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[585] Schriftlich mitgetheilt von Stadtbibliothekar Mertens in Antwerpen.
Aus mündlichen Quellen. Vgl. Nr. 379, S. 452.
In unsern frühern Erzählungen vom langen Wapper haben wir schon berichtet, daß man nicht wagen durfte, übel von ihm zu sprechen, oder auch nur die leisesten Vermuthungen über ihn zu äußern, denn man konnte ja nicht wissen, ob man nicht mit ihm selber sprach. Auch ging es denen meistens nicht gut, die sich etwas über ihn hatten verlauten lassen, denn wenn sie alsdann Abends ausgingen, dann konnten sie sicher sein, irgendwo unter seinen Beinen hin passiren zu müssen, und dieser Gang kostete ihnen gewöhnlich das Leben.
Oft ließ er, wenn er mit den Jungen spielte, dieselben recht viel gewinnen und besonders, wenn es um Knicker ging; wenn die armen Jungen aber nach Haus kamen und freudig ihren Gewinn zeigen wollten, dann waren die Knicker zu stinkendem Pferdekoth geworden.
Einmal spielte er an der Kirche der Predigerherren mit den Jungen Diebchen, und das Loos fiel auf ihn, daß er den Henker machen mußte. Er fügte sich dem auch gern; als es aber auf das Hängen ankam, da er hing er den, welcher den Dieb spielte, wirklich, so daß der arme Junge starb, und dann sprang er mit einem Satze weg und ließ die andern bei dem todten Leichname und lachte sie noch dazu aus.
Ein paar Tage nach diesem argen Streiche nahm ein Küfer an Sankt Pietersvliet einen Gesellen in Dienst, und der war im Anfange gar behend und kam seiner Arbeit fleißig nach. Einige Zeit nachher befahl der Meister ihm, eine Handvoll Hobelspäne in ein Faß zu legen und[586] dieselben anzuzünden, wie die Küfer zu thun pflegen. Ehe der Meister es sich aber versah, hatte der Geselle das Feuer in einer Ecke des Hauses angezündet und die Reifen alle in Stücke geschlagen. Als der Küfer das sah, wurde er wüthend und meinte den Gesellen derb abzuprügeln; der aber flüchtete, gefolgt von dem zornigen Meister, und sprang endlich unter dem gewöhnlichen Hohngelächter ins Wasser. Da erkannte der Küfer nun wohl, mit wem er zu thun gehabt hatte, und eilte alsbald nach Hause, wo er alles in Flammen sah und erst nach langer Arbeit mit seinen Nachbarn des Feuers Meister wurde.
Kurz nachher verdingte er sich bei einem Brauer. Als er bei dem Manne schon einen ganzen Tag fleißig und arbeitsam gewesen, sollte er am Abend eine volle Tonne Bier wegrollen; er richtete das aber so ein, daß einer der andern Gesellen darunter kam, und diesem wälzte er nun die Tonne über den Leib, so daß der arme Mensch todt davon blieb. Ein ganzer Haufen Leute verfolgt ihn, er sprang aber bald in die Brouwersvliet und verschwand; einige andere, die ihn nicht erkannt hatten, sprangen ihm nach, um ihn zu fassen, aber sie ertranken jämmerlich.
So kam er ein ander Mal bei hellem Tage und bot Muscheln feil. Vier Frauen, welche mit ihrer Arbeit vor einem Hause auf der Straße saßen, riefen ihn an, um von ihm zu kaufen. Er brach eine Muschel auf und bot sie den Frauen; als diese sie aber öffneten, war sie voll Koth. Der lange Wapper entschuldigte sich höflich und brach eine andere auf, und die war denn auch wirklich sehr gut. Wie aber eine der Frauen sie in den Mund stach, fühlte sie plötzlich etwas Kriechendes im Munde, sie spie aus, und es war eine dicke, schwarze Spinne. Nun fielen die Frauen über ihn her, um ihn[587] zu prügeln. Er wehrte sich, schlug zwei von ihnen todt und war verschwunden.
Gleicherweise machte er es mit drei Jungen. Die saßen zusammen in der Ritterstraße und wollten Karten spielen, aber es fehlte ihnen ein Vierter. Der lange Wapper kommt, bietet sich an, mit zu spielen, und das Spiel beginnt. Nach einer Weile aber entspann sich Zank unter ihnen und vom Zanken kam es bald zum Schlagen, wobei der lange Wapper ihnen, einem nach dem andern, den Hals herumdrehte und alsdann weg war, ohne daß ein Mensch wußte, wo er geblieben. Oft, wenn er sich unter Kartenspieler mischte, was häufig geschah, ließ er sich auch von seinen Gefährten verfolgen und lockte sie ins Wasser, wo er sie ermordete. So kam er einmal in die Herberge zum Horn und machte dort einen solchen Spektakel, daß die Nachtwächter ihn packen wollten. Er entlief ihnen aber und sprang endlich ins Wasser. Die, welche ihn zu fangen gedachten und ihm nachsprangen, mußten es mit dem Leben büßen.
Auch als kleines Kind erschien er mitunter. So fanden einige Leute einmal in der Bettenstraße ein eben gebornes Kind, welches mitten auf dem Wege auf einem Kothhaufen lag. Sie beeilten sich, das arme Wichtchen ins Haus zu nehmen, erwärmten es und fütterten es mit Kinderbrei und sorgten so auf jede Weise für dasselbe zehn Tage lang. Da wurde das Kind plötzlich groß, lief aus dem Hause und lachte die guten Leute noch dabei aus. Dasselbe geschah einer Wäscherin, die beim Rückgange aus der Kirche auch ein Kind unterwegs fand und mit sich nahm und fütterte; als das Kind wohl warm und satt schien, sprach es laut lachend: »Danke schön, Mütterchen; ich war sehr hungrig und kalt«; und mit den Worten verschwand es durch den Kamin. Auch drei Jungen widerfuhr etwas Aehnliches. Diese waren[588] ausgegangen, um Weiden zu schneiden, und fanden auf der Kasteelplein ein Kind am Wege liegen. Sie überlegten, was sie damit anfangen sollten, und kamen endlich darin überein, daß einer es mitnehmen und seiner Mutter geben solle. Der nahm das Kind auf die Arme und die andern folgten ihm hauswärts. Er war aber noch nicht weit weg, da begann er schon über Müdigkeit zu klagen und bat den zweiten, das Kind zu nehmen. Dem wog das Kind aber so schwer auf den Armen, daß er damit zur Erde fiel, und die Jungen beschlossen, es zu zweien zu tragen. Das dauerte wieder eine Weile, da wurde es den zweien zu schwer und der dritte mußte auch mit helfen, und that das auch, nach gewohnter Weise dabei fluchend. So kamen sie abermals ein paar Schritte weiter; da konnten sie auch zu dreien nicht mehr mit dem Kinde fort, legten es in das Gras und setzten sich daneben. Da begann das Kind plötzlich zu wachsen und wurde immer größer, und sie erkannten, daß es der lange Wapper gewesen war.
Größern Schrecken noch jagte er einem armen Manne ein. Der war so blutarm, daß er nicht einmal ein Hälmchen Stroh hatte, worauf seine Kinder hätten schlafen mögen. Eines Abends, als er von der Arbeit nach Hause kam, fand er auf der Straße einen großen Strohbusch liegen, den er froh aufnahm und mit sich nach Hause trug; »denn«, sprach er, »nun können meine armen Kinder doch einmal weich sich betten.« Kaum aber hatte er das Stroh in seinem Kämmerchen auf die Erde geworfen, als es sich regte und aufrichtete. Die Frau lief schnell nach dem Weihkesselchen und bespritzte es mit Weihwasser, und zur selben Secunde flog es am Kamine heraus.
Noch zehnmal schlimmer ging es einer reichen Frau in Antwerpen. Diese führte ein gar ungebundenes Leben[589] und hatte vier Liebhaber, welche alle sie des Abends besuchen kamen, aber jeder zu einer andern Stunde, so daß keiner von den andern wußte. Der lange Wapper nahm eines Abends die Gestalt der Frau an. Um zehn Uhr kam der erste der Freier und der lange Wapper fragte ihn: »Was willst du?« – »Ich will euch zur Ehe«, sprach der Gesell. »Du sollst mich haben«, antwortete Wapper, »wenn du jetzt zur Stelle auf unserer lieben Frauen Kirchhof gehest und dich dort während zwei Stunden auf den Balken des großen Kreuzes setzest.« – »Gut«, sprach der Freier, »das soll geschehen«, und er ging und that also.
Um halb elf kam der zweite. »Was willst du?« frug der lange Wapper. »Ich will euch heirathen«, entgegnete der Freier. »Du sollst mich haben«, sprach Wapper, »wenn du zuvor auf unserer lieben Frauen Kirchhof gehen, dort eine Todtenlade nehmen, die zum Fuße des großen Kreuzes tragen und dich bis nach Mitternacht darein legen willst.« – »Gut«, antwortete der Freier, »das will ich schon thun«, und er ging und that es.
Gegen elf Uhr kam der dritte, und dem trug der Wapper auf, zu der Todtenlade am Fuße des Kreuzes auf unserer lieben Frauen Kirchhof zu gehen, dreimal auf die Lade zu klopfen und alsdann dort zu warten bis Mitternacht.
Um halb zwölf endlich kam auch der vierte und Wapper frug auch diesen, was er wolle. »Ei, euch heirathen«, sprach der Freier. »Das sollst du«, antwortete dann der Wapper, »wenn du die eiserne Kette in der Küche nehmen und die hinter dir schleppend, dreimal um das Kreuz auf unserer lieben Frauen Kirchhof laufen willst.« – »Gut«, sprach der Gesell, »das will ich thun.«[590]
Der erste hatte sich auf das Kreuz gesetzt, war aber todt vor Schrecken zur Erde gefallen, als der zweite sich zu seinen Füßen in die Todtenlade legte. Der zweite war vor Schrecken gestorben, als der dritte mit der Faust dreimal auf die Lade schlug. Der dritte stürzte todt hin, als der vierte mit den Ketten rumorte, und der vierte wußte nicht, was er denken sollte, als er drei seiner Kameraden starr und kalt an dem Kreuze fand. Schnell lief er von dem Kirchhofe weg und zu der Frau, um der alles zu erzählen und sie bei ihrem Worte zu halten. Jedoch die wußte von nichts; als man ihr aber am andern Tage den jämmerlichen Tod von dreien ihrer Liebhaber meldete, brachte sie sich selber ums Leben.
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