LXVI. Das Aschenbrödel.

[261] Árn. II S. 450–53. Nach dem Manuskripte vom Pastor Sveinbjörn Guðmundsson, jetzt in Móar auf Kjalarnes.


Ein Bauernpaar hatte drei Töchter, Ingibjörg, Sigríður und Helga. Während die beiden älteren Schwestern wie Prinzessinnen gehalten wurden, musste die jüngste alle Arbeit verrichten und bekam dazu nie ein gutes Wort zu hören. – – – Einst ist das Feuer in der Hütte ausgegangen, und da man fürchtet, dass Helga vielleicht die Gelegenheit benutzen könnte, von Hause wegzulaufen, so wird Ingibjörg fortgeschickt, um Feuer irgendwo zu holen. Wie sie auf diesem Wege an einem Hügel vorbeikommt, hört sie, wie drinnen gesagt wird »willst du mich lieber mit dir oder gegen dich haben?« Sie meint »das sei ihr ganz gleichgültig« und geht weiter. Nun gelangt sie zu einer grossen Höhle. Drinnen kocht über mächtigem Feuer Fleisch, und daneben steht ein Topf mit Kuchenteig. Sie heizt nun noch mehr, damit das Fleisch bald gar ist, und von dem Teig backt sie für sich einen guten Kuchen, die übrigen lässt sie verbrennen. Darauf setzt sie sich zum Mahle nieder und lässt es sich gut schmecken. Wie sie im besten Essen ist, kommt ein riesiger Hund herein und springt wedelnd an ihr in die Höhe. Wütend weist sie ihn fort, doch im gleichen Augenblicke beisst er ihr eine Hand ab. Nun läuft sie, ohne an das Feuer zu denken, wieder nach Hause und erzählt ihr Missgeschick. Der zweiten Schwester Sigríður geht es nicht besser, nur dass ihr der Hund statt der Hand die Nase abbeisst. Schliesslich muss nun doch Helga[261] fortgeschickt werden, um das Feuer zu holen. Wie sie an dem Hügel vorbeikommt, wird die gleiche Frage an sie gestellt. Sie antwortet jedoch im Gegensatze zu den Schwestern, kein Ding sei so gering, dass man nicht wünschen solle, es mit sich, statt gegen sich zu haben. In der Höhle kocht Helga sorgfältig das Fleisch und backt die Kuchen, geniesst aber selbst keinen Bissen. Ermüdet und hungrig setzt sie sich, um den Besitzer der Höhle zu erwarten. Nach einer Weile ertönt furchtbarer Donner, und ein Riese tritt, gefolgt von einem mächtigen Hunde, in die Höhle hinein. Er beruhigt mit freundlichen Worten das erschrockene Mädchen. Sie setzen sich zum Abendessen nieder, und dann lässt er ihr die Wahl, ob sie bei ihm oder seinem Hunde schlafen wolle. Helga wählt doch lieber das letztere. Nach einer Weile kommt ein solcher Donnerschlag, dass die Höhle erbebt. Der Riese bietet ihr, wenn sie bange sei, an, auf die Stufe neben seinem Bette sich zu legen. Gern folgt sie diesem Vorschlage. Doch weitere furchtbare Donnerschläge lassen sie immer näher zum Riesen flüchten, bis sie endlich über ihn hinweg im Bette sich verkriecht. Im gleichen Augenblicke fällt die Riesenhaut ab und neben ihr liegt ein wunderschöner Königssohn. Schnell verbrennt Helga die Haut, und dankbar begrüsst der Jüngling in ihr seine Erlöserin. Am folgenden Morgen erzählt er ihr seine Lebensschicksale. Er verspricht, sie bald aus dem Elternhause abzuholen und als Königin in sein Reich zu führen. Zum Abschied gibt er ihr ein herrliches Gewand, das sie heimlich unter ihren Lumpen tragen soll. Dann schenkt er ihr noch einen Kasten mit allerhand Kostbarkeiten und zwei reiche Frauenkleider. Diese Gaben solle sie nicht verbergen, trotzdem ihr dieselben würden daheim genommen werden. Auch der Hund reicht ihr zum Abschied mit der Pfote einen Goldring, und nun kehrt sie mit all' ihren Schätzen und dem Feuer zum Elternhause zurück. Hier wird sie noch schlechter wie sonst behandelt, auch all' ihrer Geschenke beraubt. – – Nach einiger Zeit kommt ein schönes Schiff, das in der Nähe ankert. Der Eigentümer des Schiffes erkundigt sich beim Bauern neugierig nach dessen Verhältnissen und fragt schliesslich auch, ob er Töchter habe. Der Bauer behauptet, nur[262] zwei Töchter zu besitzen und ruft die beiden ältesten herbei. Diese kommen in den der Schwester geraubten Gewändern, jedoch hält die eine die Hand versteckt, und die andere hat ein Tuch um die Nase gebunden. Der Ankömmling forscht neugierig nach dem Grunde dieser Verhüllung, bis ihre Verstümmelung offenbar wird. Nun muss trotz alles Sträubens der Bauer auch seine jüngste Tochter herbeiholen. Sie erscheint in ihren Lumpen, doch wie der Fremde diese von ihr reisst, steht sie im prächtigsten Gewände da. Die von Helga gestohlenen Kleider und Kostbarkeiten werden nun den Schwestern wieder abgenommen, darauf fährt der Königssohn mit seiner Braut in sein Königreich. – – –

Zu diesem Märchen gibt Árn. (II S. 453) selbst kurz einige Varianten an. Wie im Borgarfjörður erzählt wird, soll Ingibjörg sich am Fusse eines grossen Berges ausgeruht haben. Darauf habe eine Stimme über ihr gesagt: »Ein Einzelwohner wohnt im Berge«, und sie habe darauf geantwortet: »Wohne du als armseligster aller Männer als Einzelwohner im Berge«. Auf diese Rede sei ein furchtbar grosser Hund zu ihr gekommen und habe ihr die Hand abgebissen. – – Die jüngste Bauerntochter soll hingegen geantwortet haben: »Wohne du als glückseligster aller Männer als Einzelwohner im Berge«. Darauf sei der grosse Hund wedelnd zu ihr gekommen und habe sie in eine Höhle des Berges geführt. Dort habe sie auf dem Boden neben ihm geschlafen. Am folgenden Morgen sei die Hundehaut von ihm abgefallen, und ein schöner Königssohn sei aus ihm geworden.

Das bei Árn. (II S. 454/5) folgende Märchen, »Kiðuvaldi« betitelt, das von Frau Hólmfríður Porvaldsdóttir erzählt wird, bringt zu dem bisher Erzählten nicht viel Neues hinzu. Auch hier wird von einem Riesen, der als Besitzer der Höhle gilt, nichts gesagt. Nachdem die älteste Bauerntochter in der Höhle Fleisch und Kuchen gegessen hat, nimmt sie das Feuer und noch ein Stück Fleisch mit und geht nach Hause. Wie sie an dem Berge vorbeikommt, wo sie auf dem Hinwege dem unsichtbaren Bewohner Kiðuvaldi eine unfreundliche Antwort gegeben hatte, springt ein riesiger Hund auf sie zu, beisst ihr die linke Hand ab, schnappt das Fleischstück weg und löscht[263] ihr das Feuer aus. – – – Zur hilfreichen jüngsten Schwester Helga kommt der gleiche Hund am dritten Tage und schenkt ihr einen Kasten, den sie heimlich verwahren und nicht eher öffnen soll, bis ihr viel daran liegt. – Nach einem Jahre kommt nun ein Königssohn und freit um die älteste Tochter. Wie er ihr die Hand geben will, entdeckt er, dass sie fehlt, und nun weist er die Braut zurück. Bei der zweiten Tochter gibt er vor, sie küssen zu wollen, so dass sie das Tuch, das die fehlende Nase verbirgt, zurückschlagen muss. Wie Helga endlich gerufen wird, öffnet sie ihren Kasten, und nun erscheint sie sogleich in königlicher Pracht.

Das Thema von der guten Jüngsten, die aber da heim von den Eltern und den bösen Schwestern als »Aschenbrödel« (oder ölnbogabarn »Ellenbogenkind« wie es im Isländischen heisst,) behandelt wird, liegt zahlreichen Märchen zu Grunde. Die bösen Schwestern zeigen sich denen, die ihre Hilfe erbitten (fremden Leuten oder fremdem Eigentum gegenüber), in ihrer Rücksichtslosigkeit und Bosheit, die jüngste hingegen zeigt sich hilfsbereit, bescheiden und freundlich. Am Schlüsse wird darum auch die Tugend der jüngsten durch allerhand Gaben und endlich auch durch die Heirat mit einem Königssohne gebührend belohnt, und die Bosheit der älteren Schwestern fürs ganze Leben ihnen heimgezahlt. –

Obgleich zahlreiche Märchen den gleichen Grundgedanken haben, weichen doch die meisten in der Ausführung wesentlich von unserm Märchen hier ab. Nur ein Märchen bei Grimm (169 »Das Waldhaus« II S. 246 ff.) zeigt mit dem isländischen Märchen einige Ähnlichkeit. Auch hier handelt es sich um drei Schwestern, aber die jüngste wird nicht ausdrücklich als Aschenbrödel bezeichnet. Der Vater ist Holzhauer und streut eines Tages, als er zur Arbeit in den Wald geht, Hirse auf den Weg, damit die älteste Tochter, die ihm das Mittagessen bringen soll, zu ihm sich zurechtfinden kann. Die Vögel haben jedoch die Körner gefressen, und das Mädchen verirrt sich. Gegen Abend kommt es an ein Häuschen. Drinnen in der Stube sitzt ein eisgrauer Mann, und am Ofen liegen drei Tiere, ein Hühnchen, ein Hähnchen und eine buntgescheckte Kuh. Auf die Aufforderung des Alten kocht das[264] Mädchen das Abendbrot. Es isst nach Herzenslust davon, ohne sich darum zu kümmern, ob die Tiere auch etwas zu fressen haben. Dann legt es sich auf ein Bett zum Schlafen, gleichfalls ohne Rücksicht auf den Wirt zu nehmen. Dieser kommt nach einiger Zeit herauf, und als er das Mädchen fest eingeschlafen findet, lässt er es durch eine Falltür in den Keller hinunter. – Nicht besser ergeht es der zweiten Schwester. Wie die jüngste sich zum Waldhause verirrt hat, liebkost sie die Tiere und sorgt erst für deren Futter, ehe sie selbst zum Abendessen sich hinsetzt. Sie geht auch nicht eher schlafen, bis der Alte sich zur Ruhe begeben hat. Um Mitternacht wird das Mädchen durch furchtbaren Lärm geweckt. Da nach einer Weile jedoch alles wieder still ist, so schläft es weiter. Am andern Morgen ist das Häuschen zu einem prächtigen Palaste und der Alte zu einem schönen Königssohne geworden. Dieser heiratet dann das Mädchen zum Lohne, die Schwestern müssen aber im Walde bei einem Köhler Dienste verrichten, bis sie sich gebessert haben.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 261-265.
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