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[151] Árn. II S. 391–7. Von Fräulein Kristina Jónsdóttir in Reykjavík erzählt.
Ein Königspaar hatte keine Kinder. An einem schönen Wintertage fuhr die Königin mit ihrem ersten Minister Rauður im Schlitten spazieren. Als ihre Käse anfing zu bluten, so dass das Blut auf den Schnee fiel, sagte sie zu ihrem Begleiter, sie wünsche sich eine Tochter, die ebenso schöne Farben habe, wie das Blut und der Schnee. Der Minister wahrsagte ihr die Erfüllung ihres Wunsches, fügte aber gleichzeitig hinzu, dass sie auf ihre Tochter bei ihrem ersten Anblick selber den Fluch legen müsse, die Burg des Vaters zu verbrennen, heimlich ein Kind im Vaterhause zu gebären und einen Mann zu töten. –
Nach einiger Zeit kommt die Königin mit einem wunderschönen Mädchen nieder, das Ingibjörg genannt wird. Sowie das Kind geboren ist, bittet sie inständig, es ihr nimmer vor die Augen zu bringen, und so wird denn die Kleine fern von den Eltern von einer Pflegemutter erzogen. Wie das Kind zehn Jahre alt ist, wird die Königin krank. Sie will gern vor ihrem Tode die Tochter einmal sehen und lässt sie deshalb zu sich rufen. Sowie sie mit ihr allein ist, legt sie den Fluch auf ihr Kind und stirbt dann. Nachdem der König lange Zeit seine Gattin betrauert hat, zieht sein bester Freund für ihn auf die Brautfahrt aus. Er wirbt um Hildur, die Tochter eines Inselkönigs, die in ihrem Äusseren sehr der schönen Königstochter Ingibjörg gleicht, und die ebenso gut und klug, wie schön sein soll. Das Mädchen, dem der Vater die Entscheidung anheimstellt, nimmt die Werbung unter der Bedingung an, dass sie erst drei Jahre lang nur als Braut im Königreiche leben wolle. Bald schon, nachdem die künftige Königin ins Land gekommen ist, verbindet sie enge Freundschaft mit der Königstochter Ingibjörg. Nach einiger Zeit erfährt sie dann auch den Grund, warum das Mädchen seit dem Tode der Mutter so traurig und mutlos ist. Hildur verspricht, ihr zu helfen. Einst ist der König auf Reisen, um die Steuern einzunehmen. Als bei schönem Wetter alle Leute aus dem Schlosse draussen beim Äpfelsuchen sind, tragen die beiden Mädchen alle Kostbarkeiten aus dem Hause heraus und zünden die Burg an. Sie brennt[152] bis zum Boden nieder. Nun lässt Hildur, solange der König noch abwesend ist, ein neues Schloss bauen, viel prächtiger als das alte. Wie der König heimkehrt, ist er schliesslich noch froh über das Unglück, da das neue Schloss ihm ausnehmend gefällt. Wie das zweite Jahr herankommt, wird Ingibjörg wiederum ratlos und mutlos, denn der zweite Fluch der Mutter liegt schwer auf ihr. Auch jetzt weiss ihr Hildur zu helfen. Sie soll hinaus in den Wald gehen, bis sie an ein kleines Haus kommt. Hier soll sie drei Nächte mit einem ihr fremden Manne verbringen und danach wieder zum Königsschlosse heimkehren. Hildur will dann schon dafür sorgen, dass ihr weiter keine Schwierigkeit daraus erwächst. – Nach einiger Zeit macht der Minister Rauður seinen Herrn darauf aufmerksam, dass seine Tochter schwanger sei. Der König wird wütend und will es nicht glauben, beschliesst aber dennoch die Sache zu untersuchen. Wie er am nächsten Samstage die beiden Mädchen in ihrem Turme besucht, legt er den Kopf auf den Schoss seiner Tochter. Da er glaubt, Kindesbewegungen zu fühlen, springt er entrüstet auf. Doch im gleichen Augenblicke lässt Ingibjörg zwei junge Hunde, die sie auf den Rat der klugen Hildur heimlich unter der Schürze hatte, auf den Boden fallen. Der König ist gleich wieder beruhigt und erkennt beschämt seinen Irrtum. Doch der Minister lässt ihm keine Ruhe. Er solle das nächste Mal wie durch Zufall seine Tochter in den Finger stechen und das Blut in einem Tuche auffangen, dann würde der Arzt ihm wohl sagen können, ob sie noch eine Jungfrau sei. Doch auch dieser Anschlag misslingt, da Hildur ihn vorausweiss und es so einrichtet, dass der König ein Tuch mit ihrem Blute dem Arzte zur Untersuchung übergiebt. – Nun kommt der Geburtstag des Königs. Jetzt hofft der Minister, dass Ingibjörg verloren ist, denn sie war bisher immer gewöhnt, die ganze Nacht hindurch zu tanzen, und das würde sie jetzt natürlich nicht können. Hildur hat jedoch im Vertrauen auf ihre Ähnlichkeit mit der Königstochter die Kleider gewechselt. Während Ingibjörg als Braut mit dem künftigen Gatten sich unterhält, tanzt die vermeintliche Königstochter die ganze Nacht hindurch und erklärt am Morgen, sie wollte das Vergnügen finge jetzt erst an. Nun[153] ist der König von der Unschuld seiner Tochter völlig überzeugt und macht seinem Minister die schwersten Vorwürfe. – Wie Ingibjörg ihr Kind zur Welt bringt, pflegt sie Hildur auf das treueste und lässt niemanden zu ihr. – Nach einiger Zeit quält die Königstochter die dritte Verwünschung der Mutter, die ihr auferlegt ist, denn es scheint ihr unmöglich, einen Mann zu töten. Doch Hildur sagt, dass der Minister Rauður schon lange den Tod verdient habe. Wie dieser einst von einem Apfelbaume, der an einem fast senkrecht zur See abfallenden Berge wächst, Äpfel pflücken will, sagt Hildur, sie wolle mit der Königstochter das Seil, an dem er sich hinunter lassen muss, oben festhalten. Zur verabredeten Zeit lassen sie scheinbar aus Ungeschick das Seil los, und Rauður bricht zur Freude aller den Hals. – Wie die drei Jahre verstrichen sind, wird die Hochzeit des Königs gefeiert. Am Abend kommt ein Gast in die Halle. Die junge Königin läuft ihm entgegen, fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Dann führt sie den Fremden vor den König und sagt, dass er ihr Bruder sei, der von einem schweren Zauber jetzt erlöst wäre. Ingibjörg erkennt in ihm ihren Gatten aus dem Waldhause, Hildur bringt den beiden ihr Kind, der König wird über alles aufgeklärt, und nun wird eine Doppelhochzeit gefeiert.
Das bei Árn. folgende Märchen (II S. 397–9) von der Königstochter Ingibjörg, das nach einem Manuskript von Þorvarður Ólafsson gedruckt wurde, hat ziemlich den gleichen Inhalt. Der Wunsch der Königin in der Einleitung ist derselbe. Hier in diesem Märchen fügt ein Knecht, namens Surtur, die Verwünschung hinzu, dass die Königin ihre eigene Tochter tötlich hassen solle. – Hildur heiratet nach der Verlobung sogleich den König. Zuerst tötet die Königstochter auf den Rat ihrer Stiefmutter den Knecht Surtur, indem sie das Seil, an dem er hängt, loslässt. Dann verbrennt sie in Abwesenheit aller Schlossleute die Burg des Vaters. Um den dritten Fluch zu lösen, wird auch sie zu einem kleinen Waldhause geschickt. Sie muss sich so verbergen, dass sie den Bewohner desselben eher sieht, wie er sie. Dann soll sie ihn von der Königin grüssen und ihn bitten, ihr einige Nächte Obdach zu geben. Wenn sie aber einmal in der Nacht von ihrer Stiefmutter träumen[154] würde, dann solle sie sofort heimkehren, denn in diesem Falle stünde Hildurs Leben in Gefahr. – Ingibjörg findet im Waldhause beim Besitzer desselben, einem mächtigen Riesen, freundliche Aufnahme. Er stellt ihr die Wahl, ob sie lieber bei ihm oder seinem Hunde schlafen wolle. Sie wählt das letztere. Doch nach einigen Nächten wird sie durch Donner und Lärm geweckt und sieht ein furchtbares Ungeheuer in die Hütte kommen. Sie wird dadurch so erschreckt, dass sie sich zum Riesen ins Bett flüchtet und in diesem schläft. Nun träumt sie von ihrer Stiefmutter. So schnell sie kann, eilt sie heimwärts und kommt gerade noch zur rechten Zeit, um Hildur vom Scheiterhaufen herunterzuholen, auf dem sie verbrannt werden soll. Denn der König hatte geglaubt, seine zweite Gattin habe die Tochter in der Burg verbrannt. Der Riese aus dem Waldhause, der der verzauberte Bruder der Stiefmutter ist, wird erlöst und kommt als willkommener Freier zu seiner Gattin zurück.
Dieses Märchen habe ich in keiner der zur Vergleichung herangezogenen Sammlungen nachweisen können. Wie schon erwähnt, bildet es in einem Manuskript der Landesbibliothek auch noch die Einleitung zu dem Märchen vom »rollenden Rindsmagen«.