29.
Die Eierschalen-Brauerei.

[49] Frau Sullivan war eine unglückliche Frau, denn sie glaubte, ihr jüngstes Kind sei von Elfen geraubt und durch ein anderes ersetzt[49] worden; und zu diesem Glauben war sie vollkommen berechtigt, denn ihr rechtmäßiges Kind war ein schöngewachsener, blauäugiger Sohn gewesen, statt dessen sie eines Morgens ein zum Gerippe abgemagertes, häßliches und beständig schreiendes Kind in der Wiege liegen sah. Die Leute sagten ihr, sie solle es einfach über das Feuer hängen, oder ihm die Nase mit einer glühenden Zange zwicken, oder es auf die Landstraße in den Schnee werfen; aber dazu konnte sie sich nicht recht entschließen, denn es konnte möglicherweise doch ihr Kind sein.

Da begegnete ihr eines Morgens die alte Ellen Leah, eine wegen ihrer Klugheit weit und breit bekannte Frau. Sie wußte, wo sich die Todten befanden und konnte die Mittel zur Ruhe ihrer Seelen genau angeben; auch konnte sie Warzen vertreiben und sonst noch eine Menge nützlicher Geschäfte mit großer Geschicklichkeit ausführen.

»Du siehst sehr traurig aus, Frau Sullivan,« sagte sie.

»Ich habe auch Grund genug dazu; denn mein schöner Knabe ist gestohlen und ein ganz abscheuliches Kind an seiner Stelle zurückgelassen worden. Sicherlich haben es die Elfen gethan!«

»Willst du meinen Rath annehmen und befolgen, auch wenn er dir noch so verrückt vorkommt?«

»Kannst du mein Kind wieder zurückbringen?«

»Wenn du thust, was ich dir jetzt sagen werde. Hänge den großen Kochtopf mit Wasser gefüllt über das Feuer und wenn es kocht, nimmst du ein Dutzend frischgelegter Eier, zerbrichst sie und wirfst die Schalen hinein. Darnach wirst du schon ausfinden, ob du dein rechtmäßiges Kind vor dir hast, oder einen Wechselbalg. Ist letzteres der Fall, so stößest du ihm augenblicklich das glühende Schüreisen in den Hals.«

Frau Sullivan ging nach Hause und that, wie ihr befohlen. Das Kind lag in der Wiege und beobachtete ihr Thun mit großer Aufmerksamkeit.

»Was machst du, Mutter?« rief der Knabe.

»Ich braue!«

»Was braust du, Mutter?«

Dieses sprach er aber mit solcher Stimme, daß seine eigentliche Herkunft nicht mehr zu bezweifeln war. Da das Schüreisen noch[50] nicht roth genug war, so ließ ihn die Mutter geraume Zeit auf die Antwort warten.

»Was hast du gesagt, mein Söhnlein?«

»Ich möchte gern wissen, was du braust.«

»Ich braue Eierschalen!«

»O!« rief der Kleine aus und richtete sich auf. »Ich bin,« fuhr er mit tiefer Baßstimme fort, »schon über fünfzehnhundert Jahre alt und habe schon Manches gesehen; von einer Eierschalen-Brauerei aber habe ich noch nicht gehört!«

Augenblicklich ergriff Frau Sullivan das Schüreisen und eilte nach dem Bette. Unglücklicherweise aber stolperte sie und fiel hin und als sie sich wieder aufgerafft hatte und dem Wechselbalge den Garaus machen wollte, fand sie ihn zu ihrem größten Erstaunen und zu ihrer größten Freude schlafend in der Wiege liegen.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 49-51.
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