V. Das verwunschene Schwein.

[48] Es war einmal, wie's keinmal war, wäre es nicht gewesen, würde es nicht erzählt. Seitdem der Floh an einem Fuß mit neun und neunzig Pfund Eisen beschlagen wurde und in den Himmelsraum sprang, um uns die Märchen zu holen – seit auf die Wand die Fliege schrieb, der, der's nicht glaubte, ein Lügner blieb.

Es war einmal ein Kaiser, der hatte drei Töchter. Und da er in die Schlacht gehen sollte, rief er seine Töchter zu sich und sagte ihnen:

»Seht, meine Lieben, ich bin genöthigt in den Krieg zu ziehen. Der Feind hat sich mit einem großen Heere gegen uns aufgemacht. Mit großem Schmerz trenne ich mich von Euch. Während meiner Abwesenheit nehmt Euch zusammen und seid vernünftig, benehmt Euch gut und sorgt für die Angelegenheiten des Hauses. Ihr dürft im Garten spazieren[48] gehen, in alle Zimmer des Hauses treten, nur in das Zimmer hinten rechts in der Ecke dürft Ihr nicht hinein, denn sonst würde es Euch schlimm ergehen.«

»Sei ganz ruhig, Vater«, entgegneten sie. »Wir sind Dir noch nie ungehorsam gewesen. Zieh' ohne Sorge, und der Herr gebe Dir einen glänzenden Sieg.«

Als Alles zum Aufbruch bereit war, gab der Kaiser ihnen die Schlüssel zu allen Zimmern und erinnerte sie noch einmal an die Weisungen, die er ihnen ertheilt hatte.

Die Kaisertöchter küßten ihm mit Thränen in den Augen die Hand, wünschten ihm Sieg, und die Aelteste von ihnen empfing die Schlüssel aus des Kaisers Hand.

Als die Mädchen sich allein sahen, wußten nicht, was sie vor Betrübniß und Langweile thun sollten. Um sich zu zerstreuen, beschlossen sie, einen Theil des Tages zu arbeiten, einen Theil zu lesen und einen Theil im Garten sich zu vergnügen. So thaten sie denn auch, und es erging ihnen wohl dabei.

Der Böse aber störte den Frieden der Mädchen und stiftete Unheil.

»Meine Schwestern«, sagte das älteste Mädchen, »so lang der Tag ist, spinnen, nähen und lesen wir. Wir sind schon seit einigen Tagen allein, es ist kein Eckchen des Gartens mehr, in dem wir nicht schon gewesen wären. Wir sind durch alle Zimmer in unseres Vaters Palast gegangen und haben bewundert, wie schön und reich sie ausgeschmückt sind; warum sollten wir nicht auch in das Zimmer gehen, dessen Eintritt uns der Vater verboten hat?«

»Um Gottes Willen, Schwesterlein«, sagte die Jüngste, »ich begreife nicht, wie Dir solch Gedanke in den Sinn[49] kommen kann, wie Du uns dazu verleiten willst, unseres Vaters Gebot zu übertreten! Als der Vater sagte, wir sollten nicht hinein gehen, wird er wohl gewußt haben, was er sagte, und warum er es that.«

»Wahrhaftig, der Himmel würde nicht gleich einfallen, wenn wir hinein gingen«, sagte die Zweitälteste. »Drachen oder andere Unthiere, die uns auffräßen, werden sicher nicht drin sein. Und woher soll der Vater erfahren, daß wir hineingegangen sind?«

Indem sie so sprachen und sich ermuthigten, gelangten sie bis vor das Zimmer, die Aelteste steckte den Schlüssel ins Schloß und knirsch! öffnete sich die Thür.

Die Mädchen traten ein.

Und was sahen sie nun? Das Zimmer hatte keinen Schmuck, in der Mitte desselben aber stand ein großer Tisch mit einem kostbaren Teppich bedeckt und auf ihm lag ein großes, aufgeschlagenes Buch.

Die neugierigen Mädchen wollten wissen, was in dem Buche stände. Die Aelteste vor Allem, und hier folgt, was sie las:

»Die älteste Tochter dieses Kaisers wird ein Kaisersohn des Ostens heirathen.«

Nun trat auch die Zweite heran und das Blatt umwendend, las sie auch:

»Die zweite Tochter dieses Kaisers wird ein Kaisersohn des Westens heirathen.«

Die Mädchen lachten und freuten sich und schäkerten und scherzten unter einander. Die jüngste Tochter aber wollte nicht hingehen und lesen.

Die Aelteren aber ließen ihr keine Ruhe, sondern mit[50] oder gegen ihren Willen führten sie sie auch an den Tisch, und zögernd schlug sie das Blatt um und las:

»Die jüngste Tochter dieses Kaisers wird ein Schwein zur Frau nehmen.«

Wäre der Blitz des Himmels auf sie niedergefahren, hätte er sie nicht schlimmer treffen können, als es diese Worte thaten. Sie wäre vor Kummer fast gestorben. Und hätten die Schwestern sie nicht gehalten, würde sie sich beim Umfallen den Kopf zerschlagen haben.

Als sie aus der Ohnmacht, in die sie vor Schreck gefallen war, zu sich kam, fingen ihre Schwestern an, sie zu trösten.

»Wie kannst Du denn an all' das glauben! Wo wäre das je vorgekommen, daß eine Kaisertochter ein Schwein geheirathet hätte!«

»Was bist Du für ein Kind«, sagte die Andere, »hat der Vater denn nicht genug Soldaten, um Dich davor zu bewahren, selbst wenn ein so ekelhaftes Thier käme, um Dich zu freien?«

Die jüngste Kaisertochter hätte sich gern überreden lassen und das geglaubt, was ihr die Schwestern sagten, aber sie hatte nicht das Herz dazu. Ihre Gedanken hingen an dem Buch, in dem stand, welch schönes Glück ihren Schwestern zu Theil werden sollte, und daß ihr allein etwas geschehen sollte, was bisher noch nicht in der Welt vorgekommen war. Außerdem nagte es ihr am Herzen, daß sie sich die Uebertretung des väterlichen Gebotes hatte zu Schulden kommen lassen.

Sie fing an zu kränkeln. Und in einigen Tagen hatte sie sich so verändert, daß sie nicht wiederzuerkennen war; sie[51] war rothwangig und heiter gewesen, jetzt war sie bleich und nichts machte ihr mehr Freude. Sie vermied es, mit den Schwestern im Garten zu spielen, pflückte keine Blumen mehr, um sie sich ins Haar zu stecken, sang nicht mehr mit den Anderen beim Spinnen oder beim Nähen.

Währenddem erfocht der Vater der Mädchen, der Kaiser, einen Sieg, wie er ihn nicht erhofft hatte; er besiegte und verjagte den Feind. Und da sein Sinn immer nach seinen Töchtern stand, machte er es möglich, so schnell er irgend konnte nach Hause zurückzukehren. Alle Welt ging ihm entgegen mit Pauken, Trommeln und Pfeifen und freute sich, daß der Kaiser siegreich heimkehrte.

So wie er anlangte, ehe er noch ins Haus trat, dankte der Kaiser dem Herrn, daß er ihm beigestanden habe gegen die Feinde, die sich gegen ihn erhoben hatten, um ihn zu bekämpfen. Dann trat er ins Haus; seine Töchter gingen ihm entgegen. Seine Freude vermehrte sich, als er sie gesund sah; die Jüngste nahm sich so viel wie möglich zusammen, um nicht traurig zu erscheinen.

Trotz alledem bemerkte der Kaiser nach nicht langer Zeit, daß seine jüngste Tochter immer magerer und betrübter wurde. Allsogleich war ihm, als zöge man ein glühendes Eisen durch seine Seele, denn ihm fiel ein, daß sie sein Verbot übertreten haben könnte. Und wie sollte sie es nicht gethan haben!

Um sich davon zu überzeugen, rief er seine Töchter, fragte sie aus und befahl ihnen, die Wahrheit zu sagen. Sie gestanden ihm Alles ein, hüteten sich aber zu sagen, wer von ihnen die Anderen verleitet hatte.

Als der Kaiser dies hörte, grämte er sich bitterlich, und[52] fast hätte ihn die Trauer überwältigt. Er faßte sich aber ein Herz und versuchte, seine Tochter, die ganz zu vergehen schien, zu trösten. Was geschehen war, war geschehen, er sah jetzt, daß tausend Worte die Sache auch nicht um einen Heller verbesserten.

Diese Vorfälle waren beinah vergessen worden, als eines Tages der Sohn eines Kaisers aus dem Osten vor dem Kaiser erschien und die älteste Tochter zur Frau begehrte. Der Kaiser gab sie ihm mit Freuden. Man richtete eine riesige Hochzeit her, und nach drei Tagen begleitete man sie mit allen Ehren bis an die Grenze. Nach einiger Zeit geschah dasselbe mit der zweiten Tochter, um die ein Kaisersohn aus dem Westen geworben hatte.

Je mehr die jüngste Kaisertochter sah, daß sich Alles erfüllte, wie es im Buche geschrieben stand, um so mehr betrübte sie sich. Sie wollte nicht mehr essen, zog ihre schönen Kleider nicht mehr an, ging nicht mehr spazieren, sie wollte lieber sterben, als so zum Gespött der Welt werden. Aber der Kaiser gab nicht zu, daß sie so eine gottlose Handlung ausführte, sondern tröstete sie mit allen möglichen Reden.

Es verging noch, was an Zeit vergehen sollte, bis, sieh an! es eines Tages dem Kaiser geschah, daß ein großes Schwein in den Palast kam und ihm sagte:

»Heil Dir, Kaiser, mögest Du rosig und guter Dinge sein, wie der Sonnenaufgang an einem klaren Tage!«

»Es freut mich, Dich wohl zu sehen, Freund! Aber welcher Wind bringt Dich her?«

»Ich gehe auf Freiersfüßen«, antwortete das Schwein.

Der Kaiser wunderte sich, wie er von einem Schwein eine so schöne Rede hörte, und ihm kam gleich in den Sinn, daß[53] die Sache nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. Der Kaiser hätte das Schwein gern auf andere Gedanken gebracht, um ihm seine Tochter nicht zur Frau zu geben; als er aber hörte, daß Hof und Straße voll von Schweinen waren, konnte er nicht ausweichen, und versprach sie ihm. Das Schwein ließ sich's aber nicht genug an dem Versprechen sein, sondern nahm die Sache ernst und verlangte, daß die Hochzeit binnen einer Woche stattfinden sollte. Erst nachdem ihm der Kaiser sein Kaiserwort darauf gegeben hatte, ging das Schwein davon.

Der Kaiser rieth nun seiner Tochter, sich einstweilen dem Schicksal zu unterwerfen, wenn der Herrgott es so bestimmt habe. Darauf sagte er ihr noch:

»Meine Tochter, die Reden und das verständige Benehmen dieses Schweines sind nicht die eines Thieres, ich glaube nun einmal nicht, daß es als Schwein zur Welt gekommen ist. Hier muß irgend eine Zauberei oder eine andere Teufelei im Spiele sei. Sei Du ihm aber gehorsam und handle nicht gegen sein Gebot, denn der Herrgott wird nicht zugeben, daß Du Dich lange Zeit so quälen mußt.«

»Wenn Ihr, lieber Vater, es räthlich findet, daß ich so handle«, entgegnete das Mädchen, »folge ich Euch und setze meine Hoffnung auf Gott. Was er will, geschehe mir!«

Mittlerweile nahte auch der Hochzeitstag heran. Die Trauung wurde so zu sagen im Geheimen vollzogen; darauf setzte sich das Schwein mit seiner Gattin in einen kaiserlichen Wagen und fuhr nach seinem eigenen Hause.

Unterwegs kamen sie an einem großen Morast vorbei; das Schwein befahl, daß der Wagen anhielte, stieg ab und wälzte sich im Schlamm, bis es ihm ganz gleich sah; dann stieg es wieder ein und sagte seiner Braut, sie möge es[54] küssen. Das arme Mädchen, was sollte es thun! Es zog das Sacktüchlein heraus, wischte ihm ein wenig die Schnauze und küßte es, indem es sich der Weisungen seines Vaters erinnerte.

Als sie an der Wohnung des Schweines anlangten, die in einem großen Walde war, wurde es schon dunkel. Sie saßen ein wenig still, um sich von der Fahrt zu erholen aßen zusammen ein Nachtmahl und legten sich dann zur Ruhe. In der Nacht bemerkte die Kaisertochter, daß ein Mensch und nicht ein Schwein neben ihr schlief. Sie wunderte sich nicht wenig. Dabei erinnerte sie sich an die Worte ihres Vaters und begann wieder etwas Muth zu fassen und fest auf Gottes Hülfe zu bauen.

Abends nämlich legte das Schwein, ohne daß das Mädchen es merkte, seine Schweinehaut ab, und am Morgen, ehe sie aufwachte, zog es sie wieder an.

Eine Nacht verging, eine zweite, mehrere vergingen, und das Mädchen konnte nicht begreifen, wie es möglich sei, daß ihr Mann am Tage ein Schwein, Nachts aber ein Mensch wurde. Wie's schien, war es verwunschen, verhext.

Mit der Zeit gewann sie ihn lieb, besonders als sie sich Mutter fühlte; es betrübte sie nur, daß sie nicht wußte, was in einigen Monaten zur Welt kommen würde. Eines schönen Tages sah sie eine alte Hexe vorbei kommen.

Sie, die so lange Zeit keine Menschen gesehen hatte, war von dem Anblick gerührt und rief sie, um mit ihr etwas zu schwatzen. Die Hexe sagte ihr, sie könne wahrsagen, Heilkräuter geben und verstehe alle ähnlichen Künste.

»So mög's Dir wohl gehen, Alte; nun, so deute mir[55] doch das Wunder: was hat es für eine Bewandtniß mit meinem Manne? Warum ist er Tags ein Schwein, Nachts aber, wenn er neben mir schläft, ein Mensch?«

»Was Du mir da sagst, Herzenskindchen, wollte ich Dir vorher sagen, denn ich bin nicht umsonst Wahrsagerin. Soll Dir das Mütterchen ein Kraut geben, das den Zauber bricht?«

»Gieb's mir, bitte, Mütterchen, ich werde Dir zahlen, was Du nur verlangst, denn ich hab's überdrüssig, ihn so zu sehen.«

»Hier, Herzchen, nimm diesen Faden. Er darf aber nichts davon wissen, sonst hat er keine Heilkraft. Steh Du sachte auf, wenn er schläft und binde ihm diesen Faden um den linken Fuß, so stramm wie nur möglich, und Du, mein Herzenskind, wirst sehen, daß er am nächsten Tage Mensch bleibt. Geld brauche ich nicht. Ich werde genügend bezahlt sein, wenn ich erfahre, daß Du solch einer Schändlichkeit entkommen bist. Mir reißen wirklich die Herzbänder vor Mitleid mit Dir entzwei, mein Täubchen, und ich bedauere nur immerzu, daß ich es nicht eher erfahren habe, um Dir zu Hülfe zu eilen!«

Nachdem das alte Hexenweib fortgegangen war, versteckte die Kaisertochter sorgfältigst den Faden; in der Nacht aber stand sie sachte auf, so daß nicht einmal die Nachtgeister sie hörten, und mit gepreßtem Herzen band sie den Faden um ihres Mannes Fuß. Als sie den Knoten anziehen wollte – ritsch! riß der Faden entzwei, denn er war mürbe.

Als ihr Mann erschreckt aufwachte, sagte er ihr: »Was hast Du gethan, Unglückselige! Ich hatte noch drei Tage, dann wäre dieser unreine Zauber von mir genommen worden;[56] jetzt muß ich noch Gott weiß wie lange diese ekelhafte Thiergestalt tragen. Du aber wirst mich dann erst finden, wenn Du drei Paar eiserne Sandalen zerrissen, wenn Du einen stählernen Stab abgewetzt hast auf der Suche nach mir, denn ich gehe davon.«

So sagte er und verschwand.

Als die arme Kaisertochter sich mutterseelenallein sah, fing sie zu weinen an und zu wehklagen, daß Einem das Herz hätte brechen können. Sie wünschte Feuer und Flamme auf die verfluchte Wahrsagerin herab. Aber Alles vergebens. Als sie sah, daß sie mit ihrem Kummer nichts ausrichtete, stand sie auf und ging, wohin sie Gottes Barmherzigkeit führen würde.

Als sie in eine Stadt kam, bestellte sie sich drei Paar eiserne Sandalen und einen Wanderstab aus Stahl, machte sich reisefertig und ging auf die Wanderschaft, um ihren Mann zu finden.

Sie ging und ging über neun Meere und durch neun Länder, zog durch große Wälder mit Baumstämmen wie Fässer, sie stolperte und schlug sich an den umgestürzten Bäumen, und so oft sie fiel, so oft stand sie auch wieder auf; die Zweige der Bäume schlugen ihr ins Gesicht, die Gesträuche zerrissen ihr die Hände, sie aber ging immer vorwärts und schaute nie zurück. Endlich, müde vom Weg und von ihrer eignen Last, niedergedrückt von Trauer, aber mit Hoffnung im Herzen, gelangte sie an ein Haus.

Denke Dir nur, in dem wohnte die heilige Mondgöttin! Sie klopfte an die Thür, bat, daß man sie einlasse, damit sie sich ein wenig ausruhe, besonders da auch ihre Stunde gekommen war. Die Mutter der heiligen Mondgöttin hatte[57] Mitleid mit ihr und ihrem Leiden, so ließ sie sie ein und verpflegte sie. Dann fragte sie:

»Wie ist es aber möglich, daß ein Mensch von den jenseitigen Gestaden bis hierher hat dringen können?«

Die arme Kaisertochter erzählte ihr dann alle ihre Erlebnisse und endete mit den Worten: »Ich danke zuerst dem Herrgott, daß er meine Schritte hierher gelenkt, und zweitens Euch, daß Ihr mich in der Stunde der Geburt meines Kindes nicht habt umkommen lassen. Jetzt bitte ich Euch auch noch, mir zu sagen, ob nicht etwa die heilige Mondgöttin, Eure Tochter, weiß, wo sich mein Mann befindet?«

»Sie kann es nicht wissen, mein Kind«, entgegnete ihr die Mutter der heiligen Mondgöttin, »aber geh dorthin, gen Osten, bis Du zum heiligen Sonnengott gelangst, vielleicht weiß er irgend etwas!«

Sie gab ihr ein gebratenes Huhn zum Essen mit und sagte ihr, sie möge sich in Acht nehmen und keines von den Knöchelchen verlieren, weil sie ihr von großem Nutzen sein könnten.

Nachdem sie noch einmal für die Gastfreundschaft und die nützlichen Rathschläge gedankt und ein Paar Sandalen weggeworfen, weil sie verbraucht waren, zog sie andere an, that die Hühnerknöchelchen in ein Bündel, nahm das Kindchen in den Arm, den Stab in die Hand und wanderte wiederum weiter.

Sie ging, ging und ging durch bloße Sandflächen; so schwer war der Weg, daß sie immer nach zwei Schritten vorwärts, einen rückwärts machte; sie kämpfte und kämpfte bis sie diese Flächen überwunden, dann zog sie über hohe, felsige und ausgehöhlte Berge, sprang von Felsblock zu Felsblock[58] und von Spitze zu Spitze. Als sie auf eine Gebirgsebene gelangte, – schien ihr, als könne sie Gott mit Händen greifen, und nachdem sie sich etwas ausgeruht hatte, machte sie sich wiederum auf den Weg und ging immer weiter und weiter. Ueber Sümpfe, Bergspitzen ging sie, die ganz aus Feuersteinen waren und die ihr so die Füße, Kniee und Ellbogen zerrissen, daß Alles blutete; denn die Berge, muß ich Euch sagen, waren so hoch, daß sie über die Wolken hinaus reichten! Und wo war ein Abhang, über den sie nicht springen mußte, oft konnte sie nicht anders vorwärts kommen, als auf allen Vieren und indem sie sich mit dem Stab nachhalf.

Schließlich gelangte sie, fast gebrochen vor Müdigkeit, an einen Palast. In dem wohnte der heilige Sonnengott. Sie klopfte an die Thür und bat, daß man sie einließe. Die Mutter des Sonnengottes öffnete und wunderte sich, als sie einen Menschen von den jenseitigen Gestaden vor sich sah, und weinte vor Mitleid, als sie ihr ihre Erlebnisse erzählte. Dann, nachdem sie ihr versprochen hatte, ihren Sohn wegen ihres Gatten zu fragen, versteckte sie die Kaisertochter im Keller, damit der Sonnengott, wenn er nach Hause käme, sie nicht bemerke; denn Abends kehrte er immer sehr zornig zurück.

Am nächsten Tage fürchtete die Kaisertochter, daß es ihr schlecht ergehen würde, weil der Sonnengott gerochen habe, daß Jemand aus der andern Welt bei ihm gewesen sei. Aber seine Mutter hatte ihn mit sanftem Wort beruhigt und ihm gesagt, daß es ihm nur so scheine.

Die Kaisertochter faßte Muth, als sie sah, mit wie viel Güte sie aufgenommen wurde, und fragte:

»Aber wie in aller Welt ist es möglich, daß der[59] Sonnengott zornig ist, er, der so schön ist und den Sterblichen so viel Wohlthaten erweist?«

»Schau an, warum«, antwortete des Sonnengottes Mutter: »Morgens steht er an des Paradieses Thür, dann ist er heiter und lacht die ganze Welt an. Am Tage aber wird ihm widerwärtig zu Muth, weil er all die Unsauberkeiten der Menschen sieht, und darum gießt er seine Wärme so zum Versengen aus; Abends aber ist er traurig und zornig, weil er an der Thür der Hölle steht, das ist sein gewöhnlicher Weg, von dort kommt er dann nach Hause.«

Sie sagte ihr ferner, daß sie ihn nach ihrem Manne gefragt, und daß ihr Sohn geantwortet, er wisse nichts über ihn; denn er wäre vielleicht in einem dichten, großen Walde, und sein Blick könne nicht in alle Ecken und Tiefen dringen, ferner, daß keine andere Hoffnung für sie wäre, als zum Winde zu gehen. Auch beim Sonnengott gab man ihr ein Huhn zu essen und rieth ihr, die Knöchelchen behutsam aufzuheben.

Nachdem sie auch das zweite Paar Sandalen, das aufgebraucht war, fortgeworfen hatte, nahm sie ihr Bündel mit den Knochen, das Kind in den Arm, den Stab zur Hand und machte sich auf den Weg zum Winde.

Auf diesem Wege stieß sie auf noch größere Schwierigkeiten, denn sie fand einen Berg aus Feuerstein nach dem anderen, aus denen Feuerflammen züngelten, stieß auf Wälder, durch die nie ein Fuß gegangen, und mußte über Eisfelder und Lawinen von Schnee fort. Fast wäre die arme Frau hier umgekommen, doch mit Standhaftigkeit und mit Gottes Hülfe überwand sie auch diese großen Schwierigkeiten und gelangte an eine Einhöhlung, die an einer Bergecke lag[60] und so groß war, daß sieben Burgen in ihr Platz gehabt hätten.

Dort wohnte der Wind.

Das Gitter, welches die Höhle umgab, hatte ein Thürchen. Sie klopfte an und bat, daß man sie aufnähme. Die Mutter des Windes hatte Mitleid mit ihr und nahm sie auf, damit sie sich bei ihr ausruhe. Wie beim Sonnengott wurde sie auch hier versteckt, damit der Wind sie nicht bemerke.

Am nächsten Morgen sagte die Mutter des Windes ihr, daß ihr Mann in einem großen, dichten Walde wohne, wohin noch kein Beil gelangt sei, daß er sich dort eine Art Haus gebaut habe, indem er Baumstämme auf einander gerollt und sie durch Weidengeflecht an einander befestigt habe, und daß er dort einsam und allein lebe, aus Furcht vor bösen Menschen.

Nachdem sie ihr auch ein Huhn zu essen gegeben und ihr gesagt hatte, sie möge die Knöchelchen verwahren, rieth ihr die Mutter des Windes, die Richtung der Milchstraße, die man Nachts am Himmel sieht, einzuschlagen und zu wandern und wandern, bis sie ans Ziel gelange.

So that sie auch. Nachdem sie mit Thränen in den Augen für die Gastfreundschaft und für die gute Kunde gedankt, die ihr geworden, machte sie sich auf den Weg.

Die arme Frau machte die Nächte zum Tage. Sie gab sich nicht die Zeit zum Essen oder zum Ruhen. So viel Sehnsucht empfand sie nach ihrem Gatten, den das Geschick ihr gegeben hatte.

Sie wanderte und wanderte, bis auch diese Sandalen entzwei brachen. Sie warf sie fort und fing an mit bloßen Füßen weiter zu gehen. Sie achtete nicht auf die Sümpfe,[61] nicht auf die Dornen, die sie sich in die Füße trat, nicht auf die Schmerzen, die sie erlitt, wenn sie an irgend einen Stein stieß.

Zuletzt gelangte sie an eine grüne schöne Wiese, am Rande eines Waldes. Jetzt erheiterte sich ihr Herz, als sie die Blumen und das weiche Gras sah. Sie stand still und ruhte sich ein wenig aus. Als sie dann die Vögel zu Zwei und Zwei auf den Zweigen der Bäume sah, gedachte sie sehnsüchtigst ihres Mannes und fing bitterlich zu weinen an, nahm dann das Kind in den Arm, das Bündelchen mit den Knochen auf die Schulter und machte sich wiederum auf.

Sie trat in den Wald. Sie schaute weder auf das schöne, grüne Gras, das ihre Füße streichelte, weder hörte sie die Vögel, die zwitscherten, daß sie Einen betäuben konnten, noch suchte sie die Blumen, die sich zwischen dem dichten Gesträuch versteckten, sondern sie ging behutsam weiter durch den Wald. Ihr schien es, als müsse dies der Wald sein, in dem ihr Gatte wohne, nach den Merkmalen, die ihr die Mutter des Windes über ihn mitgetheilt hatte.

Drei Tage und drei Nächte durchsuchte sie den Wald und konnte nichts finden. So gebrochen vor Müdigkeit war sie, daß sie umfiel und einen Tag und eine Nacht liegen blieb, ohne sich zu rühren, ohne etwas zu trinken oder zu essen. Zuletzt nahm sie alle ihr Kraft zusammen, stand auf, und so herumschwankend, versuchte sie vorwärts zu kommen, indem sie sich auf ihren Stab stützte; aber es war ihr unmöglich, denn auch der Stab hatte sich abgewetzt, so daß er ihr von keinem Nutzen mehr sein konnte. Aber aus Mitleid mit dem Kinde, das keine Milch mehr in ihrer Brust fand, aus Sehnsucht nach dem Manne, den sie mit Gottvertrauen suchte,[62] ging sie vorwärts, so gut sie konnte. Sie hatte kaum zehn Schritt gemacht, als sie in einem Dickicht eine Art Haus erblickte, wie die Mutter des Windes es ihr beschrieben hatte. Sie machte sich dahin auf und konnte kaum bis dahin gelangen. Dies Haus hatte weder Fenster noch Thür. Denk Dir an, die Thür war oben drauf! Sie ging rundherum, keine Treppe war zu sehen!

Was sollte sie machen. Sie wollte hinein. Sie dachte und bedachte, versuchte hinaufzuklettern, vergebens. Sie stand und stand, ganz niedergeschlagen darüber, daß sie jetzt so zu sagen am Ufer noch ertrinken solle. Da erinnerte sie sich an die Hühnerknöchelchen, die sie so weiten Weg geschleppt hatte, und sagte sich: so ganz ohne Grund werden sie mir nicht Alle gesagt haben, diese Knöchelchen aufzuheben, sondern sie werden mir jetzt von großem Nutzen in der Noth sein.

Dann holte sie die Knöchelchen aus dem Bündel heraus, bedachte sich etwas, nahm zwei von ihnen, legte dieselben aneinander und sah, daß sie wie durch ein Wunder klebten. Dann that sie noch einen Knochen und noch einen drauf und sah, daß auch diese festklebten. So machte sie aus den Knöchelchen zwei Stangen, so groß wie das Haus, stützte sie an das Haus, eine Spanne von einander entfernt. Darauf setzte sie wieder Stück an Stück die anderen Knöchelchen zusammen und machte kleine Stäbe, legte einen jeden quer über die großen Stangen, wie die Stufen einer Leiter, und diese Stufen klebten auch an. Und so fügte sie eine nach der andern hinzu bis oben hinauf. So wie sie eine Stufe angefügt, stieg sie auch auf dieselbe. Dann die nächste, bis sie am Ziel war. Aber gerade oben am Ende der Leiter[63] hatte sie keine Knöchelchen mehr, um noch die letzte Sprosse zu machen.

Was sollte sie anfangen? Ohne diese eine Stufe nutzte ihr die ganze Leiter nicht. Denk' Dir an, sie hatte also ein Knöchelchen verloren! Dort stehen zu bleiben war unmöglich. Nicht hinein gehen zu können, war verzweiflungsvoll. So machte sie sich dran und schnitt sich den kleinen Finger ab, und als sie ihn daran setzte, klebte er auch an. Sie nahm das Kind in den Arm, stieg von Neuem hinauf und trat ins Haus.

Hier wunderte sie sich über die große Ordnung, die sie vorfand. Sie machte sich daran, auch noch ein bischen zu räumen. Dann erholte sie sich ein wenig, legte das Kind in eine Mulde, die dort stand, und setzte sie ins Bett.

Als ihr Mann kam, erschrak er vor dem, was er erblickte. Er glaubte, er könne seinen Augen nicht trauen, und er schaute unverwandt auf die Leiter aus Knöchelchen und auf den Finger oben an derselben. Ihm war bange, daß er es wieder mit irgend welchen Zaubereien zu thun habe, und er hätte fast das Haus verlassen, der Herrgott aber gab es ihm in den Sinn, doch lieber hineinzugehen. So machte er sich zu einem Täubchen, damit kein Zauber Macht über ihn habe, flog übers Haus, ohne die Leiter zu berühren, und in einem Fluge auch bis hinein. Dort erblickte er eine Frau, die ein Kind wiegte. Da erinnerte er sich daran, daß seine Frau ein Kind erwartet habe, als er von ihr gegangen war, und es überkam ihn eine so große Sehnsucht nach ihr und ein so tiefes Mitleid, wenn er an das dachte, was sie erduldet haben müsse, um bis zu ihm zu gelangen, – daß er allsogleich Mensch wurde. Fast hätte er sie nicht[64] erkannt, so sehr war sie in Folge der Leiden und Beschwerlichkeiten, die sie durchgemacht hatte, verändert.

Die Kaisertochter stand auf, als sie ihn sah, und ihr preßte sich das Herz zusammen vor Angst, weil sie ihn nicht erkannte. Nachdem er sich ihr aber zu erkennen gegeben, bereute sie nicht, nein, vergaß sie sogar Alles, was sie erlitten hatte. Er war ein schöner Mann, schön wie eine Tanne. So setzten sie sich also hin und sprachen. Sie berichtete ihm alle ihre Erlebnisse, er aber weinte aus Mitleid mit ihr. Darauf fing auch er an zu erzählen:

»Ich«, sagte er, »bin ein Kaisersohn. Bei einem Kriege, den mein Vater mit etlichen Drachen führte, die seine Nachbarn waren und dazu von sehr böser Art, so daß sie immer in sein Gebiet einfielen, habe ich den Jüngsten ermordet. Denk Dir an, das Geschick hatte Dich ihm bestimmt! Seine Mutter, die eine Hexe ist und selbst Wasser durch ihre Zauberei gerinnen machen kann, verhexte mich, so daß ich die Haut jenes ekelhaften Thieres tragen mußte; sie hoffte, daß es mir nun nicht gelingen würde, Dich zu bekommen. Der Herrgott hat sich ihr aber widersetzt, und ich habe Dich bekommen. Das Weib, das Dir den Faden gab, mit dem Du meinen Fuß umwickeln solltest, war sie. Und anstatt der drei Tage, die ich noch brauchte, um den Fluch zu erfüllen, war ich gezwungen, noch drei Jahre lang die Gestalt des Schweines zu tragen. Jetzt, wo Du für mich und ich für Dich gelitten, laß uns Gott loben und zu unsern Eltern zurückkehren. Ohne Dich war ich entschlossen wie ein Einsiedler zu leben; darum habe ich mir auch diesen öden Platz ausgesucht und mir dies Haus so gebaut, daß keine Menschenseele zu mir eindringen könne.« Darauf umarmten sie sich vor Freude und versprachen[65] sich gegenseitig, die vergangenen Schmerzen zu vergessen.

Am nächsten Morgen in der Frühe standen sie auf und machten sich zusammen auf den Weg, zuerst zum Kaiser, seinem Vater. Als man von seinem und seiner Gemahlin Kommen hörte, weinte alle Welt vor Freude ihn zu sehen. Sein Vater und seine Mutter aber umarmten sie innig und hielten drei Tage und drei Nächte lang Freudenfeste.

Dann machten sie sich zum Kaiser auf, dem Vater seiner Gattin. Dieser verlor fast den Verstand vor Freude, als er sie sah. Er ließ sich ihre Erlebnisse erzählen, dann sagte er seiner Tochter:

»Habe ich Dir's nicht gesagt, daß ich nicht glauben konnte, daß jenes Thier, das Dich zur Frau verlangte, als Schwein zur Welt gekommen sei? Und Du hast wohlgethan, mein Kind, daß Du mir gefolgt bist.«

Und da er alt war und keine Erben hatte, stieg er von seinem Kaiserthron herab und setzte sie darauf. Sie aber regierten, wie die Kaiser regieren, die alle Art Versuchung, Leiden und Sorgen selbst durchgemacht haben.

Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben und herrschen sie noch heute in Frieden.


Ich schwang mich in den Sattel dann,

Damit ich's Euch erzählen kann.

Quelle:
Kremnitz, Mite: Rumänische Märchen. Übersetzt von -, Leipzig: Wilhelm Friedrich, 1882, S. 48-66.
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