[255] Die Kämpfe der Geschlechter der Minamoto und der Taira, welche durch die Heldensagen der Japaner verherrlicht und noch heute in lebendiger Erinnerung beim Volke sind, endeten mit der Erwerbung der weltlichen Macht durch das Haupt der Minamoto-Familie, durch Yoritomo, im Jahre 1187 der christlichen Zeitrechnung. Nicht lange jedoch erfreute sich dieser des blutig erkauften Thrones, und auch seine Nachkommen gingen durch ihre eigenen Frevelthaten zu Grunde. Auf diese Weise geschah es, daß ein anderes, den Taira verwandtes Geschlecht, die Hojo, sich an ihrer Stelle aufschwang und mit Kraft die Angelegenheiten des Landes im Namen der Kaiser verwaltete.[255]
So blieb es bis ins vierzehnte Jahrhundert, als endlich ein Kaiser den Thron bestieg, der sich die Tyrannei der Hojo-Familie nicht mehr gefallen lassen wollte. Als nun einstmals eine Theuerung eintrat und das Volk murrte, weil die Minister es darben ließen und keinerlei Hülfe schafften, da stellte sich jener Kaiser, Go-Daigo mit Namen, selbst an die Spitze der Unzufriedenen und that die Hojo in Acht und Bann.
Allein die Rebellen, die freventlicher Weise dem Sprößlinge der Götter widerstrebten, waren im Besitze einer großen Macht und wußten auch vermöge ihrer überlegenen Kriegskunst stets den Sieg zu behaupten. Go-Daigo selbst ward von ihnen gefangen genommen und auf einer einsamen, entlegenen Insel in strenger Haft gehalten.
Die Getreuen des Kaisers verzweifelten schon, als in der größten Noth ein Helfer erstand, der Feldherr Kusunoki, dessen Geschick in der Führung der kaiserlichen Truppen deren vollständige Niederlage vereitelte. Abermals stießen zahlreiche Scharen zu seinen Fahnen, und bald war er stark genug, gegen die Hauptstadt Kioto zu ziehen, in welcher die Häupter der Hojo-Familie wohnten und ihre Hauptmacht beisammen hatten; allein das Geschick des Kaisers machte ihm und den Seinen viel Sorge. Man wußte nicht einmal, ob er noch am Leben war.
Da entschloß sich denn Kusunoki, ihn zu suchen. Schon mehrere Provinzen hatte er vergebens durchstreift, als ihn ein glücklicher Zufall eben auf jene Insel führte, auf welcher man den Kaiser Go-Daigo gefangen hielt. Verkleidet schlich Kusunoki sich heran und erkundete, daß der Kaiser täglich einen Spaziergang zu einem schönen Baume machte und oft stundenlang wehmüthig denselben betrachtete. In die Rinde dieses Baumes schnitzte nun Kusunoki die Nachricht, daß die Getreuen des Kaisers nahe seien, um ihn zu befreien, daß das Heer wieder erstarkt sei und nur der Ankunft des Herrschers selber harre, um mit neuem Muthe vorzurücken. Go-Daigo las die Buchstaben, welche Kusunoki in den Baum geschnitzt, und entfloh aus seinem Gewahrsam.[256] Als er im Lager seiner Anhänger ankam, jubelte das ganze Heer und verlangte, gegen den Feind geführt zu werden.
Nun aber hatten die Hojo unter ihren Feldherren den tapfersten Krieger jener Zeit, den Nitta Yoschisada, einen würdigen Nachkommen jenes Helden Yoschiiye, dem man vor Alters den Beinamen »Jünger des Hatschiman« gegeben; er gehörte also auch zu dem erlauchten Geschlechte der Minamoto. Da sie seinen Werth wohl zu schätzen wußten, hatten ihn die Häuptlinge der Hojo mit Ehren überhäuft und ihm ein großes Heer anvertraut.
Als indessen eben das Schwert zwischen Yoschisada und Kusunoki entscheiden sollte und alle Anhänger des Kaisers um den Ausgang große Besorgniß hegten, da versuchte Kusunoki noch einmal, seinen von Freund und Feind hochgeschätzten Gegner von der Gerechtigkeit der Sache des Kaisers zu überzeugen, und die Götter halfen ihm: Yoschisada schlug sich auf die Seite des rechtmäßigen Kaisers Go-Daigo, erklärte der Hojopartei den Krieg und gab damit dem ganzen Streite eine entscheidende Wendung.
Von nun an war er der oberste Führer der Kaiserlichen, denen unter seiner erprobten Leitung das Glück stets hold blieb, so daß die Truppen der Hojo weiter und weiter zurückgedrängt wurden.
Immer aber waren sie noch im Besitze großer Streitkräfte und namentlich vieler festen Plätze, unter denen Kamakura, einst Yoritomo's Wohnsitz, an der Südküste in der Provinz Sagami, nicht weit von der wohlbekannten Insel Yenoschima belegen, der wichtigste und stärkste war. Nitta Yoschisadas Heer rückte von Osten her, den Meeresstrand entlang, zum Sturme auf die feindlichen Befestigungen heran; die Gegner waren entschlossen, ihre Stellung um jeden Preis zu behaupten. Wie ganz erklärlich, waren ihre Vertheidigungswerke vornemlich auf den Angriff von der Ostseite her berechnet, auf welcher man das Herannahen der Feinde erwartete, und es entging Nitta Yoschisada's Feldherrnblicke nicht, daß er durch einen Ansturm von der entgegengesetzten[257] Seite viel leichter den Sieg erstreiten würde. Allein er wußte nicht, wie er dahin gelangen sollte. Noch Abends spät vor dem entscheidenden Tage ritt er mit seinem Gefolge aus, und als er an den Meeresstrand gelangte, da warf er sein Schwert, ein ihm besonders werthes, kostbares Erbstück, in die Fluthen und betete zum Meeresgotte Kompira, er möge dies Opfer gnädig annehmen und dafür ihm seine Hülfe angedeihen lassen. Als nun am anderen Morgen das Heer in Schlachtordnung ausrückte, da fand es einen breiten Streifen ebenen Landes längs des Gestades trocken vor und sah daraus, daß der Götter Hülfe wirklich ihrem Führer zur Seite stand. Alles jubelte laut, und mit verdoppeltem Muthe rückte man auf dem so unerwartet gebahnten Pfade vor. Der Feind ward auf diese Weise umgangen und überrascht, und es währte nicht lange, so war Kamakura erstürmt und niedergebrannt. Alle Gegner unterwarfen sich nun schleunig dem Kaiser, die Häuptlinge der Hojo-Partei entleibten sich, und Friede und Ruhe kehrten in das arg heimgesuchte Land ein.
Leider dauerte dies nicht lange. Der Sohn des Kaisers, der von ihm mit hoher Gewalt bekleidet ward, machte sich durch seinen Uebermuth und seine Gewaltthätigkeit bald sehr verhaßt, und an die Spitze der Unzufriedenen trat Niemand anders als Taka-Uji, ein Vetter Nitta Yoschisada's, während dieser, wie nicht anders von ihm zu erwarten, trotz aller gerechten Klagen über das Gebahren des Thronfolgers seinem Kaiser getreu blieb. Er befehligte das kaiserliche Heer und wußte trotz der Uebermacht seines Vetters ihm lange Zeit mit Erfolg zu widerstehen, bis er endlich bei einem kühnen Ritte, den er mit nur achtzig Kriegern unternahm, um die Stellung der Feinde auszukundschaften, den Heldentod fand. Taka-Uji hatte von seinem Streifzuge Nachricht erhalten und sandte dreitausend Bewaffnete aus, um Yoschisada mit seiner kleinen Schaar einzufangen. Allein der heldenmüthige Yoschisada wollte sich weder ergeben, noch durch Flucht sich retten; wild stürzte er in den dichtesten Haufen der[258] Feinde und trieb sie zu Paaren, bis in dem Gedränge sein Pferd getödtet ward. Obgleich nun jede Hoffnung auf Sieg abgeschnitten war, vertheidigte er sich mit Löwenmuth und streckte noch manchen der Feinde zu Boden, bis ein Pfeil ihm in das eine Auge drang. Nun fühlte der riesenstarke Mann seinen Tod nahen; er schnitt sich daher mit eigener Hand den Kopf ganz und gar vom Rumpfe, damit derselbe nicht erkannt und als Trophäe von den Gegnern umhergetragen würde. Die wenigen seiner Gefährten, welche noch am Leben waren, folgten seinem Beispiel.
So endete Nitta Yoschisada, kaum vierzig Jahre alt, im Jahre 1338 der christlichen Zeitrechnung, nur fünf Jahre nach jenem herrlichen Siege bei Kamakura. Sein Vetter Taka-Uji fand nun keinen Widerstand mehr und riß die Gewalt und Würde eines Schogun an sich, die in seiner Familie, der Linie der Aschikaga, mehr denn zwei Jahrhunderte lang ununterbrochen forterbte.
Buchempfehlung
Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
106 Seiten, 6.80 Euro