36.
Die Wundermelodie.

[66] Maurice Connor war der tüchtigste Flötenspieler in ganz Münster. Es gab kein Lied, das er nicht kannte und was das merkwürdigste war, er konnte einen Tanz spielen, der Alles um ihn auf die Füße brachte und im Takte mithüpfen machte. Nie wurde eine Hochzeit oder Kindstaufe gefeiert, bei der er nicht eingeladen war, und da er blind war, so führte ihn seine alte Mutter gewöhnlich hin.

So war er auch eines Tags an den Strand von Trafaska gekommen, um den jungen Leuten zum Tanze aufzuspielen. Er spielte herrlich und Alle sagten, nie eine lieblichere und fröhlichere Musik gehört zu haben. Da fragte ihn Einer, ob er auch etwas trinken wolle.

»Gewiß,« erwiderte er.

»Was willst du trinken?«

»Das kommt mir so genau nicht darauf an, wenn es nur kein Wasser ist.«

»Ich habe aber kein Glas bei der Hand; hier ist die Flasche!«

»Das macht nichts, mein Mund hält gerade ein Glas voll; ich habe es schon oft genug probirt.«

Maurice setzte an und reichte dem freundlichen Paddy die leere Flasche zurück mit dem Bemerken, daß er selten solchen guten Schnaps getrunken habe.

So kam es dann, daß Maurice allmälig in eine andere Stimmung kam und seine berühmte Zaubermelodie spielte. Augenblicklich fingen Alle um ihn zu tanzen an und er blieb selber nicht ruhig dabei. Seine Mutter sprang herum wie ein achtzehnjähriges Mädchen[66] und die Fische hüpften aus dem Wasser. Ja, mit der Zeit kamen sogar die Krebse und andere Seethiere an's Land und nahmen an dem allgemeinen Tanze Theil. Maurice blies immer zu und hüpfte dabei so hoch wie er konnte. Da hörte er nun auf einmal eine Mädchenstimme zu ihm singen:


»Ich wohne tief im Wasser,

Ein Königskind bin ich,

Komm' mit mir, Maurice Connor,

Und nimm zum Weibe mich.


Nimm mich zur Frau, du wirst dann

Der Fische König sein;

Und Schätze von Gold und Silber

Die nennest du dann dein!«


Maurice erwiderte:


»Ich bin dir sehr verbunden,

Hab' Gold und Silber gern,

Auch möcht' ich einmal spielen

Den königlichen Herrn.


Auch deines Vaters Tochter

Ist mir sehr angenehm,

Jedoch das salz'ge Wasser

War mir stets unbequem!«


Doch die schöne Jungfrau ließ sich nicht abschrecken und gab ihm beständig die besten Worte, doch mit ihr zu gehen.

Maurices Mutter wußte nicht, was sie dazu sagen sollte. »Um Gotteswillen,« rief sie aus, »er wird doch wohl dieses schuppige Frauenzimmer nicht heiraten wollen! Das ist ja gegen alle Natur. Und wenn ich dann eines Tages Großmutter werden sollte, wie leicht könnte es da geschehen, daß ich meinen Enkel aufäße. Maurice, bleib' bei deiner alten Mutter, die dich in der christlichen Religion erzogen hat!«

Aber Maurice schien taub geworden zu sein, denn er tanzte und spielte immer zu und ließ sich's in der Gesellschaft der schönen Seejungfrau recht wohl sein.

»Mutter,« sagte er endlich, »ich werde jetzt zum Fischkönig und gehe mit dem lieblichen Mädchen und zum Zeichen, daß ich lebe, werde ich dir jedes Jahr ein brennendes Stück Holz nach Trafaska[67] schicken!« Darnach hüllte ihn die Nixe in ihren großen Mantel und eine Welle kam und nahm sie Beide mit.

Maurice hielt Wort. Er schickte jedes Jahr unter großen Schwierigkeiten einen brennenden Balken nach Trafaska; ein Paar neue Schuhe wären allerdings ein passenderes Geschenk für seine Mutter gewesen, aber er hatte einmal sein Wort gegeben.

Doch die arme Frau erlebte die Ankunft des ersten brennenden Balkens nicht; denn schon drei Monate, nachdem sie ihren Sohn verloren hatte, umschloß sie das Grab.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 66-68.
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