[577] Doctrin heißt nach dem Lateinischen eine Wissenschaft, insofern sie gelehrt werden kann, dann auch überhaupt die Gelehrsamkeit, und doctrinell gelehrt, wissenschaftlich. Von derselben Abstammung ist der franz. Ausdruck Doctrinaires, seit 1818 der Name einer politischen Partei in Frankreich, welche damals den Minister, Herzog Decazes (s.d.) unterstützte und zu der die Staatsräthe Camille Jordan, Royer-Collard und Deserre gehörten, welche mit jenem 1820 aus dem Amte traten. Seitdem wurden unter diesem Parteinamen jene unabhängigen Freunde der Regierung verstanden, welche eine Vermittelung der Monarchie und Demokratie betrieben, dabei aber vorzugsweise philosophischen Grundsätzen folgten, während ihre Gegner sich auf die Erfahrung zu stützen suchten. Die Doctrinaires wollten eine constitutionnelle Monarchie mit weniger Beschränkung des Königs als die heftigen Liberalen, allein auch mit weit mehr als die eifrigen Royalisten zugeben mochten. Royer-Collard war fortwährend ihr Wortführer in den Kammern, Guizot (s.d.) aber ihr bester Schriftsteller, der auch 1830 die von ihnen gegen die Juliordonnanzen Karl X. erlassene Protestation verfaßte. Nachdem König Ludwig Philipp in dem nach seiner Thronbesteigung gebildeten ersten Ministerium vom 11. Aug. ihre Ansichten mit denen der Opposition zu verschmelzen gesucht, schien er bei Veränderung desselben im Nov. davon abzugehen, kehrte aber im Oct. 1832 wieder dazu zurück, indem er den Herzog von Broglie und die Herren Humann, Guizot und Thiers, welche zu den Doctrinaires gerechnet werden, ins Ministerium berief. Bei der neuesten [577] Veränderung des franz. Ministeriums im Febr. 1836 ist zwar Thiers (s.d.) sogar Präsident desselben geworden, allein mit den Doctrinaires zum Theil zerfallen, weil die übrigen von ihnen verlassenen Stellen im Sinne der tiers-parti besetzt wurden, einer andern besonders seit 1832 laut gewordenen franz. Partei, als deren Haupt André Maria Dupin (s.d.) anzusehen ist und die eine Regierung im Interesse des Mittelstandes verlangt.