12. Angenehme Sterbens-Gedanken[32] 1

1721.


Die Bäume blühen ab,

Die Blätter stürzen:

Mir wird das liebe Grab

Mein Elend kürzen


Getrost, ich sehe schon

Das Bäumlein blühen,

Und meines Leibes Thon

Gerader ziehen.


Mein Grabstein springt entzwey,

Der Schlaf vergehet:[32]

Der Leib wird Kerker-frey,

Mein Tod verwehet.


Der Fäulnis finstre Baar,

Und die Verwesung

Verliert sich ganz und gar

In der Genesung.


Der Sturm, der unsern Geist

Vom Leibe treibet,

Und uns von hinnen reißt,

Hat ausgestäubet.


Man höret ferner nicht

Des Windes Brausen:

Man spürt im stillen Licht

Ein lieblich Sausen.


Ein Wind von Jehova

Wird ausgeblasen:

Die Beine liegen da

In grünen Rasen.


Auf Hoffnung liegen sie

Der Auferstehung,

Und warten spat und früh

Der Stands-Erhöhung.


Ihr seyd zu Staub verbrant,

Ihr kahlen Beine,

Und euer spröder Sand

Ist Wunder-kleine.


Ihr seyd fast aufgelekt,

Ihr Aschen-Haufen:

Die Tieffe, die euch dekt,

Ist angelaufen.


Ihr seyd aufs Feld gesät,

Ihr kahlen Knochen,

Und in der Luft verweht,

Zerquetscht, zerbrochen.
[33]

Die hat des Abgrunds Wut

Durchaus zerwühlet:

Die eine schnelle Fluth

Hinweg gespület.


Ihr wißt nicht, hie und da

Verstreute Glieder!

Wie euch das Wort so nah,

Es ruft euch wieder.


Der Mann, in welchem es

Beschlossen ware,

Der kommt mit Lob-Getös'

Der Helden-Schaare.


Man thut die Bücher auf,

Es wird gelesen,

Wie eines jeden Lauf

Bewandt gewesen.


Der wird als Satans Theil

Hinweg getrieben:

Der steht zum Trost und Heil

Im Buch geschrieben.


Wie wird es mir ergehn

An diesem Tage?

Wo wird mein Urtheil stehn?

Wer hält die Waage?


Triumph! der hier erscheint

Im rothen Kleide,

Der ist mein weisser Freund:

Eins sind wir beyde.


Da solte ich für mich

Nichts Gutes hoffen?

Wer so besteht, wie ich,

Der hats getroffen.


Ich war ein Sünden-Kind,

Wie andre Sünder:[34]

Allein, ich überwind

Im Ueberwinder.


Ich bin an Seinen Stamm

Hinan gedehnet:

Er ist das reine Lamm,

Das Gott versöhnet.


O Lamm, vergönne mir

Dich zu begleiten!

Mein Mann, ich weiche Dir

Nicht von der Seiten.


Ich sehe schon hinein

In Deine Wonne:

Hie blitzt der klare Schein

Von Salems Sonne.


Wie mancher stehet da

In reiner Seide!

Wie ist Dir der so nah

Im weissen Kleide.


Den hielt man in der Welt

Für einen Narren,

Der, dort im Ruhe-Zelt,

Zog lang im Karren.


Wie seufzte Deine Magd

Im Kranken-Bette!

Wie oft hat sie gesagt:

Wer Flügel hätte!


Und itzo seh ich sie

Mit Palmen-Zweigen,

Befreyt von aller Müh,

Aus Zion steigen.


Wo ist der arme Mann,

Der hier nur thränte,

Und sich von Jugend an

Nach Salem sehnte?
[35]

Da sitzt er Freuden-voll

Zu Deinen Füssen,

Und gibt Dir einen Zoll

Von tausend Küssen.


Und jener, welcher hier

Dein Häuflein lehrte,

Und viele, HERR, zu Dir,

Dem Licht, bekehrte,


Steht prächtig oben an,

Als eine Sonne,

Und jauchzet, was Er kan,

Bey solcher Wonne.


Der Dich in dieser Zeit

Als Liebe priese,

Und zur Gerechtigkeit

Die Menschen wiese:


Der blitzt in Deinem Glanz,

Gleich einem Sterne,

Sein Name leuchtet ganz

Auch in der Ferne.


Der helle Haufe glänzt

Vor Deinem Throne,

Den in der Zeit bekränzt

Die Marter-Krone.


Dort bey des Lammes Mahl

Erscheint im Reigen

Die auserwehlte Zahl

Der treuen Zeugen.


Was unsrer Väter Schaar

Und den Propheten,

Ins Ohr vertrauet war,

Hört man trompeten.


Die Zwölfe, die Du Dir

Zur Lust erlesen,[36]

Die krönet für und für

Vollkommnes Wesen.


Nun Dirs gefallen hat

Dein Volk zu rächen;

So sitzen sie im Rath

Das Recht zu sprechen.


Hie wird die trübe Zeit

Im Licht verschlungen,

Und der DreyEinigkeit

Triumph gesungen.


Diß Heilig Eine Drey

Wird aufgekläret,

Der Glaube schauet frey

Was ihn genehret.


Die Gott gerufen hat

Und die gekommen,

Die werden in der That

Nun aufgenommen.


Der Glaub in seinem Lauf

Hat ausgegläubet:

Die Hoffnung höret auf:

Die Liebe bleibet.


Hier frag ich nicht einmal,

Wo ich soll bleiben?

Wer will mich aus der Wahl

Der Gnaden treiben?


Ich traue mächtiglich

Dem Hochgeliebten:

Sein Herze neiget sich

Zu den Geübten.


Vor Zeiten hielt ich mich

An Sein Erbarmen:

Und itzo hange ich

In Seinen Armen.
[37]

Ich dringe zu Ihm zu,

Er muß mir geben

Auf Arbeit, süsse Ruh,

Auf Sterben, Leben.

Fußnoten

1 Im Herbst.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 32-38.
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