32.
Der kleine Schuh.

[59] »Hast du je von einem Zwerg gehört?« fragte der junge Coote die kleine Molly.

»Gewiß, sehr oft,« erwiderte sie, »mein Vater hat oft davon erzählt.«

»Hast du schon selber einen gesehen?«

»Nein; aber mein Großvater sah einst einen und fing ihn.«

»Fing ihn? Erzähle doch.«

»Mein Großvater kam einst mit seinem Pferde, das bei der Arbeit krank geworden war, nach Hause und führte es in den Stall. In der Nacht stand er dann auf, um zuzusehen, ob es auch sein Futter gefressen habe; aber als er in den Stall trat, hörte er ein[59] verdächtiges Singen und Hämmern und wie er sich umsah, sah er einen Zwerg in einer Ecke, der seine Schuhe flickte. ›Dich habe ich endlich,‹ sagte er, ›gib mir nur schnell dein Geld heraus!‹ ›Das sollst du haben,‹ antwortete der Zwerg, ›laß mich nur gehen, damit ich es holen kann.‹ Mein Großvater war auch dumm genug, ihn loszulassen, wofür er von ihm höhnisch ausgelacht wurde. Er kam natürlich nie wieder zurück und das Einzige, was er von ihm erhielt, war ein kleiner Schuh, den er zurückgelassen hatte. Meine Mutter sagte mir oft, es sei der schönste Schuh gewesen, den sie jemals gesehen habe.«

»Hast du ihn nicht selber gesehen?«

»Nein, denn er war schon lange verloren, ehe ich geboren ward. Aber meine Mutter erzählte manchmal davon.«

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 59-60.
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