[76] Aucassin und Nicolete (spr. ōkassäng), altfranz. Novelle, die zu dem Besten gehört, was die Literatur des Mittelalters hervorgebracht hat. Der ungenannte Verfasser scheint ein Wallone gewesen zu sein, doch ist der Text in der einzigen Handschrift ins Picardische umgeschrieben. Die Dichtung, die in den Anfang des 13. Jahrh. gesetzt wird, spielt in Beaucaire an der Rhone. Aucassin, der Grafensohn, liebt das gefangene Sarazenenmädchen Nicolete, und es gelingt ihm, trotz aller Hindernisse, welche die Eltern der Vereinigung der Liebenden entgegenstellen, mit ihr zu entfliehen. Es folgen einige phantastische Abenteuer; die Liebenden werden aufs neue getrennt, und Nicolete gelangt schließlich, in Spielmannstracht verkleidet, nach Beaucaire, wo Aucassin inzwischen nach dem Tode seines Vaters Graf geworden ist und sich mit ihr vermählt. Die Novelle bezeichnet sich als eine Cantefable, weil sie abwechselnd aus poetischen und prosaischen Abschnitten besteht. Von neuern Bearbeitungen sind zu nennen die von Sainte-Palaye (»Les amours du bon vieux temps«, Par. 1752), die Oper von Sedaine, komponiert von Grétry (Par. 1779), Graf Platens Drama »Treue um Treue«. Die französische Übersetzung Bidas (Par. 1878) ist von dem Künstler mit lieblichen Radierungen ausgestattet. Die beste deutsche Übersetzung ist die von Wilhelm Herz im »Spielmannsbuch« (2. Aufl., Stuttg. 1900); eine andre von Fritz Gundlach erschien in Reclams Universalbibliothek 1891. Den alten Text bietet die Ausgabe von H. Suchier (4. Aufl., Paderb. 1899). Ein Faksimile des ganzen Tertes gab Bourdillon heraus (Oxf. 1896).