[79] Mässigkeit in allen leiblichen Genüssen, bei jeder körperlichen und geistigen Thätigkeit kann nicht genug als der zuverlässigste Weg empfohlen werden, die Gesundheit zu erhalten und ein hohes Alter zu erreichen. Gleichwol handeln nur zu viel Menschen nicht in diesem Sinne und namentlich ist es der überreichliche Genuß geistiger Getränke, bei den niedern Classen des Branntweins, welcher in manchen Ländern wie eine Pest überhandgenommen und die unseligsten Wirkungen gehabt hat. Dem entgegenzuwirken, traten zuerst wackere Männer unter dem Namen von Mäßigkeitsvereinen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zusammen, wo der Gebrauch des Branntweins dergestalt überhandgenommen, daß derselbe noch vor etwa zehn Jahren bei Vornehm und Gering einen wesentlichen Bestandtheil jeder Hauptmahlzeit ausmachte, ja endlich selbst bei der feierlichsten Zusammenkunft fast nichts Anderes mehr getrunken wurde. In allen Ständen und in beiden Geschlechtern wurden Trunkenbolde immer häufiger und Sittenverderbniß und Verarmung griffen immer mehr um sich, denn vergebens strebten Einzelne dem Übel Einhalt zu thun. Da suchte zuerst ein Verein von Geistlichen im Freistaate Massachusetts durch gemeinsames Wirken zu erzielen, was sonst nicht gelang, und wählte bei einer Versammlung im J. 1811 einen Ausschuß, welcher Statuten für einen Verein entwerfen sollte, der jener allgemeinen Unmäßigkeit im Branntweintrinken nach Kräften Einhalt zu thun beabsichtige. Im Jahre darauf traten 120 Personen in verschiedenen Gegenden von Massachusetts zu einem solchen Vereine zusammen und gelobten, sich des Branntweins, außer etwa zu arzneilichem Gebrauche, ganz zu enthalten, auch weder Freunde mit Branntwein zu bewirthen noch abhängigen Angehörigen den Genuß desselben zu gestatten. Die erste Arbeit des Vereins bestand auch darin, genaue Nachrichten über den Umfang des zu bekämpfenden Übels einzuziehen, um mit Wahrscheinlichkeit des Erfolgs die Aufmerksamkeit des Publicums darauf lenken und angemessene Maßregeln dagegen berathen zu können. Die eingehenden Berichte enthielten Thatsachen und Berechnungen, welche die Befürchtungen der Vereinsmitglieder noch überstiegen. Es ergab sich, daß auf eine Bevölkerung von damals etwa 7,300,000 Bewohnern der Vereinigten Staaten in einem einzigen Jahre 33,365,559 Gallonen Branntwein verbraucht worden waren, daß jährlich nicht weniger als 6000 Menschen als Opfer des unmäßigen Branntweingenusses starben, sowie daß derselbe an vier Fünftheilen der begangenen Verbrechen, an wenigstens drei Viertheilen der entstandenen Verarmungen und an einem Drittheil der Geisteszerrüttungen Schuld war. Solche Ergebnisse mußten nothwendig die allgemeine Aufmerksamkeit und Besorgniß rege machen. Bald entstanden in den Staaten Connecticut und Vermont ähnliche Vereine mit Hülfsgesellschaften, welche dieselben in ihrer Thätigkeit unterstützten. Im J. 1818 belief sich die Zahl der Mäßigkeitsvereine bereits auf mehr als 40, indeß führte doch erst die Stiftung der amerik. Gesellschaft zur Beförderung der Mäßigkeit zu Boston im J. 1826, zu großartigen Ergebnissen. Schon in ihrem ersten Jahresberichte kündigte dieselbe die Bildung von 30 neuen, in ihrem zweiten von 220 andern Hülfsvereinen an und nach dem dritten von 1829 betrug deren Zahl bereits 1000. Schon waren über 700 Trunkenbolde von ihrem Laster entwöhnt und 50 Branntweinbrennereien [79] geschlossen worden, 400 Personen hatten aus Rücksicht für das allgemeine Wohl den Handel mit Branntwein aufgegeben, ja es machte sich im Allgemeinen in dem Verbrauche desselben bereits eine erfreuliche Abnahme bemerkbar. Im J. 1831 gab es im Bereiche der Vereinigten Staaten nahe an 3000 Mäßigkeitsvereine, welche mit der Muttergesellschaft zu Boston in Verbindung standen und über 1000 Branntweinbrennereien waren eingegangen; 1832 hatte sich die Zahl der Hülfsgesellschaften bis zu 4000 vermehrt, welche 600,000 Mitglieder zählten, unter diesen auch Weiber und Kinder, (da man sich nicht blos den Einfluß der Frauen zu sichern, sondern auch auf die Gewohnheiten der Kinder einzuwirken wünschte), 4000 Personen hatten auf den Handel mit Branntwein verzichtet und 3000 dem Laster der Trunksucht entsagt. Seit der Zeit ist die wohlthätige Wirksamkeit der Mäßigkeitsvereine bis zu einem kaum glaublichen Grade gestiegen, und man berechnet, daß in den Vereinigten Staaten gegenwärtig wenigstens 20,000 Personen nüchtern leben, die ohne die Mäßigkeitsvereine Trunkenbolde sein würden, daß ebenso viele Familien jetzt ihr genügendes Auskommen haben, die außerdem verarmt sein würden, daß mehr als 100,000 Kinder dem verderblichen Beispiele trunksüchtiger Ältern entzogen worden sind und mehr als eine Million Personen sich gänzlich alles Branntweingenusses enthalten. Wie ernst und redlich es die Mitglieder der Mäßigkeitsvereine mir ihrem Streben meinten, bewiesen sie abermals, als sie in den Jahresversammlungen zu Neuyork 1829 und zu Boston 1831 den Handel mit Branntwein für ein des Christen unwürdiges Gewerbe erklärten, ja an einigen Orten so weit gingen, Personen, die nicht davon ablassen wollten, von der Theilnahme an kirchlichen Andachtsübungen auszuschließen. Nach dem Muster der ebenerwähnten amerik. Vereine und durch die erfolgreichen Ergebnisse ihrer Thätigkeit aufgemuntert, haben sich seit einigen Jahren auch in Europa Gesellschaften zu gleichem Zwecke vereinigt, wie z.B. in Irland und Schottland, wo die im J. 1830 bestehenden Mäßigkeitsvereine bereits 14,000 Mitglieder zählten, in Schweden, in der Schweiz, in Hessen, Sachsen u.s.w., den erwarteten Nutzen aber nur da gestiftet, wo sie wirkliches Bedürfniß waren. In Deutschland z.B. dürfte die Unmäßigkeit im Branntweintrinken kaum irgendwo so weit getrieben worden sein als in Nordamerika. Außerdem hatten sie hier, wo Opfer für das Gemeinwohl zu den immer seltener werdenden Erscheinungen gehören, mit dem Privatinteresse Derer, welche bei dem Vertriebe des Branntweins betheiligt sind, ja in einzelnen Staaten sogar mit dem Finanzinteresse zu ringen, sowie hin und wieder unverhältnißmäßig hohe Abgaben vom Bier den gemeinen Mann beinahe nöthigen, sich an den Branntwein zu halten. Wie sehr aber der unmäßige Genuß desselben zu vermeiden ist, hat neuerdings Zschokke in seiner nicht genug zu empfehlenden Warnungsschrift »Die Branntweinpest« (Aarau 1837) vor Jedermanns Augen dargethan.