Adagio

[13] Adagio. (Musik)

Dieses italienische Wort bedeutet etwas mittelmäßig langsames und wird den Tonstüken vorgesetzt, welche mit schmachtendem und zärtlichem Affekt sollen gespielt oder gesungen werden. Ein solches Stük wird auch selbst ein Adagio genennt.

Das Adagio schiket sich zu einem langsamen und bedächtlichen Ausdruk, für zärtlich traurige Leidenschaften. Weil dabey jeder Ton deutlich und bedächtlich angegeben wird, so muß ein solches Stük nothwendig einfacher und ungekünstelter seyn, als geschwindere Sachen. Alle Leidenschaften, deren Sprache langsam und bedächtlich ist, sind rührend. Daher muß der Tonsetzer in dem Adagio mehr für das Herz, als für die Einbildungskraft arbeiten. Künstlich ausgedachte Figuren schiken sich nicht dazu; denn je mehr das Herz gerührt ist, je weniger zeiget sich der Wiz. In Ansehung der Harmonie erfodert diese Gattung den größten Fleis, weil die Fehler leicht bemerkt werden. Man thut übrigens wol, wenn man dergleichen Stüke nicht gar lang macht: sie ermüden den Zuhörer leicht. Hierin versehen es bisweilen die grösten Meister, da sie doch bedenken solten, daß ein einziger Augenblik Langerweile das Vergnügen eines ganzen Stüks zerstört.

Das Adagio erfodert eine besonders gute Ausführung; nicht nur deßwegen, weil bey der Langsamkeit jeder kleine Fehler gar leicht bemerkt wird, sondern auch darum, weil es wegen Mangel des Reichtums matt wird, wenn nicht ein nachdrüklicher und kräftiger Ausdruk es schmakhaft macht. Der Spieler, welcher sich nicht in einen sanften zärtlichen Affekt setzen kann, der ihm den wahren Ton dieser Gattung von selbst angiebt, wird darin nicht glüklich seyn. Viel große Sänger und Spieler sind im Adagio niemals glüklich gewesen. Hr. Quanz hat in dem 14ten Hauptstük seiner Anleitung zum Flötenspielen viel nüzliche Anmerkungen über den Vortrag dieser Gattung.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 13.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: