[772] Pierer. Wie in vielen Städten, so zog auch in Altenburg die Reformation die Einführung der Buchdruckerkunst nach sich. Als erster Buchdrucker der Stadt wird im Jahre 1523 Gabriel Kantz genannt, welcher die Schriften des ersten evangelischen Geistlichen zu »Aldenburg in Meyssen«, Wenzel Linck, druckte und verlegte.
Etwa 100 Jahre später folgt ihm der zweite Altenburger Drucker, Joh. Meuschke, der seine Erzeugnisse »In Fürstl. Sächß. Officin« herstellt. Ihm folgt von 1636 ab Otto Michael und 1660 Johann Michael.
Am 6.3.1668 erhielt dann Gottfried Richter (geboren 21.10.1633 zu Dresden und ausgebildet bei Melchior Bergen daselbst), welcher damals bei Joh. Michael in Kondition stand, die Buchdruckerei- nebst Buchhandelskonzession. In seiner Familie blieb die Hofbuchdruckerei über 100 Jahre. Sein Sohn Johann Ludwig Richter kaufte 1709 von Herzog Friedrich die fürstliche Druckerei. 1799 erwarb Joh. Friedrich Pierer die Richtersche Hofbuchdruckerei.
Pierer, dessen Familie aus dem Voigtlande stammte, war am 22.1.1767 zu Altenburg als der Sohn des dortigen Hofadvokaten und Stadtsyndikus geboren. Durch das Gymnasium vorgebildet,[772] bezog er mit 16 Jahren die Universität Jena, wo er sich zuerst dem rechtswissenschaftlichen, dann dem medizinischen Studium widmete und mit 21 Jahren sich die medizinische Doktorwürde erwarb. 1790 ließ er sich als Arzt in seiner Heimat nieder, wo er bald darauf zum Landphysikus und Lehrer am anatomischen Institut ernannt wurde. 1798 begann Pierer mit der Herausgabe der »Medizinischen Nationalzeitung für Deutschland«, die großen Anklang fand; 1799 erstand er dann, wie schon erwähnt, die Richterische Offizin. 1801 begründete er ein eigenes buchhändlerisches Geschäft unter der Firma: Literarisches Comptoir, vervollständigte seine medizinische Zeitschrift und begann mit der Herausgabe eines großen medizinischen Realwörterbuches. 1816 trat Pierer sein buchhändlerisches Geschäft an Friedrich Arnold Brockhaus ab. 1821 kaufte dann Pierer das Realwörterbuch wieder zurück und errichtete mit Hilfe seines inzwischen ins Geschäft eingetretenen Sohnes Heinrich August Pierer wiederum eine Verlagshandlung unter dem Namen: Literatur-Comptoir, deren Leitung er fast ganz dem Sohn überließ. 1823 ging das Hahn-Binzersche »Encyklopäd. Wörterbuch der Künste, Wissenschaften und Gewerbe« (später Pierers Konversationslexikon) aus dem Konkurs des ersten Verlegers Hahn in Altenburg an ihn über. Bis zum Tode des inzwischen zum Obermedizinalrat ernannten Hofrat Pierer, 21.12.1832, waren 15 Bände erschienen.
Sein Sohn Hch. Aug. Pierer, geb. am 26.2.1794, hatte nach dem Schulbesuch in Schulpforta, wie sein Vater in Jena Medizin studiert und war 1813 ins Lützowsche Freikorps getreten. Er focht mit bei Leipzig und wurde in der Schlacht bei Wachau schwer verwundet. Genesen, kehrte er wieder zur Armee zurück und focht 1815 bei Waterloo, später wirkte er als Divisionsschullehrer in Posen.
Nach Eintritt ins Geschäft widmete er sich eifrigst dessen Unternehmungen. 1840-47 erschien die zweite Bearbeitung des »Universal-Lexikons« in 34 Bänden nebst 6 Supplementbänden. Seit 1835 firmierte er für den Verlag H. A. Pierer. Major Pierer starb am 12.5.1850; das Geschäft übernahmen nach des Vaters Tode der älteste Sohn Eugen Pierer, anfänglich im Verein mit seinem Bruder Victor Pierer. Letzterer ging jedoch später nach Wien und trat als Teilhaber in die Druckerei von Joseph Keck; das Geschäft wurde unter der Firma Keck & Pierer fortgeführt; Victor Pierer aber starb 1855 am Typhus und die Druckerei wurde später verkauft.
Der spätere Kommissionsrat Eugen Pierer besuchte die Leipziger Realschule und absolvierte seine Lehrzeit in der Teubnerschen Buchdruckerei daselbst. 1843 trat er ins väterliche Geschäft ein, während sein Bruder, der spätere Senator Alfred Pierer (geb. 12.2.1836) im Jahre 1859 eintrat. 1857-71 folgte eine 4. und 5. Auflage[773] des Universal-Lexikons, dessen Redaktion nach dem Tode des Majors Pierer der Pfarrer Löbe in Rasephas übernommen hatte. 1841 wurde die erste Schnellpresse aufgestellt, bis 1871 folgten weitere 8 Schnellpressen. Im gleichen Jahre ging die Hofbuchdruckerei durch Kauf an ein Konsortium, bestehend aus Carl Geibel jr., Richard Reisland, Otto Volckmar, Carl Vörster und Carl Geibel sr. über, welches Stephan Geibel die Leitung übertrug.
Stephan Geibel, der mehr als 30 Jahre lang der Altenburger graphischen Anstalt vorgestanden hat, erblickte am 15.7.1847 das Licht der Welt in Budapest, wo sein aus Halle gebürtiger Vater als Hofbuchhändler 1827-1850 seßhaft war und am Aufschwung der ungarischen Literatur wesentlichen Anteil hatte.
Nach sorgfältiger Erziehung im Elternhause trat Geibel in das graphische Etablissement von F. A. Brockhaus in Leipzig und später in die Engelhard-Reyhersche Hofbuchdruckerei in Gotha ein, um sich in der Buchdruckerkunst auszubilden; doch wandte er sich bald mit Vorliebe der buchhändlerischen Laufbahn zu und war dann nacheinander in den Buchhandlungen von Volckmar u. Duncker & Humblot in Leipzig, Georg in Genf und zuletzt in Marcus Sortiment in Bonn tätig.
1871 wurde, wie schon erwähnt, dem erst im Alter von 24 Jahren stehenden Mann die Leitung der Piererschen Hofbuchdruckerei angetragen und von ihm, in Anbetracht des umfangreichen Betriebes nicht ohne Bangigkeit, 1872 auch übernommen.
In allem, was seine Firma in der langen Reihe von Jahren, in denen er sie leitete, geleistet hat, ist sein eigenes fachliches Wissen leicht zu erkennen.
Besonders hervorgehoben zu werden verdient, daß, als in den 1870er Jahren in den deutschen Landen auf allen industriellen Gebieten ein erfrischender, belebender und fördernder Lufthauch sich in mächtiger Weise fühlbar zu machen anfing, die Pierersche Hofbuchdruckerei mit in der vordersten Reihe derer stand, die der im Argen liegenden Buchdruckerkunst neues Leben einzuhauchen, beflissen waren. Geibel verstand den damaligen Zeitgeist und er wurde verstanden; denn nicht nur die Fachkritik des In- und Auslandes, sondern auch die Buchhändlerwelt spendete den buchdruckerischen Arbeiten der Piererschen Hofbuchdruckerei das uneingeschränkteste Lob und bezeichnete sie als eine graphische Musteranstalt. Unter geschickter Benutzung aller geschäftlichen Konjunkturen verstand Geibel seine Offizin auf die Höhe der Zeit zu bringen und zu einer leistungsfähigen Anstalt zu gestalten. Er wußte ihr auch die ersten buchhändlerischen Firmen zuzuführen und deren Gunst dauernd zu erhalten.[774]
Obgleich der Verstorbene durch seine geschäftlichen Arbeiten sehr stark in Anspruch genommen wurde, fand er immer noch Zeit für verschiedene ihm übertragene Ehrenämter, und die wertvollsten Dienste leistete er der großen deutschen Buchdruckergilde durch seine langjährige Mitwirkung an deren Bestrebungen.
1897 zeichnete Herzog Ernst ihn durch Verleihung des Titels eines Kommerzienrats aus.
Im Laufe der Jahre legte sich Stephan Geibel eine Verlagsbuchhandlung zu (vergl. Bd. I S. 51 d. W.) die sich weithin eines guten Rufes erfreut. Die in seinem Verlag erschienenen Volks- und Jugendschriften (Horn, Noeldechen, Schupp, Bonnet, Oertel usw.) und die religiösen Schriften von Pastor Funcke in Bremen, sowie das populäre Werk »Kriegserinnerungen« von Zeitz erlebten bedeutende Auflagen.
Geibel starb 1902; als Leiter des Geschäftes folgte ihm für die Druckerei Paul Hoffmann, für den Verlag Friedrich Otto Müller.
Quellen: Geschichte der P. H. in A. 1897; Zeitschrift für Deutschlands Buchdrucker 1902.
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