Vierter Auftritt

[258] Die Vorigen, Atreus.


ATREUS.

Ha! bist du hier?

THYEST.

Ich bin's, Verruchter! ja,

Damit ich dir noch einmal fluchen kann,

Eh ich dies graue Haar zur Grube trage;

Die Söhne seh', die du geschlachtet hast,

Und ...

ATREUS.

Stolz genug! weißt du, wer du hier bist?

THYEST.

Ich? – König von Myken und Argos!

ATREUS.

So?

Wo liegt dein Staat?

THYEST.

Da, wo die Schändlichkeit

In menschlicher Gestalt itzt herrscht. – Sie herrsche!

Oh! dürfte sie Thyest nicht vor sich sehn! ...

Ihr Götter seid einmal gerecht! es fehlt

Euch ja an Blitzen nicht! werft sie herab!

Vertilgt ...

ATREUS.

Du bist wohl sehr ergrimmt, daß du

Nicht ihre Blitze trägst? doch, dank es mir,

Daß dich die meinigen nicht schon verzehrt! –

THYEST.

Oh! hätten sie's getan! so hätt' ich nicht

Die schrecklichste der Taten da gesehn,

Vor der die Sonne selbst ihr Angesicht

Verbarg und die Natur zurückebebte!

So hätt' ich nicht an deiner Hand mein Blut

Wegtröpfeln sehn; so wär' mein armer Staub

Bloß deiner Rache Spiel: Du könntest ihn

Auf jenen Flecken streun, wo itzt mein Blut

Der Götter Rach' erfleht, und ich säh' dort

Mit den Unsterblichen herab, um dich

Hier zu verachten! –

ATREUS.

Ha! – wie aber? wenn

Ich unsern Zwist vergäß', voll Gnad und Huld

Vergäß', daß du Thyest mein Bruder wärst,[259]

Und dieses Reich mit dir zu teilen wagte? –

Hast du den Götterspruch gehört? –

AEGISTH.

Oh! wär'

Es Ernst!

KÖNIGIN.

Umsonst!

THYEST.

So flucht' ich deiner Huld! ...

Weg! Du betrügst mich nicht! das letztemal

Betrogst du mich also! – da glaubt' ich, daß

Ein Tropfen Bluts voll Menschlichkeit in dem

Noch übrig wär', den mit mir eine Brust

Getränkt, ein Blut genährt. – Oh! wehe mir,

Daß ich es da geglaubt! ... Und wär' es wahr,

So möcht' ich nicht mit dir das Reich ... mit dir? –

Nein, Qual und Tod! ihr seid mir lieblicher!

ATREUS.

So wär's der Mühe wert, dich neben mir

Zu setzen!

THYEST.

Ja, dies sieht dir ähnlich! So

Bist du mein Bruder: – So – doch sag' ich dir:

Dich stieß ich dann in Abgrund ...

ATREUS.

Wenn du könntest,

Verräter! weißt du, daß von meinem Winke

Dein Leben hängt?

THYEST.

Und darum ekelt mir's!

KÖNIGIN.

Ha! unerträglich stolz!

ATREUS spöttisch.

Es steht ihm wohl!

AEGISTH beiseite.

Mehr als zu wohl!

ATREUS.

Dies Bettlerkleid ... wo hast

Du es geborgt? –

THYEST.

Und wem stahlst du das Gold,

Den Purpur, der dein niedrig Herz versteckt?

ATREUS.

Die Götter gaben mir's, weil ich's verdiente!

THYEST.

O Götter! hört! hört, wie er eurer spottet! ...

Gewiß durch Opfer?

ATREUS.

Ja, du gabst mir sie

Ja selbst?

THYEST.

Abscheulicher! sie hören dich,[260]

Die Götter! sind sie gleich parteiisch itzt,

So kömmt doch eine Zeit – sie kömmt gewiß,

Da meiner Kinder Blut und diese Fesseln,

Die du mir angelegt, beim Jupiter

Mehr als des Zepters Last, die du geraubt,

Mehr wägen werden. Dann wird noch für dich

Ein Geier übrig sein, der dir ohn' Ende

Dein immer wachsend Herz zerfressen wird,

So wie du mir mein Herz! –

ATREUS.

Du leugst! Du fraßest

Es selbst ... Du redest doch von deinen Kindern?

Hast du nicht ihrer mehr? –

THYEST.

Nein, ich bin übrig!

Zerfleische mich! Dein Rachen dürstet Blut,

Ich seh' es wohl. Vielleicht wird es dein Gift!

Vielleicht trag' ich in meinem Blut die Pest,

Die itzt dein Bruder ist, und dir die Müh'

Erspart und würgen hilft! – O Pelops Stamm!

Unglücklichs Volk! dem du Beherrscher gabst! –

ATREUS.

Nein, du sollst leben! Nein, ich raubte mir

Die königliche Lust, an deiner Wut

Mich zu ergötzen? tief in deinen Blicken

Den innern Gram zu spähn ...

THYEST zum Aegisth.

Ja, eine Lust,

Die deiner würdig ist! ... Da lern, Aegisth,

Welch eines Vaters du dich rühmen darfst!

Lern es, du Weib, welch einen Mann du hast!

Dann redet mir von Lieb' und Mitleid vor! ...

KÖNIGIN.

Verachtest du sie nicht? –

AEGISTH.

Mein Vater!

ATREUS.

Schweig!


Zum Thyest.


Du findest hier nicht die Aerope mehr,

Die du verführen kannst. –

THYEST.

Dies weiß ich: dies

Macht sie auch deiner wert. Aerope war

Es nicht: sie war schon mein, eh du durch Zwang[261]

Sie in die Bande schlugst, die ich zerriß:

Und war ich strafenswert, so hab' ich g'nug

(Ihr Götter! wißt es selbst!) dadurch gebüßt,

Daß sie dir zugehört. – Dein schwarzes Herz

Braucht andere Gehülfen, so – wie die ...

ATREUS.

Er meint dich, Königin, und dich, Aegisth! –

Ihr sollt gerächet sein! – Ihr sollt es sehn,

Wie ihn des Folters Grimm zerrenkt, von Glied

Zu Glied den flücht'gen Geist umher erst jagt,

Eh er den Ausgang trifft, eh ihn der Tod

Mit kaltem Arm umfaßt; ihr sollt es sehn!

THYEST.

Ihr sollt es sehn, wie auf der Folter ich

Des Wütrichs lachen will ... Was zauderst du,

Tyrann! komm! sei du selbst mein Henkersknecht,

Damit ich dir im letzten Odemzuge

Noch fluchen kann, du deine Taten krönst,

Und dir, dir selbst, als dem Unmenschlichsten,

Dem Scheußlichsten, die späte Nachwelt fluche.

ATREUS.

Fort! mir aus dem Gesicht!

THYEST.

Dies wünscht' ich längst!

ATREUS.

Führ ihn, Aegisth, tief in die finstre Nacht

Des Kerkers unter uns, bis meine Wut

Erst überdacht, was für ihn Schreckliches

Noch übrig ist! ...

THYEST zum Aegisth.

Komm fort! – was zauderst du?

AEGISTH der sich die Augen wischt.

Mein Vater! – denk, was ich ihm zugesagt!

Laß meine Tränen dich ...

ATREUS.

Was sagst du? fort,

Verfluchter! fort, mit ihm mir aus den Augen,

Wo dich nicht auch mein Grimm ergreifen soll!


Aegisth gehet mit Thyesten ab.


Quelle:
Das Drama des Gegeneinander in den sechziger Jahren, Trauerspiele von Christian Felix Weiße. Leipzig 1938, S. 258-262.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Geistliche Oden und Lieder

Geistliche Oden und Lieder

Diese »Oden für das Herz« mögen erbaulich auf den Leser wirken und den »Geschmack an der Religion mehren« und die »Herzen in fromme Empfindung« versetzen, wünscht sich der Autor. Gellerts lyrisches Hauptwerk war 1757 ein beachtlicher Publikumserfolg.

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon