3.
Die Geschichte von zwei Buckligen.

[5] Am Coolgarrow-Berge wohnte ein armer, ehrlicher Mann, der sich, da ihm sein verwachsener Körper keine schweren Arbeiten erlaubte, mit dem Flechten von Stühlen und Bienenkörben ernährte. Als er eines Abends vom Markte in Enniscorthy nach Hause ging und, um den Weg abzukürzen, einen Fußpfad durch den Wiesengrund einschlug, fühlte er sich auf einmal so müde, daß er sich niedersetzen mußte. Nach kurzer Zeit schlief er ein und sah im Traum eine große Abtheilung Soldaten an sich vorbeimarschiren und hörte einen Marsch dazu spielen. Plötzlich aber stieß der Hornist so laut in's Horn, daß er aufwachte. Er saß am Rande eines rauschenden Flusses, und neben sich sah er den Eingang zu einem mit tausenden von Lampen erhellten Gemache, in dem sich unzählige Herren und Damen von winziger Gestalt in grasgrünen Kleidern bewegten. Sie tanzten und sangen und thaten, als bemerkten sie den armen Buckligen gar nicht. Dieser faßte daher Muth, schlich sich in ihr Gemach und setzte sich still in eine Ecke. Die elfenähnlichen Zwerge schienen nur ein Lied zu kennen und das bestand aus den Worten:


»Yae Luan, yae Morth –

Yae Luan, yae Morth,«


was dem armen Fremdling zuletzt so zuwider wurde, daß er plötzlich noch die Worte


»Agus Dha Haedyeen«


dazufügte. Dies freute die kleinen Leute so sehr, daß sie diese Zeile ihrem Liede einverleibten und nun


»Yae Luan, yae Morth,

Yae Luan, yae Morth,

Agus Dha Haedyeen«1


an einem fort sangen. Nach einer Weile sprachen sie zu ihm: »Wir danken dir sehr für die Verbesserung unseres Liedes und wenn wir Etwas für dich thun können, so sage es!«[5]

»Ich danke euch, meine Damen und Herren!« erwiederte er; »wenn ihr mir meinen Buckel abnehmen könnt, so macht ihr mich zum glücklichsten Manne in Irland.«

»Das soll gleich geschehen!« antworteten sie und ein Zwerg ergriff ihn bei den Beinen und warf ihn bis an die Decke ihres Gemaches. Als er herunterkam, fing ihn ein anderer auf und schleuderte ihn wieder in die Höhe, so daß es ihm zuletzt vorkam, als habe er Flügel. Endlich warf ihn einer etwas unsanft gegen das Gewölbe und es kam ihm vor, als sei sein Buckel daran hängen geblieben. Als er wieder unten ankam, verlor er das Bewußtsein.

Am nächsten Morgen erwachte er auf der Wiese und fühlte sich so leicht und so frisch und gesund wie noch nie in seinem Leben. Gleich eilte er nach Hause und erzählte seinen Nachbarn sein Abenteuer.

Bald sprach ganz Irland von dieser Wunderkur und mancher Bucklige dachte, er könne seine überflüssige Bürde jetzt ebenso bequem und angenehm los werden. Darunter war auch ein alter zänkischer Geselle, der in Ballynocrish wohnte. Dieser beschloß dann eines Tages, mit seiner alten Tante und deren Freundin nach der besagten Zauberwiese zu gehen und sich dort schlafen zu legen. Die beiden Frauen begleiteten ihn dorthin; er legte sich nieder und träumte von einem großen Löwen, der ihn am Buckel gepackt habe und fortschleppe. Endlich hörte auch er den Elfengesang,


»Yae Luan, yae Morth,

Yae Luan, yae Morth,

Agus Dha Haedyeen«


Dies gefiel ihm nun ganz und gar nicht und als die Kleinen ihr Lied zum zweiten Male gesungen hatten, schrie er mit rauher Stimme


»Agus Dha Jaerdyeen,

Agus Dha Haenya!«2


was jene so sehr ärgerte, daß sie sich augenblicklich um ihn stellten und ihn fragten, was er hier suche. Als er sein Anliegen vorgebracht hatte, rief der König: »Bringt mir den andern Buckel her!« Als er gebracht wurde, legte er ihm denselben noch auf den seinigen, wo er auch gleich wie festgewachsen hängen blieb.[6]

Am andern Morgen fanden ihn die Frauen mehr todt als lebendig auf der Zauberwiese liegen und führten ihn traurig nach Hause.

Moral: Gegen die Bitten zanksüchtiger Menschen sind die Geister taub.

1

Montag, Dienstag,

Montag, Dienstag,

Und Mittwoch auch.

2

Donnerstag – Freitag.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 5-7.
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