254. Mahr ertappt.

[346] Mündlich.


Ein adeliger Herr, der in der Gegend von Sittard auf seinem Schlosse wohnte, wurde in jeglicher Nacht von der Mahr geplagt. Er ließ seinen Arzt holen und endlich auch den Geistlichen, aber keiner von beiden konnte ihm ein Mittel geben gegen sein Uebel. Das hörte ein Hirt, kam zu dem Herrn und sprach, er habe ein sicher Mittel gegen die Mahr. Der Herr fragte, was das wäre, und der Hirt sprach also: »Wenn die Mahr jetzt wiederkommt, dann lasset sie ruhig gewähren; wenn sie[346] aber fort ist, dann machet euer Wasser, thut's in eine Flasche und verwahret die wohl; ihr sollt Wunder schauen.« Solches that der Herr und schloß die Flasche in seinen Schrank und steckte den Schlüssel in die Tasche.

Am andern Tage gegen Mittag kam ein alt Weib an die Thüre, fragte, ob kein altes zerbrochenes Glas im Hause wäre, sie wollte es kaufen. Die Magd gab ihr alle Glasscherben, aber das Weib sprach, sie hätte gerne auch ganze Flaschen und man sollte den Herrn fragen, ob er deren keine habe. Der Herr merkte alsbald, was zu thun war, und antwortete, er hätte keine. Bat das alte Weib, ob sie nicht selbst mit dem Herrn sprechen könnte. Da kam der Herr und fragte, was sie wollte, und sie flehte ihn, er möge ihr doch die Flasche mit Wasser geben, die er in seinem Schranke verwahre. Als er das nicht wollte, fiel sie ihm zu Füßen und weinte jämmerlich, und versprach ihm, sie wolle ihm nicht mehr Leides thun. Da nahm er die Flasche und zerbrach sie, und zur Stunde lief das Wasser also von dem alten Weibe weg, daß das ganze Zimmer voll wurde, und der Herr jug sie mit vielen Schlägen vor die Thüre. Also wurde er von der Mahr befreit und sie ist nicht weiter zu ihm gekommen.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 346-347.
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