgfalt und Pflege angedeihen lassen, und dabei mußte sie ihre früheren Kräfte wohl wiedergewinnen. In Zukunft hatte sie ja nichts mehr von den verbrecherischen Anschlägen Texar's und Derjenigen zu fürchten, die er, um sich zu rächen, um sich versammelt hatte. Der Spanier war in den Händen der Föderirten, und die Förderirten waren die Herren in Jacksonville.
Doch wenn die Gattin James Burbank's, die Mutter Gilberts, nicht mehr für ihren Gatten und ihren Sohn zu zittern brauchte, so hefteten sich deren Gedanken um so mehr an die verschwundene kleine Tochter. Ihr fehlte Dy ebenso wie Mars seine Zermah.
»Wir werden sie wiederfinden! rief James Burbank. Mars und Gilbert werden uns bei unseren Nachforschungen begleiten.
– Ja, mein Vater, ja... und ohne einen Tag zu verlieren, antwortete der junge Lieutenant.
– Da wir nun Texar haben, bemerkte Mr. Burbank, ist es unbedingt nöthig, daß Texar redet.
– Und wenn er sich dessen weigert? warf Mr. Stannard ein. Wenn dieser Mensch behauptet, daß er mit der Entfernung Dys und Zermahs gar nichts zu schaffen gehabt habe?«
– Er war es bestimmt! ließ Frau Burbank sich vernehmen, die sich erhob, als wollte sie gleich das Bett verlassen.[266]
– Ja!... fügte auch Miß Alice hinzu, ich selbst habe ihn sicher erkannt!... Er stand... im Hintertheile seines Canots, das sich nach der Mitte des Flusses zu entfernte.
– Zugegeben, sagte Mr. Stannard, Texar ist das gewesen! Es ist ja daran kein Zweifel möglich. Doch wenn er es abschlägt zu sagen, nach welchem Orte Dy und Zermah verschleppt worden sind, wo sollen wir die Verschollenen finden, nachdem wir das Ufer des Flusses schon auf eine Entfernung von mehreren Meilen abgesucht haben?«
Auf diese so klar und bündig gestellte Frage vermochte Niemand Antwort zu geben. Alles hing davon ab, was der Spanier sagen würde, und doch wußte von ihm Niemand, ob er es in seinem Interesse finden werde, zu schweigen oder zu sprechen.
»Man kennt also wohl die gewöhnliche Wohnung dieses Elenden gar nicht? fragte Gilbert.
– Man kennt sie nicht und hat sie nie gekannt, antwortete James Burbank. Im Süden der Grafschaft giebt es so ausgedehnte Wälder, so viele unzugängliche Sümpfe, wo er sich hat verbergen können. Man würde vergeblich das ganze Land durchforschen können, in dem selbst die Föderirten die Milizen auf dem Rückzuge nicht zu verfolgen vermöchten. Nein, das wäre verlorene Mähe!
– Ich muß meine Tochter wiedersehen! rief Frau Burbank, die James Burbank nur schwer zu beruhigen im Stande war.
– Meine Frau!... Ich will auch meine Frau haben! rief Mars, und ich werde den Schurken schon dazu zwingen, zu sagen, wo sie ist!
– Ja, erklärte James Burbank, wenn dieser Mensch erst sieht, daß sein Leben auf dem Spiele steht, das er durch eine offene Aussage vielleicht noch retten kann, so wird er wohl nicht zögern zu sprechen. Wäre er entflohen, so müßten wir leider an jedem Erfolg verzweifeln. Befindet er sich in den Händen der Föderirten, so werden wir ihm sein Geheimniß zu entreißen wissen. Hab' nur Vertrauen, mein armes Weib! Wir sind ja Alle da, wir werden Dir auch Dein Kind wiedergeben!«
Frau Burbank war tief erschöpft auf ihr Bett zurückgesunken. Miß Alice, die sie nicht allein lassen wollte, hatte sich neben ihr niedergesetzt, während Mr. Stannard, James Burbank, Gilbert und Mars nach der Vorhalle hinuntergingen, um daselbst mit Edward Carrol über die zunächst zu thuenden Schritte zu berathschlagen.[267]
Hier einigte man sich dann über Folgendes: Ehe irgend Etwas unternommen werden sollte, wollte man den Föderirten Zeit lassen, sich in ihrem neuen Besitze zu organisiren. Uebrigens erschien es auch nothwendig, den Commodore Dupont nicht allein von den Vorgängen bezüglich Jacksonvilles, sondern auch bezüglich der auf Camdleß-Bay zu benachrichtigen. Vielleicht mußte Texar unter den jetzigen Verhältnissen gar der Militärjustiz ausgeantwortet werden, und in diesem Falle konnte seine Verfolgung nur mit Hilfe des Obercommandanten der ganzen Expedition nach Florida aufgenommen werden.
Jedenfalls wollten aber Mars und Gilbert weder das Ende dieses, noch das des nächsten Tages abwarten, ohne ihre Nachforschungen zu beginnen. Während James Burbank und die Herren Stannard und Edward Carrol die ersten nothwendigen Schritte thaten, wollten sie den Saint-John hinausfahren, in der Hoffnung, doch irgendwo ein Merkzeichen, eine noch so leise Spur zu entdecken.
Konnten sie in der That nicht fürchten, daß Texar jede Auskunft verweigern möchte, daß er, von wildem Haß getrieben, es vielleicht vorzog, sich einer Verurtheilung zum Tode auszusetzen, statt seine Opfer zurückzugeben? Von ihm konnte man ja Alles erwarten. Es kam also zunächst darauf an, zu erfahren, an welchem Orte er gewöhnlich wohnte. Das war jedoch vergeblich. Von der Schwarzen Bucht wußte Niemand etwas und allgemein hielt man diese Lagune für unzugänglich. Gilbert und Mars fuhren denn auch wiederholt an dem Gestrüpp des Ufers derselben hin, ohne den engen Eingang aufzufinden, durch den ihr leichtes Boot hätte schlüpfen können.
Im Laufe des 13. März ereignete sich kein Zwischenfall, der diese Lage der Dinge geändert hätte. Auf Camdleß-Bay vollzog sich allmählich die Reorganisation der Ansiedlung. Von allen Winkeln des weiten Gebietes her, wie aus den benachbarten Wäldern, in welche sich zu zerstreuen sie gezwungen gewesen waren, kamen die Schwarzen in großer Anzahl zurück. Freigelassen durch den edelmüthigen Entschluß James Burbank's, betrachteten sie sich keineswegs jeder Verpflichtung gegen denselben entbunden. Sie wollten seine Diener sein, wenn sie nicht mehr seine Sklaven waren. Es verlangte Alle nach der Pflanzung zurückzukehren, die durch die Banden Texar's zerstörten Baracken wieder aufzubauen, die Werkstätten wieder einzurichten, die Zimmerplätze in Ordnung zu bringen und die gewohnten Arbeiten aufzunehmen, denen sie schon seit einer langen Reihe von Jahren das Wohlbefinden und das Glück ihrer Familien verdankten.[268]
Man ging also daran, den Betrieb der Pflanzung wieder zu organisiren. Edward Carrol, jetzt fast ganz geheilt von seiner Verwundung, konnte sich seinen gewohnten Beschäftigungen wieder hingeben. Ebensoviel lobenswerthen Eifer entwickelten Perry und seine Unterverwalter. Es gab Keinen, der sich nicht regte, selbst Pygmalion nicht ausgenommen, obgleich er dabei nichts Besonderes leistete. Der arme Tropf war von seinen früheren Ideen doch ein wenig zurückgekommen. Wenn er sich als frei ansah, so handelte er jetzt wie ein platonischer Freigelassener, der sehr in Verlegenheit war, seine Freiheit zu benützen, trotzdem er das Recht hatte, dieselbe nach Belieben zu genießen. Kurz, das ganze Personal war auf Camdleß-Bay zurück, und wenn die zerstörten Baulichkeiten wieder hergestellt waren, mußte die Ansiedlung bald wieder das gewohnte Aussehen gewinnen. Welches Ende der Secessionskrieg auch nahm, durfte man sich doch dem Glauben hingeben, daß in Zukunft die Sicherheit der hervorragendsten Ansiedler nicht weiter bedroht würde.
In Jacksonville war die Ordnung nun wieder hergestellt. Die Föderirten hatten von Anfang an darauf verzichtet, sich in städtische Verwaltungsangelegenheiten zu mischen. Sie besetzten die Stadt nur militärisch, und ließen den Behörden die Autorität, welche ihnen vor wenig Wochen durch einen Aufruhr aus der Hand gerissen worden war. Es genügte ihnen, daß das Sternenbanner auf den Gebäuden flatterte. Schon deshalb, weil die Mehrheit der Einwohner sich ziemlich indifferent gegenüber einer Frage zeigte, welche jetzt die Vereinigten Staaten in zwei Heerlager spaltete, unterwarf sie sich willig und ohne Widerstreben der siegreichen Partei. Die Sache der Unionisten sollte also in den Gebieten Floridas eigentlich keinen ausgesprochenen Gegner finden. Man empfand es wohl, daß die Doctrin der »states-rights«, welche sonst der Bevölkerung der Südstaaten wie in Georgia und den beiden Carolinen so theuer war, hier nicht mit der den Separatisten eigenen Halsstarrigkeit aufrecht erhalten werden würde, selbst wenn die Bundesregierung ihre Truppen wieder zurückzöge.
Die kriegerischen Ereignisse, deren Schauplatz Amerika damals war, lassen sich in Folgendes zusammenfassen:
Die Conföderirten hatten, um die Armee Beaure gard's zu unterstützen, sechs Kanonenboote unter dem Commando Hollins' abgesendet, der auf dem Mississippi zwischen New-Madrid und der Insel 10 Stellung nahm. Hier kam es zu einem Kampfe, den der Admiral Foote mit aller Zähigkeit in der Absicht durchführte, sich des Oberlaufes des Flusses zu bemächtigen. An demselben Tage,[269] wo Jacksonville in die Gewalt Stevens' fiel, antwortete die föderirte Artillerie dem Feuer der Kanonenboote Hollins'. Der Sieg neigte sich zuletzt auf die Seite der Nordstaatler, welche die Insel 10 und New-Madrid wegnahmen. Sie behaupteten nun den Lauf des Mississippi auf eine Länge von zweihundert Kilometern, wenn man die Windungen seines Stromes dabei anrechnet.
In jener Zeit zeigte sich aber in den Plänen der föderirten Regierung eine merkwürdige Zögerung. Der General Mac Clellan hatte seine Beschlüsse erst einem Kriegsrathe unterbreiten müssen, und obgleich dieselben von der Mehrheit des Raths gebilligt wurden, so schob der Präsident Lincoln, der dabei beklagenswerthen Einflüssen nachgab, deren Ausführung längere Zeit hinaus. Die Armee des Potomac wurde getheilt, um Washington gegen jeden Handstreich sicher zu stellen.
Zum Glücke hatte der Sieg des »Monitor« und die Flucht der »Virginia« die Schifffahrt auf dem Chesapeake wieder frei gemacht, und außerdem gestattete der übereilte Rückzug der Conföderirten nach der Räumung Manassas der Armee, ihre Cantonnements in diese Stadt zu verlegen. Hiermit war die Frage, betreffend die Blockade des Potomac, endgiltig gelöst.
Leider sollte die Politik, deren Einfluß immer so verderblich ist, wenn sie sich in die Militär-Angelegenheiten eines Landes mischt, noch eine die Interessen des Nordens benachtheiligende Entscheidung herbeiführen. Jener Zeit wurde nämlich der General Mac Clellan von der Oberleitung der föderirten Armee enthoben, und sein Commando einzig auf die Operationen am Potomac beschränkt, während die anderen nun unabhängig gewordenen Corps dem persönlichen Befehle des Präsidenten Lincoln unterstellt blieben.
Das war ein entschiedener Fehler. Mac Clellan empfand lebhaft das Demüthigende dieser, von ihm gewiß nicht verdienten Degradirung. Er als Soldat kannte jedoch nur seine Pflicht, und er fügte sich. Schon am nächsten Tage entwarf er einen Plan, der dahin ging, seine Streitkräfte am Strande des Fort Monroe ans Land zu setzen. Dieser von den Führern der einzelnen Corps gebilligte Plan erhielt auch die Zustimmung des Präsidenten. Der Kriegsminister erließ die nöthigen Befehle nach New-York, nach Philadelphia und Baltimore, und bald sammelten sich Schiffe jeder Art auf dem Potomac, um die Armee Mac Clellan's mit ihrem gesammten Materiale aufzunehmen und fortzuschaffen.
In dieselbe bedrohliche Lage, in der Washington bisher geschwebt hatte, kam nun Richmond, die Hauptstadt der Südstaaten.[270]
Das war die Lage der kriegführenden Parteien zur Zeit, als Florida sich dem General Sherman und dem Commodore Dupont unterwarf. Mit dem Tage, wo das Geschwader der Föderirten über die floridische Küste eine effective Blockade ausübte, wurden diese auch zu Herren des Saint-John – was ihnen also den vollständigen Besitz der Halbinsel sicherte.
Inzwischen hatten Gilbert und Mars leider vergeblich die Uferstrecken und Eilande des Flusses bis über Picolata hinaus untersucht, und nun blieb ihnen nichts anderes übrig, als direct gegen Texar vorzugehen. Seit dem Tage, wo sich die Pforten des Gefängnisses hinter ihm geschlossen hatten, konnte er keine Verbindungen mit seinen Helfershelfern gehabt haben. Es folgt daraus, daß die kleine Dy und Zermah sich noch an demselben Orte befinden mußten, wo sie vor der Einfahrt der föderirten Kriegsdampfer in den Saint-John gewesen waren.
Wie die Verhältnisse in Jacksonville jetzt lagen, gestatteten sie, gegen den Spanier, wenn dieser Aufschluß zu geben sich weigerte, der Gerechtigkeit freien Lauf. Doch ehe hierbei zu den äußersten Mitteln geschritten wurde, konnte man wohl hoffen, daß er sich, um seine persönliche Freiheit wieder zu erlangen, wohl zu einigen Geständnissen herbeilassen werde.
Am 14. beschloß man, unter Zustimmung der vorher davon benachrichtigten Militärbehörden, diesen ersten Schritt zu versuchen.
Frau Burbank war wieder bei Kräften wie früher. Die Rückkehr ihres Sohnes, die Hoffnung, ihr Töchterchen bald wiederzusehen, die jetzt im ganzen Lande herrschenden friedlicheren Verhältnisse, die Sicherheit, deren die Ansiedlung von Camdleß-Bay sich wieder erfreute – Alles wirkte glücklich zusammen, um ihr wenigstens einen Theil der zeitweilig verlorenen früheren moralischen Energie wiederzugeben. Jetzt war nichts mehr zu fürchten von den Spießgesellen Texar's, welche Jacksonville terrorisirt hatten. Die Milizen waren mehr nach dem Innern der Grafschaft Putnam abgezogen. Sollten später einmal auch diejenigen von Saint-Augustine, nach dem sie den Fluß in seinem Oberlauf überschritten, jenen die Hand reichen, um einen Putsch gegen die föderirten Streitkräfte zu wagen, so barg das doch nur eine sehr entfernt liegende Gefahr in sich, auf welche kein besonderes Gewicht zu legen war, so lange Dupont und Sherman noch im Lande weilten.
Es wurde also beschlossen, daß James und Gilbert Burbank an genanntem Tage nach Jacksonville gehen, aber allein dahin gehen sollten, während die Herren Carrol, Stannard und Mars auf der Pflanzung zurückblieben. Miß Alice[271] leistete natürlich der Frau Burbank Gesellschaft. Uebrigens rechneten der junge Officier und sein Vater stark darauf, noch vor Abend im Castle-House zurück zu sein und dahin erfreuliche Nachrichten mit heim zu bringen. Sobald Texar nur das Versteck, wo Dy und Zermah gefangen gehalten wurden, verrathen, wollte man zur schleunigsten Befreiung derselben vorschreiten. Einige Stunden, schlimmsten Falles ein Tag, mußten dazu ja hinreichen.
Als James und Gilbert Burbank schon zum Aufbruche bereit standen, nahm Miß Alice den jungen Officier noch einmal zur Seite.
»Gilbert, redete sie ihn fast bittend an, Du gehst, dem Manne gegenüber zu treten, der so viel Unglück über Deine Familie gebracht, dem Elenden, der Deinen Vater und Dich in den Tod senden wollte... Gilbert, versprichst Du mir, auch Texar gegenüber Deine Selbstbeherrschung zu bewahren?
– Meine Selbstbeherrschung!... rief Gilbert, in dem schon bei der Namensnennung des Spaniers der gerechte Zorn aufwallte.
– Es muß ja sein! fuhr Miß Alice fort. Du erreichst gewiß gar nichts, wenn Du Dich von Deinem Groll hinreißen läßt... Vergiß jeden Gedanken an Wiedervergeltung, um ein Ziel, die Rettung Deiner Schwester, welche bald auch die meinige sein wird, nicht aus dem Auge zu verlieren! Diesem Ziele mußt Du Alles opfern, und solltest Du Texar selbst zusichern, daß er von Deiner Seite in Zukunft nichts zu fürchten habe.
– Nichts zu fürchten! rief Gilbert, noch einmal auflodernd. Ich soll vergessen, daß meine Mutter durch seine Schuld beinahe dem Tode verfallen wäre... daß er meinen Vater erschießen lassen wollte...
– Und Dich ebenfalls, Gilbert, unterbrach ihn Miß Alice, Dich, den ich schon niemals wieder zu sehen fürchtete. Ja, das Alles hat er gethan – und doch dürfen wir uns dessen nicht erinnern!... Ich sage Dir das, weil ich besorge, daß Dein Vater sich zu beherrschen nicht im Stande sein möchte, und wenn es Dir nicht gelingt, ihn zu besänftigen, wird Euer Schritt überhaupt nutzlos bleiben. Ach, warum habt Ihr ausgemacht, ohne mich nach Jacksonville zu gehen!... Vielleicht hätte ich... durch Sanftmuth... erlangen können...
– Und wenn der Mensch sich weigert, Antwort zu geben!... warf Gilbert ein, der wohl die Berechtigung der Warnungen seitens seiner Verlobten empfand.
– Wenn er sich dessen weigert, wird der Behörde die Aufgabe überlassen bleiben müssen, ihn dazu zu nöthigen. Es handelt sich ja um sein Leben, und so bald er einsieht, daß er das nur durch ein offenes Geständniß erkaufen kann, wird er schon sprechen...
Gilbert, ich muß Dein Versprechen haben!... Bei unserer Liebe – giebst Du es mir?
– Ja, meine theure Alice, ja! versicherte Gilbert... Was dieser Mann auch gethan, er gebe mir meine[272] Schwester wieder, und Alles soll vergessen sein...
– So ist's recht, mein Gilbert! Wir haben ja schreckliche Prüfungen ausgestanden, doch jetzt neigen sie ihrem Ende zu... Die traurigen Tage, während der wir so viel gelitten haben, wird uns Gott durch lange Jahre des Glückes vergelten![273]
Gilbert hatte seiner Verlobten, der einzelne Thränen über die Wangen herabperlten, innig die Hand gedrückt, und Beide schieden nun von einander.
Um zehn Uhr schifften sich, nachdem sie ihren Freunden Lebewohl gesagt, James und Gilbert Burbank im kleinen Hafen von Camdleß-Bay ein.
Die Fahrt über den Fluß ging rasch von statten. Auf eine Bemerkung Gilberts hin steuerte das Boot aber nicht unmittelbar nach dem Hafen von Jacksonville, sondern hielt die Richtung nach dem Kanonenboote des Commandanten Stevens ein.
Dieser Officier fungirte jetzt als militärischer Befehlshaber der Stadt, und dieser Umstand erheischte es, ihm den von James Burbank beabsichtigten Schritt vorher noch einmal zu unterbreiten. Stevens stand mit den Behörden von Jacksonville in sehr häufiger Verbindung. Ihm war nicht unbekannt geblieben, welche Rolle Texar gespielt hatte, seit seine Anhänger die Macht an sich rissen, eine wie große Verantwortlichkeit für die Ereignisse, welche die Verwüstungen von Camdleß-Bay herbeiführten, auf ihm lastete, warum und unter welchen Verhältnissen er in der Stunde, wo die Milizen schon entflohen, verhaftet und eingekerkert worden war. Er wußte auch, daß gegen ihn ein allgemeiner Widerwille herrschte, daß die ganze bessere Bevölkerung von Jacksonville sich erhob, um seine Bestrafung für viele begangene Verbrechen zu fordern.
Der Commandant Stevens bereitete James und Gilbert Burbank einen wohlverdienten Empfang. Er schätzte den jungen Officier ganz besonders hoch, da er, seitdem Gilbert unter ihm diente, dessen Charakter und Mannesmuth wiederholt kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hatte, und als er nach der Rückkehr Mars' an. Bord der Flottille erfahren, daß Gilbert den Südstaatlern in die Hände gefallen sei, dachte er nur daran, ihn um jeden Preis zu retten. Doch wie hätte er, aufgehalten durch die Flußbarre, hierzu zur rechten Zeit gelangen können?... Wir wissen ja, welchen Umständen der junge Lieutenant und James Burbank ihr Leben zu verdanken hatten.
Mit wenig Worten klärte Gilbert den Commandanten Stevens über alles Vorgefallene auf, und bestätigte damit, was Mars jenem schon vorher gemeldet hatte. Wenn es nicht zweifelhaft war, daß Texar der persönliche Urheber der Entführung in der Marino-Bucht war, so konnte auch kein Zweifel aufkommen, daß dieser Mann allein sagen konnte, an welcher Stelle von Florida Dy und Zermah durch seine Helfershelfer jetzt noch zurückgehalten wurden. Ihr Schicksal lag also in den Händen des Spaniers, das war nur zu gewiß, und der Commandant[274] zauderte denn auch nicht, das anzuerkennen. Er wollte es übrigens James und Gilbert Burbank allein überlassen, diese Angelegenheit ganz nach eigenem Ermessen zu erledigen, und im Voraus billigte er alle Maßnahmen, die im Interesse der Mestizin und des Kindes getroffen werden könnten. Selbst wenn es nöthig werden sollte, Texar als Austausch seine Freiheit anzubieten, sollte ihm diese zugestanden werden. Der Commandant übernahm dafür gegenüber den Behörden in Jacksonville die volle Verantwortung.
Für diese ihnen gewährte Handlungsfreiheit sprachen James und Gilbert Burbank ihren herzlichen Dank dem Commandanten aus, der ihnen noch eine schriftliche Erlaubniß, mit dem Spanier zu unterhandeln, aushändigte, und dann fuhren sie nach dem Hafen selbst.
Hier befand sich schon der von James Burbank durch einige Zeilen benachrichtigte Mr. Harvey. Alle Drei begaben sich sofort nach dem Court-Justice, und dort wurde der Befehl ertheilt, ihnen die Thüren des Gefängnisses zu öffnen.
Ein Psycholog hätte gewiß nicht ohne Interesse das Gesicht oder noch mehr die ganze Erscheinung Texar's seit seiner Gefangensetzung beobachtet. Daß der Spanier höchst erregt war, seit das Eintreffen der föderirten Truppen seiner Stellung als obersten Beamten der Stadt ein Ziel gesetzt; daß er mit der ihm zugefallenen Machtvollkommenheit, ganz nach Belieben zu handeln, die verlorene Leichtigkeit, seinen persönlichen Haß zu befriedigen, bedauerte, und daß ein Verzug von nur wenig Stunden ihm nicht gestattet hatte, James und Gilbert Burbank durch einige Loth Blei abthun zu lassen – in dieser Hinsicht bestand kein Zweifel. Darüber hinaus reichte aber sein Bedauern nicht. Sich in den Händen seiner Feinde zu befinden, unter den schwersten Beschuldigungen eingekerkert und verantwortlich zu sein für alle die Gewaltthätigkeiten, welche ihm mit Recht vorgeworfen werden konnten, das schien ihn völlig gleichgiltig zu lassen. Sein ganzes Auftreten war also ebenso seltsam wie unerklärlich. Ihn quälte offenbar nur der eine Gedanke, daß er seine dunklen Anschläge gegen die Familie Burbank nicht nach Wunsch habe durchführen können. Um die Folgen seiner Verhaftung schien er sich gar nicht zu kümmern. – Sollte diese bisher so räthselhafte Natur wirklich den letzten Versuchen, ihre Lösung zu finden, erfolgreich widerstehen?
Die Thür der Zelle öffnete sich. James und Gilbert Burbank standen dem Gefangenen gegenüber.[275]
»Aha, Vater und Sohn zugleich! rief Texar zu nächst mit dem ihm zur Gewohnheit gewordenen unverschämten Tone. Wahrhaftig, ich fühle mich den Herren Föderirten tief verpflichtet. Ohne sie hätte ich nicht die Ehre Ihres Besuches genossen. Sie kommen ohne Zweifel, um mir die Begnadigung anzubieten, die Sie von mir zu erbitten nicht mehr brauchen?«
Diese Worte polterte er in so herausforderndem Tone hervor, daß James Burbank schon aufbrausen wollte. Sein Sohn hielt ihn zurück.
»Mein Vater, sagte er, laß' mich ihm antworten. Texar will uns auf ein Gebiet verlocken, wo wir ihm nicht folgen können. Es ist nutzlos, auf die Vergangenheit zurückzugreifen; wir haben uns mit der Gegenwart, nur mit der Gegenwart zu beschäftigen.
– Mit der Gegenwart, rief Texar, das soll wohl heißen, mit der gegenwärtigen Lage. Diese scheint mir aber völlig klar zu sein. Vor drei Tagen waren Sie Beide in dieser Zelle eingesperrt, die Sie nur verlassen sollten, um zum Tode zu gehen. Heute bin ich dafür an Ihrer Stelle, und befinde mich dabei weit behaglicher, als Sie wohl voraussetzen mögen.«
Diese Antwort war ganz dazu angethan, James Burbank und seinen Sohn etwas außer Fassung zu bringen, da sie darauf ausgingen, Texar im Austausch gegen sein Geheimniß bezüglich der Entführung seine Freiheit anzubieten.
»Texar, sagte Gilbert, hören Sie mich an. Wir wollen mit Ihnen ganz offenherzig sprechen. Was Sie in Jacksonville etwa gethan, berührt uns nicht. Was Sie auf Camdleß-Bay gethan, wollen wir der Vergessenheit anheimgeben. Uns interessirt nur eine Sache. Meine Schwester und Zermah sind verschwunden, während Ihre Parteigänger die Ansiedlung überfielen und das Castle, House förmlich belagerten. Es steht fest, daß Beide entführt worden sind...
– Entführt! wiederholte Texar fast mechanisch; ah, es freut mich sehr, das zu erfahren.
– Zu erfahren? rief James Burbank entrüstet. Leugnen Sie etwa, Sie Elender, wagen Sie zu leugnen?...
– Liebster Vater, sagte der junge Officier, bewahre Dir Dein kaltes Blut... es muß sein! Ja, Texar, diese doppelte Entführung hat während des Angriffes auf die Pflanzung stattgefunden... Geben Sie zu, der persönliche Urheber derselben gewesen zu sein?
– Darauf hab ich nichts zu antworten.[276]
– Schlagen Sie es ab, uns jetzt mitzutheilen, wohin meine Schwester und Zermah auf Ihren Befehl gebracht worden sind?
– Ich wiederhole Ihnen, daß ich darauf nichts zu antworten habe.
– Auch dann nicht, wenn wir Ihnen als Entgelt für eine wahrheitsgemäße Antwort die Freiheit wieder geben können?
– Ich habe nicht nöthig, diese von Ihrer Hand anzunehmen.
– Und wer wird Ihnen die Thüre dieser Zelle, die Pforte dieses Hauses öffnen? rief James Burbank, den eine solche Frechheit außer sich brachte.
– Wer?... Die Richter, die ich verlange.
– Richter?... Die werden Sie ohne Erbarmen zum Tode verurtheilen.
– Dann werd' ich ja sehen, was ich zu thun habe.
– Sie weigern sich also unbedingt, mir eine Antwort zu geben?
– Ganz entschieden!
– Auch nicht um den Preis Ihrer Freiheit, die ich Ihnen dafür biete?
– Von dieser Freiheit mag ich nichts wissen.
– Auch nicht um den Preis eines ganzen Vermögens, das ich...
– Ich brauche Ihr Vermögen nicht. Und nun, mein Herr, lassen Sie mich in Ruhe.«
James und Gilbert Burbank fühlten sich einer solchen Sicherheit dieses Mannes gegenüber wirklich verblüfft, da sie nicht begreifen konnten, worauf dieselbe sich gründete und wie Texar sich einer Untersuchung auszusetzen wagen konnte, die doch nur mit seiner Verurtheilung zum Tode oder doch zur schwersten Freiheitsstrafe ausgehen mußte. Weder die Freiheit noch das ihm versprochene Gold hatte ihm eine Antwort entlocken können, so daß es nur durch einen gar nicht zu stillenden Haß erklärlich schien, wenn er seinen eigenen Vortheil so auffällig aus den Augen setzte. Diese räthselhafte Persönlichkeit wollte selbst gegenüber den schlimmsten, für ihn daraus erwachsenden Folgen nicht der Rolle untreu werden, die er bisher gespielt.
»Komm', Vater, komm'!« sagte der junge Officier.
Er zog damit James Burbank schon aus dem Gefängnisse. An der Thüre fanden sie Mr. Harvey, und alle Drei beschlossen, sich zum Commandanten Stevens zu begeben und diesem von ihrem fruchtlosen Schritte Meldung zu machen.
Zur selben Zeit war eine Proclamation des Commodore Dupont an Bord der Flottille eingetroffen; an die Einwohner von Jacksonville gerichtet, enthielt sie die Zusicherung, daß Niemand wegen seiner politischen Anschauung verfolgt,[277] noch wegen thätiger Theilnahme an solchen Maßregeln bestraft werden solle, die seit dem Beginne des Bürgerkrieges zum gewaltsamen Widerstand Floridas getroffen worden wären. Die Unterwerfung unter das Sternenbanner deckte, soweit das allgemeine Angelegenheiten betraf, jede Verantwortlichkeit.
Offenbar konnte diese an sich sehr weise Maßnahme, für welche unter ähnlichen Verhältnissen der Präsident Lincoln stets eingetreten war, keinen Bezug auf private Angelegenheiten und Streitigkeiten haben. Hierher gehörte aber offenbar die Sache Texar's. Daß er aus den Händen der gesetzmäßigen Behörden die Gewalt an sich gerissen, daß er diese zur Organisation des Widerstandes mit Waffengewalt angewendet, das war eine Frage, die nur zwischen Südstaatlern als solchen Bedeutung hatte, und eine Frage, um deren Erledigung sich die föderirte Regierung nicht weiter kümmerte. Seine Attentate auf Personen aber, sein Ueberfall von Camdleß-Bay, der sich gegen einen einzelnen Nordstaatler richtete, die Vernichtung seines Eigenthums, der Raub der Tochter desselben und einer zu dessen Personal gehörigen Frau, das waren Verbrechen, welche das gemeine Recht berührten und denen gegenüber die Gerechtigkeit vollkommen freien Lauf behalten mußte.
Hierhin ging die Ansicht des Commandanten Stevens, der auch Commodore Dupont rückhaltslos zustimmte, als die Anklage James Burbank's und dessen Antrag bezüglich einer gerichtlichen Untersuchung gegen den Spanier zu seiner Kenntniß gebracht worden waren.
Am folgenden Tage, am 15. März, wurde denn auch eine Ordonnanz abgeschickt, welche Texar unter der Anschuldigung der Plünderung und des Menschenraubes vor das Kriegsgericht führte. Vor dieser Behörde, welche zur Zeit ihren Sitz in Saint-Augustine hatte, sollte der Angeklagte sich gegen das ihn Vorliegende verantworten.[278]
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