879. Das getaufte Sennentunscheli der Gescheneralp.

[252] Alte, vergilbte Chroniken sollen melden, dass in grauer Vorzeit gleich hinter den Häusern von Geschenen die Alp begonnen habe. Der Weiler Abfrutt bestand damals noch nicht.

In dieser Alp lebten übermütige Knechte, die ein wüstes Leben führten, nicht zu beten riefen und über heilige Sachen und göttliche Gebote spotteten. Einst machten sie aus Lumpen einen Dittitolg oder, wie man auch sagt, einen Tunsch, Tunggel, Dittitunsch oder Tschungg, trieben mit ihm allen Unfug, strichen ihm Nidel und Milchreis an und gingen so weit, dass ihn der Senn taufte. Jetzt wurde er lebendig und fing an zu reden. Nachdem sie sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatten, fuhren sie fort mit ihrem Unfug und taten immer wüster. Nach und nach ging der Toggel nachts auf's Hüttendach und trabte da herum wie ein Ross. Bei der Alpabfahrt im Herbst vergassen sie den Melkstuhl; als sie es aber merkten, wollte keiner zurück, ihn zu holen, denn sie hatten Angst. Da warfen sie das Los – si hennt g'findlet, – und es traf den Schlimmsten aus ihnen. Er ging zurück. Die Andern zogen mit dem Vieh fort, und als sie auf der Höhe beim jetzigen Abfrutt zurückschauten, sahen sie, wie ein Gespenst die Haut ihres Kameraden auf dem Hüttendach ausspreitete.[252]

Seitdem hauste da ein scheussliches Gespenst und die Alp konnte nicht mehr benutzt werden.

Das Gespenst sei das Greiss gewesen, ergänzt ein zweiter Erzähler.


Johann Wipfli, Chucheler, Erstfeld.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 252-253.
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