[154] Auster wird das merkwürdige, zweischalige Weichthier genannt, welches als Leckerbissen schon den alten Römern bekannt war und noch jetzt eine Zierde der Tafeln der Reichen, an den Seeküsten aber, wo es gefangen wird, auch eine gewöhnliche Kost der Fischer ist. Die Auster gleicht im Baue der Flußmuschel; doch ist die eine Schale derselben bauchig, die andere flach; beide sind schuppig und schlüpfrig. Das Thier selbst in der Schale, die gewaltsam geöffnet werden muß, ist mit einer dünnen Haut bedeckt, unter welcher rings um dasselbe die Kiemen sich befinden, mittels deren es athmet und die gewöhnlich der Bart genannt werden. Die Austern leben auf dem Boden des Meeres an den Küsten, meist auf Felsen und mehr oder weniger mit der einen Schale angewachsen. Die Stellen, wo sie in Menge neben-, oft auch übereinander gefunden werden, nennt man Austerbänke. Hier werden sie mittels des Austerhamens gefangen, der vorn und unten mit einem starken messerförmigen Eisen versehen ist, welches dazu dient, dieselben vom Boden loszustoßen, worauf sie das angehängte Netz aufnimmt. Der ganze Fang wird dann am Ufer an eine seichte Stelle geworfen und die brauchbaren Austern herausgelesen, um sie nach den Austernbehältern zu bringen. Dies sind Gruben am Strande, so angelegt, daß sie das Meer bei jedesmaliger Flut mit frischem Seewasser füllt, worein auch zur Nahrung Aas und dergl. geworfen wird. Die meisten und besten Austern finden sich an den franz., engl. und deutschen Küsten; weniger geschätzt sind die, welche an den Küsten Italiens vorkommen. Überhaupt unterscheidet man nach dem Boden auf welchem sie leben, Fels-, Sand. [154] und Lehmaustern, von denen die erstern vor den andern beiden Arten deshalb den Vorzug haben, weil sie dünnschalig sind und große Thiere enthalten. Die Austern werden nicht allein roh, d.h. lebendig genossen, sondern daraus auch verschiedene Gerichte bereitet. Sie sind im Allgemeinen schwer zu verdauen; auch führt zuweilen der Genuß derselben Zufälle herbei, die denen einer Vergiftung ähnlich sind. Die Austerschalen, welchen man früher Heilkräfte zuschrieb, geben gebrannt einen sehr reinen Kalk, dessen man sich vorzüglich zum Weißen bedient. Für manche Gegenden ist der Austernfang sehr wichtig; so wurden im J. 1826 in dem Meerbusen von Cancale im nördl. Frankreich 78,480,000 Austern versendet, wofür ungefähr 64,000 Thaler gelöst wurden. Da die Auster, ohne sich nur zu bewegen, im Dunkeln lebt und durchaus nichts thut, als sich nährt, so erklärt sich hieraus das Sprichwort: »Wie eine Auster leben«. Zum Zeichen, daß sie über das Meer gegangen, führten im Mittelalter die Pilger nach dem heiligen Lande bei ihrer Heimkehr eine Muschel an dem Hute oder auf der Brust.