[269] Árn. II 455–60. Von Frau Guðný Einarsdóttir in Akureyri erzählt.
Ein Bauernpaar hatte drei Töchter, und die jüngste, Helga, war das Aschenbrödel. – – – Einst kommt ein schöner, angesehener Mann und freit um die älteste Tochter. Sie wird ihm gern zugesagt. Er geht nun mit seiner Braut fort, doch wie er noch nicht weit von ihrem Elternhause ist, verwandelt er sich in einen furchtbaren, dreiköpfigen Riesen, der das Mädchen fragt, ob er es zu seiner Höhle tragen oder ziehen solle. Die[269] Bauerntochter lässt sich tragen. Sowie er heimkommt, bringt er sie in ein Erdhaus, bindet ihr die Hände auf den Rücken und befestigt sie mit den Haaren an einer Stuhllehne. – Nach kurzer Zeit kommt wieder ein angesehener Freier um die zweite Tochter zu den Bauersleuten, und auch sie hat dann das gleiche Schicksal wie ihre ältere Schwester. – Wie der dritte Freier nun Helga aus dem Elternhause holt und sich dann bald nachher in einen dreiköpfigen Riesen verwandelt, stellt er ihr die gleiche Frage, ob er sie tragen oder ziehen solle. Im Gegensatze zu ihren Schwestern will sie sich lieber ziehen lassen. In der Höhle angekommen muss sie nun für den Riesen sein Hauswesen in Ordnung halten und ihm das Mahl bereiten. Den ganzen Tag hindurch ist der Riese immer auf der Jagd. Ihre einzige Gesellschaft ist in dieser Zeit ein kleiner Hund, der jedoch auch oft sich von ihr entfernt, und den sie schliesslich vor einer bisher nicht bemerkten Türe liegend entdeckt. Sie sieht durch das Schlüsselloch und glaubt, in dem Gemache zwei Mädchen auf Stühlen sitzen zu sehen. Nun fallen ihr die beiden Schwestern ein, und sie kommt zu der Vermutung, dass es diese sind, die in dem verschlossenen Zimmer so übel behandelt werden. – Wie nun am Abend der Riese heimkehrt, zeigt sie sich besonders lustig und gesprächig. Sie fragt ihn unter anderem, wie er mit ihren Leistungen zufrieden sei, und wie sie ihm persönlich gefalle. Er spricht ihr über alles seine Anerkennung aus und sagt ihr, dass er sie demnächst heiraten wolle. Sie ist durchaus damit einverstanden, jedoch verlangt sie dann auch einen grösseren Beweis seines Zutrauens, nämlich die Auslieferung all seiner Schlüssel, damit sie nach Herzenslust an seinen Reichtümern sich erfreuen könne. Der Riese erfüllt ihren Wunsch. Er verbietet ihr nur das Betreten des einen Zimmers, zu dem ein kleiner Schlüssel passe, denn das würde ihr sonst zum Nachteil gereichen. Am folgenden Morgen öffnet Helga das verbotene Zimmer, löst hier ihre fast verhungerten Schwestern und fasst einen Plan zur Rettung der beiden. Wie am Abend der Riese nach Hause kommt, zeigt sie sich recht niedergeschlagen. Denn beim Anblick all seiner Schätze habe sie an die grosse Armut ihrer Eltern denken müssen. Sie habe nun von den Überresten all seiner Mahlzeiten, die[270] in der Höhle verstreut gewesen wären, einen grossen Sack gefüllt und bäte ihn nun, diesen am anderen Tage zu ihren Eltern zu tragen. Aber wenn er versuchen würde, unterwegs sich auszuruhen oder in den Sack zu schauen, so würde sie ihn überhaupt nicht heiraten. Denn sie könne ihn mit ihren scharfen Augen, die durch Wald und Heide und durch die Höhle zu sehen vermöchten, auf dem ganzen Wege verfolgen. – Am andern Morgen macht sich der Riese nun mit dem Sacke davon. Ermüdet von der schweren Last will er sich einige Male ausruhen, doch sofort ruft dann eine der Schwestern aus dem Sacke:
»Jeg sé í gegnum holt og hæðir og helli minn!«
»Ich sehe durch Wald und Heide und meine Höhle.«
Darauf schleppt sich der Riese dann jedesmal weiter und sagt:
»Aldrei skal jeg í belginn bauka,
Pó brotni í mér hryggurinu;
Glögt er auga í Helgu minni,
Hún sér í gegnum holt og hæðir og helli sinn.«
»Nie will ich in dem Sacke herumsuchen,
Wenn auch mein Rücken bricht;
Scharf ist das Auge meiner Helga,
Sie sieht durch Wald und Heide und ihre Höhle!«
Während der Riese nun fort ist, bereitet Helga in grösster Eile alles für das Hochzeitsfest vor. Wie sie alles festlich geschmückt und das Mahl gerüstet hat, nimmt sie ein Stück Holz, zieht diesem das vom Riesen ihr geschenkte Brautgewand an und setzt es dann in den Hochsitz der Braut. Sie selbst macht sich durch Topfrufs im Gesicht ganz unkenntlich und wälzt sich mit ihren Kleidern noch in der Asche umher. Darauf setzt sie sich auf den Feuerstocher und reitet auf ihm in der dem Elternhause entgegengesetzten Richtung von dannen. Nach einer Weile begegnet sie einer grossen Menge von Hochzeitsgästen, an ihrer Spitze der Bräutigam. Wie er die seltsame Reiterin erblickt, fragt er, wie sie heisse. Sie nennt sich Kolrassa krókríðandi. Neugierig fragt er weiter:
»Komstu að Melshöfða,
Kolskörin Pín?«
»Kamst du nach Melshöfði,
Auf deinem Feuerstocher?«
Darauf antwortet sie:
»Kom jeg Þar;
Breitt var á bekki,
Brúður sat á stól
Full vóru öll ker,
Svo út úr fló.«
[271]
»Ich kam dorthin.
Die Bänke waren belegt,
Die Braut sass auf dem Hochsitze,
Alle Krüge waren so voll,
Dass sie überflossen.«
Nun treibt der Bräutigam freudig seine Gäste zur Eile an, denn die Braut warte. Nach einer Weile begegnet Helga einem ganzen Trupp von Riesinnen und Hexen. Auch sie stellen die gleichen Fragen und erhalten die gleichen Antworten. Wie die Hochzeitsgesellschaft zur Höhle kommt, wird bald der Betrug mit dem Holzklotze entdeckt. Ein Teil der Gäste glaubt, dass der Riese betrogen sei, während der andere Teil vermutet, er habe sich mit ihnen nur einen schlechten Witz erlauben wollen. So geraten sie miteinander in Streit, der dann schliesslich so endigt, dass sie sich untereinander töten. Helga beobachtet diesen Vorgang aus sicherem Verstecke. Wie nun die Riesengesellschaft tot am Boden liegt, holt sie die Ihrigen. Die Leichen werden verbrannt, und Helga nimmt alle Schätze des Riesen als ihr wohlerworbenes Eigentum an sich. Sie lässt sich ein prächtiges Haus bauen und heiratet bald darauf einen tüchtigen, schönen Mann. –
Die drei bei Árn. folgenden Märchen (Árn. II 461–66) bringen nur geringe Abweichungen der hier gegebenen Erzählung von »Kolrassa«. – In der ersten Variante, (die nach dem Manuskripte des Pastors Sveinbjörn Guðmundsson in Móar gegeben ist) legt sich Helga später den Namen Koltrýna bei. Die Freier der Bauerntöchter sind angeblich Königssöhne, die dann nachher zu Riesen werden. Die beiden ältesten Mädchen werden zuerst, nachdem sie in der Höhle angekommen sind, gefragt, ob sie den Freier heiraten wollen, und erst auf ihre unkluge Weigerung hin werden sie so schlecht behandelt. – – –
Dies stimmt auch sicher mit der ursprünglichen Erzählung überein; in dem hier ausführlich erzählten Märchen scheint eine Lücke zu sein. – – In den beiden folgenden Varianten. (die Erste von Frau Hólmfríður Porvaldsdóttir erzählt, die Zweite aus der Árnessysla stammend) ist besonders die Einleitung abweichend. Das Märchen von »Hordíngul« berichtet, wie einem Bauern einst beim Fischfange während eines Unwetters eine graue, behaarte Hand das Boot festgehalten und eine Stimme ihn zu töten gedroht habe, wenn er nicht seine älteste Tochter[272] hergeben wolle. In der Todesangst verspricht dies dann der Bauer. Nach Hause zurückgekehrt sendet er nun seine älteste Tochter hinaus, um die Angelschnur heimzuholen. Wie sie den Auftrag ausführen will, kommt draussen ein furchtbarer Riese zu ihr und fordert sie auf, ihn zu küssen. Sie weigert sich entsetzt und wird nun von ihm in seine Höhle fortgeschleppt. Am zweiten und dritten Tage spielt sich alles mit den beiden übrigen Töchtern auf die gleiche Weise ab, nur ist das Aschenbrödel Helga klüger wie ihre Schwestern und küsst den Riesen. – – – Ihre Schwestern versteckt sie dann in die Haut eines eben geschlachteten Ochsen und lässt diese zu den Eltern tragen. – – Nachdem sie einen Holzklotz mit dem Brautgewände geschmückt hat, gibt sie ihm den Auftrag, für sie »ja« zu sagen. Nun kommt der Riese mit seinen Gästen zur Höhle. – Da die Braut so einsilbige Antworten gibt, wird er böse und schlägt sie. Der Holzklotz fällt zu Boden, und nun entsteht zwischen den Anwesenden ein Streit darüber, ob der Riese ein Recht gehabt habe, seine zu wortkarge Braut zu töten. – – –
In dem Märchen von »Loðinbarði« sind die drei Bauerntöchter drei Tage hintereinander im Walde, um Holz zu sammeln. Wie sie ihre Bürde aufnehmen wollen, fühlen sie, dass jemand auf dem Sacke sitzt. Sie fragen, wer das sei und bekommen die Antwort: »Loðinbarði«. Nun wird ihnen die Wahl gestellt, ob sie sich ziehen oder tragen lassen wollen. Die beiden älteren Schwestern wollen in diesem Märchen lieber gezogen sein, während hier das Aschenbrödel Helga vorzieht, getragen zu werden. In der Höhle wird ihnen die Wahl gelassen, ob sie über dem Riesen schlafen wollen oder unter seinem Bette. Die älteren Schwestern wählen das Letztere und werden am anderen Tage, als sie fortlaufen wollen, getötet. Helga schläft über dem Riesen und fügt sich scheinbar in die Heirat. In der Nähe des Holzklotzes, der die Braut vorstellt, befestigt sie eine Blase mit Blut. Die betrunkenen Hochzeitsgäste bewerfen einander mit Knochen. Ein solcher trifft die Blutblase, sodass sie zerplatzt und die Braut mit Blut bedeckt. Nun entsteht der Kampf über den Mord der Braut, der dann gleichfalls mit der gegenseitigen Vernichtung endet.
In all' den Märchen, zu denen die Kolrassa-Geschichten gehören, wird erzählt, dass irgend ein Zauberer, Riese oder[273] Teufel sich nacheinander dreier Schwestern bemächtigt. Die beiden älteren Mädchen zeigen sich durch das Öffnen einer verbotenen Tür ungehorsam. Die Jüngste ist nicht besser wie ihre Schwestern, nur schlauer, und so entgeht sie der Entdeckung. Nun lässt sie ihre Schwestern unter irgend einem Vorwande von dem Bräutigam heimtragen (meist hat sie diese erst vorher durch eine Salbe wieder belebt), dann geht sie selber in irgend einer seltsamen Maskierung heimwärts. Der mit den Hochzeitsgästen zurückkehrende Bräutigam trifft, ohne es zu wissen, unterwegs die Braut. Dann kommt er mit sei nen Freunden zum Hochzeitshause und findet hier ein Stück Holz, einen Strohwisch etc. im Brautgewande. Entweder töten sich nach dieser Entdeckung die Unholde gegenseitig, oder sie werden von der Braut und ihren Verwandten ermordet.
In dieser hier kurz skizzierten Form findet sich das Märchen auf den Fær-oern (Fær 2 »Risans klóta« S. 245 ff.), in Norwegen (Asbj. 35 »De tre Søstre, som bleve indtagne i Berget« S. 171 ff.), in Deutschland (Grimm 46 »Fitcher's Vogel« I S. 168 ff.) und in Wälschtyrol (Schneller 32 »Der Teufel und seine Weiber«). Die Übereinstimmung all' dieser Märchen erstreckt sich auch auf einzelne unwichtigere Züge. So z.B. rufen die Schwestern, die der Bräutigam in einem Korbe, einem Sacke, einer Kiste etc. wieder nach Hause tragen muss, ihm mit der Stimme der Braut zu, dass sie ihn sehen können, sowie er nur Anstalten macht, den Inhalt seiner Bürde zu untersuchen. –
Im Sizilianischen findet sich das Märchen mit einigen Abänderungen in zwei Erzählungen (Gonz. 22 »Vom Räuber, der einen Hexenkopf hatte« S. 135 ff. und 23 »Die Geschichte von Ohimé« S. 139 ff.) und im Griechischen in der Geschichte »Der Hundskopf« (Hahn 19 S. 156 ff.).
Weitere Literaturnachweise gibt Köhler bei der Besprechung der venetianischen Märchensammlung von »Widter und Wolf« (Kl. Schr. S. 312 ff.) und der gälischen Märchen von »Campbell« (a.a.O. S. 257).
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