Lucilius Vanini

[291] Lucilius Vanini, (oder, wie er sich auf seinen Schriften nennt, Julius Caesar V.) ein Italiänischer Gelehrter zu Ende des 16ten, und zu Anfange des 17ten Jahrhunderts, dessen Werth oder Unwerth, der Untersuchung vieler Gelehrten ungeachtet, nicht [291] mit Gewißheit entschieden zu sein scheint. Er war zu Taurosano im Neapolitanischen 1585 geboren, und studirte besonders Philosophie, Physik und Theologie, legte sich aber auch zugleich auf Medicin, Astronomie und Rechtswissenschaft. Nachdem er sich zum Priester weihen lassen, betrat er anfangs die Kanzel, verließ sie aber bald wieder, und setzte seine Studien fort. Er durchreisete einen Theil von Deutschland, ging dann nach Holland, Genf, Lyon, England, gab Unterricht in der Philosoyhie, Theologie und Medicin, machte sich aber fast überall durch seine Aeußerungen über Gesetze und Religion als einen gefährlichen Mann verdächtig. In Lyon gab er 1615 seine erste Schrift: Amphitheater der göttlichen Vorsehung in Lateinischer Sprache heraus, eine Schrift, die besonders gegen die alten Philosophen und die Gottesläugner gerichtet sein sollte. Allein, ungeachtet sie mit einer sehr vortheilhaften geistlichen Censur erschien, kam Vanini doch in den Verdacht, als ob er durch dieselbe den Atheismus mehr vertheidigen, als widerlegen wollte, daher er Lyon verlassen mußte. Er ging nun nach Paris, wo er 1616 eine zweite Lateinische Schrift: über die bewundrungswürdigen Geheimnisse der Natur, ebenfalls mit einer ihm sehr günstigen Censur drucken ließ. Allein man fand diese Schrift, so wie die vorige, immer mehr verdächtig; die Sorbonne (s. dies. Art.) verdammte, wie man sagt, diese letztere zum Feuer: auf jeden Fall begab sich Vanini, um Verfolgungen auszuweichen, nach Toulouse, wo er seinen Unterricht fortsetzte. Da er aber auch hier seine Grundsätze verbreitete, wurde er verhaftet, und, nach dem Urtheil seiner Richter, als ein überwiesener Gottesläugner 1619 in einem Alter von 34 Jahren verbrannt. Dieser Todt Vaniniʼs auf dem Scheiterhaufen, in einer Stadt, in der anderthalb Jahrhundert später Jean Calas (s. dies. Art.) unschuldig, jedoch in gesetzlicher Form, gemordet wurde, giebt noch weniger einen sichern Beweis für seinen Atheismus ab, als jene Schriften selbst, da die Schreibart in denselben so zweideutig ist, daß selbst neuere Gelehrte ihn bald als einen Vertheidiger desselben und einen sehr feinen Religionsspötter, bald als einen Bestreiter desselben angesehen [292] haben. Auch über seine Verdienste als Philosoph überhaupt ist man nicht einstimmig, indem ihn einige für einen sehr scharfsinnigen Kopf halten, andre ihn für einen Schriftsteller ansehen, der seine Gedanken bloß aus andern Schriften zusammengetragen habe. Mit Recht scheint man ihm wohl eine gelehrte Pralerei und einen Hang, in allen Wissenschaften Kenntnisse zu assectiren, zur Last legen zu können; auf jeden Fall aber war er ein unschuldiges Opfer der Einfalt oder des Hasses seiner Richter, die vielleicht gerade dadurch, daß sie ihn und sein Andenken zu vertilgen suchten, dasselbe bei der Nachwelt erhielten.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 291-293.
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