Verhandlungsmaxime

[75] Verhandlungsmaxime (Verhandlungsprinzip) nannte man im gemeinen Prozeß den Grundsatz, daß der Richter bei seinem Vorgehen die Anträge der Parteien abzuwarten habe und an die Angaben derselben gebunden sei. Dieser, auch andre Gesetzgebungen beherrschende Grundsatz bildet die Kehrseite der Dispositionsmaxime (s. d.): wie die letztere den Parteien das Recht freier Verfügung einräumt, so verpflichtet die V. den Richter, nichts zu tun, was dieses Verfügungsrecht vereiteln oder beschränken könnte. Aus der V. wurden im gemeinen Prozeß die Folgesätze abgeleitet: daß der Richter das Vorgehen eines Klägers abzuwarten habe (nemo judex sine actore); daß er in dem begonnenen Prozeß nur auf Betreiben der Parteien weiter tätig werde (judex ne procedat ex officio); daß er seine Entscheidung nur auf das von den Parteien beigebrachte Material stützen dürfe (judex secundam allegata et probata a partibus judicare debet); und daß es unstatthaft sei, den Parteien mehr oder etwas andres, als worum sie gebeten haben, im Urteil zuzuerkennen (judex ne eat ultra petita partium). Die V. beherrscht naturgemäß den Zivilprozeß; sie bildet auch die Grundlage des deutschen Zivilprozesses, während die neue österreichische Zivilprozeßordnung sich vielfach von ihr entfernt. Ihre Übertragung auf den zurzeit vom Inquisitionsprinzip (s. d.) beherrschten Strafprozeß würde dessen Wesen widersprechen (s. Offizialmaxime und Untersuchungsmaxime).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 75.
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