[241] Bossenwerk, Bossage oder Rustika, Mauerwerkbildung, bei der die Stoß- und Lagerfugen der einzelnen Steine glatt bearbeitet sind, während der mittlere Teil des Quaders mehr oder weniger stark vortritt.
Bossenwerk wurde im Altertum niemals in der schönen Baukunst verwendet, höchstens an Türmen und Substruktionen; dagegen finden wir an Römerbauten, z.B. dem Amphitheater in Verona u.a. Bossenwerk nur an den Lager- und Stoßfugen bearbeitet, die dazwischenliegende Fläche rauh belassen und einer späteren Ueberarbeitung und Vollendung vorbehalten, die dann nicht mehr stattgefunden hat. Nach solchen Vorbildern übernahm später die Renaissanceperiode die Ausbildung des Bossenquaders als Kunstmotiv. In der Frührenaissance sah man die Anbringung des Bossenwerkes als Ersatz für das damals übliche Fortlassen der Säulen- und Pilasterarchitektur an. In Italien nannte man das Bossenwerk »Rustika«, was so viel wie »ländlich« bedeutet, wahrscheinlich weil sich diese Bauart zuerst aus der ländlichen Baukunst entwickelte; bald aber bildete es das Hauptmotiv der Dekoration der bedeutendsten Paläste der Frührenaissance, so namentlich P. Pitti, P. Strozzi, P. Riccardi in Florenz u. m. a.
Der dekorative Quader zerfällt in zwei Teile: 1. den Rand und 2. den Spiegel. Der Rand ist ein Rahmen, der den Spiegel umzieht; die einfachste Form desselben ist ein ringsherumlaufender glatter Saum (Fig. 1). Später erhielt derselbe Bereicherungen durch Hinzufügung eines Wulst (Fig. 2), eines Kymations (Fig. 3) oder ähnlicher Formen, die überdies durch einen kleinen Rundstab oder ein Plättchen an dem Spiegel befestigt erschienen. Viel reicher und verschiedenartiger wurde der Spiegel durchgebildet; in seiner rohesten Form wurde er gar nicht bearbeitet, vielmehr der Stein so belassen, wie er aus dem Bruche kam (Fig. 4), ein Dekorationsmotiv, das sich namentlich als Unterbau zu mächtigen Bauten sehr wohl eignete. Die Frührenaissance liebte den Polsterquader, der in einer runden, wohl behauenen, aber elastischen Linie aus der Mauer hervorquillt (Fig. 5). Eine weitere, sehr verwendbare Form erhielt der Spiegel als rauhe, vertikale, dem Rahmen parallele Fläche (Fig. 6). Noch später gab man dem Spiegel die Gestalt von Kristallen. Der Stein endete in der Mitte entweder in einer scharfen Kante (Fig. 7), einer kleinen Fläche (Fig. 8) oder einer Spitze (Fig. 9). In der französischen Renaissance treten Verzierungen der Spiegelflächen auf, die das Maß des Zulässigen bereits überschreiten; dazu gehören Regenwurmgänge, Bohrlöcher, Eiszapfenbildungen u. dergl. In der Barockzeit ging man noch einen Schritt weiter, indem man nicht nur die Wand, sondern auch Säulen und Pilaster sowie die Einfassungen der Fenster und Türen mit Bossenwerk durchsetzte.
Literatur: Handbuch der Architektur, 2. Teil, Bd. 2: Baukunst der Römer von D. Jos. Durm, 4. Kap., S. 126; Bd. 5: Baukunst der Renaissance in Italien von D. Durm.
Weinbrenner.