XIX. Die Meerjungfrau.

[78] Þork. S. 227–8. Nach dem Manuskript von Jón Sigurðsson in Steinar 1862–4 (Lbs. 421 8 vo.)


Einem Königspaar wird eine Tochter geboren. Die Nornen kommen, um dem Kinde Schönheit, Anmut, Güte etc. zu verleihen. Doch eine unter ihnen ärgert sich, weil zu viel des Guten der Kleinen gewünscht werde. Sie spricht daher den Fluch aus, dass das Mädchen nach der Heirat jede neunte Nacht ein Seeungeheuer werden soll. Nur dann solle sie von dem Fluche erlöst werden, wenn sie es fertig brächte, diese Verwandlung drei Jahre lang vor ihrem Manne wie allen übrigen Menschen geheim zu halten. Sollte ihr Gatte aber die Wahrheit erfahren und dann so weise sein, niemandem etwas von seiner Entdeckung zu sagen, sich darüber nicht zu erzürnen und auch sie trotzdem weiter zu lieben, so sei sie erlöst. Im anderen Falle müsse sie für immer eine Meerhexe bleiben – als einziger Trost solle sie eine so schöne Stimme haben, dass alle Menschen durch sie in süssen Schlaf fielen. – – Wie nun die Königstochter verheiratet ist, erfüllt sich an ihr der Fluch. Zwei Jahre hindurch ist sie schon in jeder neunten Nacht verschwunden, ohne dass ihr Gatte es gewahr wurde. Aber im dritten Jahre sieht er sie einmal in der Nacht aus dem Bette sich fortstehlen und folgt ihr. Er findet sie in einer Höhle im Wasser schwimmen, oben mit einem Frauenkörper, unten aber mit einem Fischschwanz. Über diesen Anblick ist er so entsetzt, dass er sie nach ihrer Rückkehr mit harten Worten davonjagt. Sie geht nun ins Meer und bringt dort ihre Kinder zur Welt. Von ihr und den Kindern stammen dann alle Meerjungfrauen ab.[78]

Ich habe diese kleine Erzählung, die eigentlich zur Sage gehört, hier unter die Märchen aufgenommen, da sie mit dem Märchen von der goldweinenden Königstochter viele Züge gemeinsam hat. Auch hier finden wir bei der Geburt des Kindes den Segen der übrigen Nornen und den Fluch der letzten. Wie bei Mærþöll tritt die Verwünschung durch die Heirat erst in Kraft. Aber während die eine Königstochter erlöst wurde, ist hier die Unglückliche für immer der Verzauberung verfallen. – – – Nach einer anderen Sage sollen von der bösen Stiefmutter des isländischen Schneewittchens (Árn. II S. 407) alle Meerjungfrauen abstammen.

Zu der Bestimmung, dass die Königstochter jede neunte Nacht zur Meerjungfrau werden solle, ist das Märchen von »der zur Hündin verzauberten Königstochter« zu vergleichen. Dort bekommt jede neunte Nacht die Prinzessin ihre Menschengestalt zurück. Maurer (S. 315) bemerkt hierzu, dass es alter Glaube im Norden gewesen sei, dass Leute dahin verzaubert sein könnten, jede neunte Nacht ihre Gestalt zu wechseln, z.B. Njáls saga c. 124, Króka-Refs saga c. 7 etc.

Bei Kreutzw. (Die Meermaid S. 212 ff.) beobachtet der Gatte der Meermaid, dass diese an einem bestimmten Tage mit einem Fischschwanze im Wasser herumplätschert. Auch dort wird durch diese Entdeckung die Ehe zerstört, freilich nicht durch den Mann, sondern durch die Meermaid, da der Gatte gegen ihr Verbot gehandelt hatte.

Köhler vergleicht die auch in Schweden zum Volksbuche gewordene Geschichte von der Melusine.

Ausführlich behandelt die Sage von der Melusine Ludwig Fränkel: Altes und Neues zur Melusinensage (Z.d.V.f.V. 1894 Bd. IV S. 387 ff.).

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 78-79.
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