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Dies ist die Geschichte des Tafitofau und seiner Frau Ongafau.
Die Frau wurde schwanger und gebar eine Schlange. Sie wuchs schnell heran und wurde größer und immer größer, bis sie zuerst eine Ecke des Hauses, schließlich aber das ganze Haus ausfüllte. Das Kind war eine männliche Schlange, ein Schlangerich, und wurde bald zum schönsten Jüngling im ganzen Lande. Während die Eltern hart arbeiten mußten, führte der Schlangerich seine Schönheit spazieren.
Nun lebte in einem andern Lande eine alte Frau mit ihren Töchtern, die hatten nichts zu essen. Sie hatten von dem Schlangerich gehört; und eines Tages sagte die älteste Tochter zu ihrer jüngeren Schwester: »Bitte, bring' mir einige feine Matten her. Ich will sie umbinden, will mich schön machen und die Frau des Schlangerichs werden. Dann [238] werde ich für Essen und Trinken sorgen können, und ihr braucht nicht mehr zu hungern.« »Fürchtest du dich denn gar nicht vor der Schlange?« fragte die Schwester. »O nein, ich gehe sehr gern.« »Gut, dann geh!«
Sina, so hieß das Mädchen, ging fort und suchte ihren künftigen Mann. So gelangte sie zum Hause, wo Tafitofau und Ongafau wohnten. Beide baten das Mädchen freundlich, ins Haus einzutreten, und fragten nach seinem Begehr. »Seid mir herzlich gegrüßt!« sagte das Mädchen. »Woher kommst du denn?« fragten die Alten. »Ach, verzeiht,« antwortete Sina, »ich kam hierher, um die Frau eures Sohnes zu werden.« Da sagte Tafitofau: »Wie? bist du denn nicht bange? Unser Sohn ist doch kein Mensch.« »Laßt den Schlangerich nur kommen,« sagte Sina, »ich werde gern bei ihm bleiben.« – »Nun schön, dann warte ein wenig, er muß gleich kommen,« sagten die Alten.
Und richtig, da kam der Sohn. Als der Schlangerich herankroch, äugte er sehr scharf nach Sina hin. »Sei nur nicht bange,« sagten die Eltern. Langsam kroch er heran, und das Mädchen blieb ruhig sitzen. Er rollte einen Ringel nach dem andern auf, bis die eine Ecke des Hauses ausgefüllt war, dann rollte er sich immer weiter auf, bis schließlich kein Platz mehr im Hause war.
Sina ging hinaus und schlug sich einen Kokoswedel ab. Sie flocht daraus einen Korb, ging wieder ins Haus zurück, nahm den Schlangerich und packte einen Ringel nach dem andern in den Korb. Dann lud sie sich den Korb auf die Schulter und wanderte mit der Last zum Badeplatz.
Sina ging also mit der Schlange auf dem Rücken fort, und nach einer geraumen Zeit kam sie an einen Fluß. Dort setzte sie den Korb in ein dichtes Gebüsch und ging fort, um sich einige wilde Orangen zu suchen, mit welchen sie sich abwaschen wollte.
Der Schlangerich lag unterdessen in ihrem Korbe und sagte vor Sehnsucht: »Ach, hätte ich doch einen menschlichen Körper! Dann könnte ich doch Sinas Liebe erwidern, denn [239] sie liebt mich ja von Herzen.« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da war er in einen Menschen verwandelt. Er war wunderschön und die Schlangenhaut verschwunden.
Als Sina zurückkam, saß dort ein wundersamer Häuptlingssohn auf einem Felsblock, der aus dem Wasser hervorragte. Sina bemerkte den Jüngling nicht, sie stieg ins Bad, und der Schlangerich sagte: »Liebes Mädchen, sei so gut und schenke mir einige Kokosfasern, ich möchte mich damit waschen.« Sina glaubte, daß die Schlange mit ihr sprach, und antwortete: »Nimm es mir nicht übel, aber ich habe keine Lust, eine Schlange mit Kokosfasern zu waschen.« Nach dem Bade stieg Sina ans Land und sah nach dem Korb, den sie vorher ins Gebüsch gestellt hatte. Der Korb war leer. Da fing sie an zu weinen und durchsuchte das ganze Gestrüpp; doch alles war vergeblich, die Schlange fand sich nicht.
Plötzlich bemerkte sie den Jüngling und fragte ihn: »Verzeiht, Herr, habt Ihr hier etwa eine Schlange fortgejagt?« – »Mädchen, davon weiß ich nichts. Ich habe keine gesehen.« – »Ihr lügt, Herr!« – Nun antwortete der Jüngling: »Ja, ich habe sie gesehen. Sie ist in den Wald gekrochen!« Sina suchte von neuem ebenso erfolglos wie vordem.
Aber der Jüngling rief ihr nach: »Komm her, ich bin selbst die Schlange!« Unter Tränen entgegnete Sina: »Herr, das ist nicht wahr! Ihr seht doch nicht wie eine Schlange aus!«
Da lief der Jüngling hinter ihr her, ergriff sie bei der Hand und sprach: »Komm, ich bin doch die Schlange. Ich habe mir aber einen menschlichen Körper gewünscht, um deine Liebe erwidern zu können. Hier bin ich nun in menschlicher Gestalt.« »Das ist schön!« sagte Sina.
Sie kehrten beide nach Hause zurück; und als sie ins Haus eingetreten waren, fragten die Eltern Sina: »Sag', wo ist die Schlange?« – »Hier ist sie,« antwortete das Mädchen und wies auf den Jüngling. »Du lügst, das ist nicht wahr, du hast die Schlange beiseite gebracht!« riefen Tafitofau [240] und Ongafau und waren sehr böse. Da sprach der Schlangerich: »Sina hat recht; hier bin ich; ich wünschte mir diese menschliche Gestalt, um ihre Liebe erwidern zu können.«
Nun waren die Eltern des Schlangerichs und alle Verwandten sehr froh. Nach einiger Zeit bekam Sina einen Knaben, und alle wohnten zusammen im Hause von Tafitofau und Ongafau.
Eines Tages sagte Sina zu ihrem Gatten: »Komm, wir wollen jetzt mit dem Kindchen meine Verwandten besuchen. Sie werden sich sehr freuen und für unser Kindchen gut sorgen.« »Gern,« antwortete der Schlangerich und machte sich sogleich daran, die Wegzehrung für die Reise zu bereiten und einzupacken. Dann machten sie sich auf den Weg; der Schlangerich trug den Korb mit Taro und Schweinefleisch; Sina aber hatte das Kind auf dem Rücken und trug den Kamm und das Kopfband ihres Mannes.
So wanderten sie geradeaus, bis sie an einen Scheideweg kamen. Hier führte ein Weg nach einem Dorfe, wo lauter Frauen wohnten, die jedoch böse Geister waren, und ein anderer nach den Behausungen lebender, rechter Menschen. Sie konnten sich nicht einigen, welchen Weg sie einschlagen sollten, und stritten sich lange und tüchtig herum. »Wir wollen den Weg hier links einschlagen,« sagte der Schlangerich zu seiner Frau, »und den rechts vermeiden, denn da sitzen Tausende von Geisterweibern, die mich gewiß holen.« Sina wollte jedoch nicht hören, und so gingen sie den Geisterweg. »Wie du willst,« sprach der Schlangerich, »du und das Kind tun mir jedoch leid, weil ihr den Weg hier links nicht gehen wollt!« Aber Sina hörte nicht; und so brachen sie auf und wanderten weiter, bis sie schließlich an den Ort kamen, wo die bösen Geister hausten. Ein ganzes Haus, an dem sie vorüber mußten, saß voll davon; die Geisterweiber zeigten auf die Vorübergehenden und riefen aus: »Ach, seht doch, da ist ja der Schlangerich l« – »Komm herein zu uns,« riefen [241] sie ihm zu, »und genieße etwas Kawa!« Die Reisenden gingen aber gebeugten Hauptes, als ob sie nichts gehört hätten, vorüber. Da sprang die ganze Geistergesellschaft auf, eilte auf den Schlangerich zu, ergriff ihn und brachte ihn ins Haus.
Sina zog ruhig, gebeugten Hauptes ihres Wegs weiter.
Als nun die Geisterweiber den Schlangerich schließlich wieder freigelassen hatten, rannte er hinter Sina und seinem Söhnchen her.
Nun kommen die Gesänge dieser Erzählung – mag sie wahr sein oder nicht.
»Ach Sina, liebe Gattin, ach Sina, liebe Frau!
Willst du den Zorn nicht lassen?
Ich sagt' es dir doch vorher,
Laß uns zur linken gehen,
Den Geister-Weg vermeiden.
Weil dort die bösen Weiber
Zu tausenden ja sitzen
Und mich bestimmt holen!«
Es antwortete Sina:
»O du Schlange, o du Schlange
Mit deinen Hundsaugen, mit deinen Schweinsaugen!
Hab ich nicht einen neuen Korb für dich geflochten,
Worin ich dich aufrollte und auf dem Rücken trug
Und dich fortbewegte
Und in's dichte Gebüsch legte?
Hab' ich dann nicht im Felsenbade gebadet?
Haben da deine Augen nicht geschienen?
Haben sie nicht wie das Tageslicht geleuchtet?
Saßest du nicht dort voll Sehnsucht,
Menschliche Gestalt zu bekommen?
Halt da! forderst du das Kind von mir?
Bleib' dort stehen und laß es fortholen!
Halt da! forderst du deinen Kamm von mir?
Bleib dort! ich will ihn dir zuwerfen![242]
Halt da! forderst du deine Kopfbinde?
Bleib dort! ich will sie dir zuwerfen!
Bleib' dort stehen, denn Sina kommt nicht mehr zu dir zurück,
Sie kehrt heim zu den Ihrigen!«
Dann ging Sina wirklich heim zu ihrer Mutter und Schwester; der Schlangerich kehrte aber mit seinem Söhnchen zu den Eltern zurück.
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