Kurs [2]

[868] Kurs eines Schiffes ist die Kompaßrichtung, in der sich das Schiff vorwärts bewegt. Der K. wird von N. und S. nach O. und W. gezählt und in Graden oder in Strichen und Teilen von Strichen (ein Strich ist der achte Teil eines Quadranten, also 111/4°) angegeben. In der deutschen Kriegsmarine, ebenso in der italienischen, österreichisch-ungarischen und holländischen, wird neuerdings der K. am Kompaß von 0°-360°, von N. beginnend über O., S. und W. rechtsherum gezählt, bezeichnet, so daß z. B. 45° Nordostkurs 225° Südwestkurs bedeutet. In der deutschen Handelsmarine ist diese eigentümliche Berechnungsweise nicht eingebürgert; man rechnet dort wie in der englischen, nordamerikanischen und andern Martnen von N. und S. 90° nach O. und W., so daß N 45° O Nordostkurs, S 45° W Südwestkurs bedeutet. Je nachdem man von der wahren oder magnetischen Nord-Südrichtung ausgeht, unterscheidet man wahren oder rechtweisenden und mißweisenden K.; beide sind um den Betrag der magnetischen Deklination oder Mißweisung voneinander unterschieden; durch Anrechnung der Mißweisung auf den mißweisenden K. erhält man den rechtweisenden und umgekehrt. Das Schiff wird mit Hilfe des Kompasses auf dem K. gehalten (vgl. Kompaß); der K., den das Schiff nach dem Kompaß anliegt, wird Kompaßkurs oder gesteuerter K. genannt; gesteuerter K. und mißweisender K. weichen um den Betrag der Deviation (s. d.) voneinander ab; durch Anrechnung der Deviation auf den gesteuerten K. erhält man den mißweisenden K. Am zweckmäßigsten, aber noch nicht überall üblich, ist die unmittelbare Berechnung des wahren oder rechtweisenden Kurses aus dem Kompaßkurs durch Bestimmung der Gesamtfehlweisung des Kompasses aus Azimut- oder Amplitüdebeobachtungen oder aus Landpeilungen. Denkt man sich die Kurslinie des Schiffes auf der Erdoberfläche ausgezeichnet, so bildet sie eine Kurve, die alle Meridiane unter demselben Winkel schneidet und sich dem Pole nähert, ihn jedoch nie erreicht; solche Linie heißt die loxodromische Linie oder Loxodrome. Auf Karten, die nach der wachsenden oder Mercatorprojektion konstruiert sind, bildet die Loxodrome eine gerade Linie; deshalb kommen als Seekarten (s. d.) fast ausnahmslos solche Karten zur Verwendung. Der zwischen zwei Punkten in der Loxodrome vom Schiff zurückgelegte Weg heißt Distanz und wird in Seemeilen ausgedrückt. Ist der K. eines [868] Schiffes rechtweisend Nord oder Süd, so fährt es im Meridian, und die Distanz ist gleich der Veränderung des Schiffsortes in geographischer Breite. Der rechtweisende K. Ost oder West führt ein Schiff auf einem Breitenparallel entlang; auf dem Äquator ist dann die Distanz gleich der in Minuten ausgedrückten Veränderung des Schiffsortes in geographischer Länge; auf jedem andern Breiten parallel erhält man die Längenänderung, indem man die Distanz mit der Sekante der geographischen Breite multipliziert, weil die Längenminuten auf der Erdoberfläche mit zunehmender Breite in diesem Verhältnis kleiner werden. Bei jedem andern K. läßt sich aus K. und Distanz die Änderung des Schiffsortes in geographischer Länge und Breite durch Berechnung rechtwinkliger Dreiecke ableiten. Die Bestimmung von Länge und Breite des Schiffsortes auf See aus K. und Distanz oder die Berechnung von K. und Distanz zwischen zwei Punkten (Abfahrts- und Bestimmungsort) bildet die Aufgabe der Besteckrechnung. Wenn ein Schiff mehrere Kurse hintereinander steuert, wird die resultierende Richtung aller Kurse der Generalkurs, die dazugehörige Distanz Generaldistanz genannt; Generalkurs und Generaldistanz sind gleich dem K. und der Distanz zwischen dem Anfangspunkt des ersten Kurses und dem Endpunkt des letzten Kurses; der Seemann nennt diese Berechnung das Koppeln oder den Koppelkurs: »die Kurse werden gekoppelt«. Zur Erleichterung der Koppelrechnung dienen Koppeltafeln, in denen alle möglichen Kursdreiecke im voraus berechnet sind.

Fig. 1. Kursdreieck.
Fig. 1. Kursdreieck.

Je nachdem in den Koppeltafeln der K. in Graden oder Strichen angegeben ist, unterscheidet man Gradtafeln und Strichtafeln. Das Kursdreieck (Fig. 1) hat als Hypotenuse (a) die Distanz, als Katheten den Breitenunterschied (b) und die Längenabweichung (c). Der Kurswinkel ist γ. Auf dem Äquator ist die Abweichung in Seemeilen gleich dem Längenunterschied in Minuten, auf 60° Nord- oder Südbreite ist 1 Seemeile Abweichung gleich 2 Minuten Längenunterschied.

Fig. 2. Mittelbreitendreieck.
Fig. 2. Mittelbreitendreieck.

Für jede Breite findet man aus der Abweichung in Seemeilen den entsprechenden Längenunterschied in Längenminuten ebenfalls aus den Koppeltafeln, wobei man das Kursdreieck als Mittelbreitendreieck (Fig. 2) betrachtet: darin ist die Hypotenuse (a) der Längenunterschied, die Kathete (c) die Abweichung und Winkel β die Mittelbreite, für die der Längenunterschied bestimmt werden soll. Aus der Abbildung wird sofort klar, daß, wenn β = 60°, c = a/2 sein muß, d. h. daß auf 60° Mittelbreite 1 Seemeile Abweichung 2 Minuten Längenunterschied entspricht.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 868-869.
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