V. Tschhakli (Châgaleya-Upanishad?).

[843] Der weise Tschhakli, nach dem diese Upanishad benannt ist, wird von Stenzler und Weber als Châgaleya gedeutet, und wir wüssten diese Vermutung durch nichts Besseres zu ersetzen, da Câkrâyaṇa (Chând. 1,10) dem Lautwerte nach zu fern liegt, auch Bṛih. 3,4 als Tschekraïn wiedergegeben wird. Auch in der Deutung von Nimkehar als Naimishawald (Naimishâraṇyam) und K'herk'hit als Kurukshetram schliessen wir uns an Weber an.

Das Thema der Upanishad ist nicht streng festgehalten; im Anfang handelt es sich darum, ob die Geburt den Brahmanen ausmache; im weitern Verlaufe darum, ob das Wesen des Menschen im Leibe oder der Seele zu suchen sei. Als Grundgedanken kann man allenfalls, beides vermittelnd, aufstellen, dass nicht die Geburt den Brahmanen ausmache, weil nur der Leib geboren werde, das Wesen des Menschen aber in der Seele zu suchen sei.

Eine Zeitbestimmung ist aus dem Inhalte schwerlich zu gewinnen, da die Frage, worin das Wesen des Brahmanen bestehe, zu jeder Zeit, von Chând. 4,4 an bis hinab zur Vajrasûcikâ, möglich war, und der Vergleich von Leib und Seele mit dem Wagen und seinem Lenker sowohl abhängig als auch unabhängig von Kâṭh. 3,3 aufgestellt werden konnte. Die »wie die Kinder Lebenden« scheinen allerdings Bṛih. 3,5 zur Voraussetzung zu haben, wenn nicht etwa an die zwerghaften Vâlakhilya's zu denken ist.

Der Form nach macht das Stück freilich den Eindruck, einer sehr späten Zeit anzugehören, aber wir wissen nicht, wie viel hierbei auf Rechnung der von den persischen Übersetzern eingefügten Erläuterungen zu setzen ist.


Es begab sich, dass die Ṛishi's am Ufer der Sarasvatî ein Opfer veranstalteten. Da sass unter ihnen ein Brahmane, von dem sagten die Ṛishi's: »Wir müssen ihn ausschliessen, denn seine Mutter ist eine Magd, und es ist gegen die Vorschrift, dass ein solcher beim Opfer zugegen sei.« – Da sprach der Brahmane: »Ihr verehrungswürdigen Opferbringer und Vedakenner, welches ist diese eure Grösse, die in mir nicht wäre?«[844] – Und sie sprachen: »Dieses ist unsere Grösse, dass wir geborene Brahmanen sind.« – Und er sprach: »Was ist jenes Brahman in euch, das in mir nicht wäre?« – Die Ṛishi's sprachen: »Wer im Hause eines Brahmanen geboren ist und das Werk der Brahmanen vollbringt, jene Werke, die im Veda geboten sind, der ist ein Brahmane.«

Da zeigte er ihnen einen Toten, der lag am Ufer des Flusses; und er sprach zu ihnen: »Auch dieser, welcher tot hier liegt, ist ein Brahmane und hat alle Werke des Veda vollbracht; warum nennt man nicht diesen Toten einen Brahmanen? Wenn ihr den Leib für den Brahmanen haltet, so müsst ihr auch diesen für einen Brahmanen halten; denn die Werke sind nicht aus dem Leibe ausgezogen.« – Die Ṛishi's sprachen: »Wir wissen nicht, was aus ihm ausgezogen ist, nach dessen Auszug wir ihn nicht mehr einen Brahmanen nennen.« – Er sprach: »Im Naimishawalde (Nimkehar) war eine heilige Stätte, weil die Brahmanen dort ein Opfer veranstaltet hatten. Dieser Tote war unter jenen Brahmanen zur Zeit des Opfers und wusste alles Wissen und vollbrachte die Werke. Was ist aus diesem, seinem Wissen geworden?« – Da waren die Ṛishi's bestürzt, nahten sich ihm als Schüler und sprachen: »Wir wissen es nicht! lass uns deine Schüler sein, belehre uns!« – Er aber sprach lächelnd: »Das ist doch gegen den Strich, dass ein Niedriger so Grosse und Edle zu Schülern haben sollte!« – Die Ṛishi's sprachen: »Wenn es also ist, so nimm uns nicht als Schüler an, aber zeige uns an, wohin wir gehen sollen!« – Er sprach: »In Kurukshetram (K'herk'hit) sind sie versammelt, welche wie die Kinder leben; so macht euch auf und gehet hin zu ihnen; sie werden euch die Wahrheit darüber mitteilen.«

Da machten sich die Ṛishi's auf und gingen nach Kurukshetram zu jenen hin, welche wie die Kinder leben. Als sie dort ankamen, forschten jene nach ihrem Begehr und sprachen: »Wir leben wie die Kinder; warum seid ihr zu uns gekommen, die ihr gross seid und alt und weise und vedakundig? Auch hier gibt es solche, die alt sind und weise und gross und vedakundig und von grossem Reichtume; warum geht ihr nicht zu ihnen sondern zu uns?« – Als die Ṛishi's[845] diese Rede hörten, waren sie bestürzt, sahen einander an und sprachen: »Der uns angewiesen hat, zu euch zu gehen wie Schüler zu ihrem Lehrer, der hat uns hergesandt, und wir sind, auf ihn vertrauend, zu euch gekommen.« – »So sagt denn, was ihr von uns wollt«, sprachen sie. – Und die Ṛishi's sprachen: »Als die Brahmanen das Opfer im Naimishawalde veranstalteten, war unter ihnen ein Brahmane aus dem Geschlechte des Atri, der wusste alles Wissen und vollbrachte alle Werke. Was ist nun, nachdem er gestorben und sein Leib dahingefallen ist, aus diesem seinem Wissen geworden?« – Sie sprachen: »Wir haben von unsern Vorfahren die Sitte überkommen, dass wir niemand als Schüler annehmen, der uns nicht vorher ein Jahr lang gedient hat. Wenn ihr ein Jahr lang hier verweilen und uns dienen wollt, so werden wir mit euch reden.«

Und sie blieben ein Jahr und dieneten ihnen. Darauf sprachen die wie die Kinder Lebenden zu den Ṛishi's: »Nachdem ihr uns nun ein Jahr lang gedient, wollen wir mit euch reden.« – Und sie nahmen sie an der Hand und führten sie an einen Weg, auf dem fuhren Wagenfahrer mit ihren Wagen vorüber; und sie sprachen: »O ihr Wahrheitliebenden, seht ihr dies?« – »Was?« sprachen sie. – »Den Wagen« sprachen sie. – Die Ṛishi's sprachen: »Wohl sehen wir den Wagen; aber warum wollt ihr, dass wir ihn sehen?« – Sie sprachen: »Wie die Wagenrosse, gleich Meereswellen, springen und laufen, also springt und läuft auch der Wagen; wohin immer die Pferde gehen, dahin geht der Wagen und bringt den Wagenfahrer ans Ziel. Also verhält sich dieses.« – Die Ṛishi's sprachen: »So ist es, und alle fahren auf den Wagen, bis sie zur Abendzeit ans Ziel gelangen.«

Da hielt der Wagenlenker den Wagen an, stieg ab und schirrte die Pferde los. Und sie sprachen zu den Ṛishi's: »Seht, wie jetzt der Wagen, gleich einem blossen Holzstücke, dasteht, ohne zu fahren, umzulaufen oder sich zu bewegen. Was ist es«, so fragten sie, »das den Wagen verlassen hat, so dass er, statt zu laufen, unbeweglich steht?« – Die Ṛishi's sprachen: »Der Wagenlenker hat ihn verlassen.« – Da sprachen sie: »Wie ihr den Wagen ohne Bewegung stehen seht, nachdem[846] der Wagenlenker ihn verlassen, so ist, o ihr Wahrheitliebenden, auch dieser Körper ohne Bewegung, nachdem die Seele (jîvâtman) ihn verlassen hat. Die Seele ist es, die den Körper bewegt; die Sinne sind die Rosse des Wagens, die Sehnen sind die Stricke, die seine Teile zusammenhalten, die Knochen sind die Holzteile, das Blut ist das Öl, das man ihm einträufelt, damit er laufe; das Werk ist der Stab, mit dem man die Pferde antreibt; die Rede ist das Knarren des Wagens, die Haut ist seine Decke. – Und gleich wie der Wagenlenker den Wagen verlässt, also dass er ohne Bewegung steht, so auch gelangt die Seele, den Stand des Wachens verlassend, zum Träumen, und den Stand des Träumens verlassend, zum Tiefschlafe (sushupti), welcher von Erkenntnisart (prâjña) ist. Und wenn sie auch diesen Stand verlässt und sich losmacht und nicht wieder hierher zurückkehrt, und den Leib loslässt, dann steht dieser Wagen des Leibes ohne Bewegung und tönt nicht mehr und riecht übel, und man berührt ihn nicht, und die Hunde und Krähen und Geier und Schakale zerfleischen ihn.« –

Da verstanden die Ṛishi's, was die Wahrheit ist, und dass das, durch dessen Auszug der Leib zum Leichnam wird, die Seele ist, und dass der Leib niedrig und die Seele hoch ist, und dass niemals der Leib hoch und die Seele niedrig genannt werden kann.

Als die Ṛishi's diese Wahrheit wohl begriffen hatten, berührten sie die Füsse von jenen und sprachen: »Wahrlich, wir haben kein Gut, das wir, als dem gleichwertig, was ihr uns gelehrt habt, euch als Gabe darbieten und geben könnten. Hier stehen wir mit ehrfurchtsvoll verbundenen Händen.« –

Diese Erzählung berichtete der Ṛishi Châgaleya und sprach diesen Mantra des Veda:


Wie ohne Lenker ein Wagen

Nicht umläuft, tönt und sich bewegt,

So auch der Leib, wenn ausziehend

Die Seele ihn verlassen hat.


Und wie des Wagens Werkzeuge

Ohne den Lenker tatlos sind,[847]

So auch des Körpers Werkzeuge

Tatlos ohne die Seele sind.


Und wenn auch einen, der tot ist,

Die Seinigen betrauern all,

So werden sie dadurch bringen

Keinen Nutzen dem toten Leib.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 843-848.
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