[75] Massillon (Jean Bapt.), geb. zu Hières in der Provence, gehört zu den ausgezeichnetsten franz. Kanzelrednern, trat 1681 in die Congregation des Oratoriums und legte durch eine Leichenrede auf einen Erzbischof ein so glänzendes Beispiel seiner Rednergabe ab, daß er von dem General seiner Congregation nach Paris berufen wurde, um vor dem König zu predigen.
Hier hatte er als Nebenbuhler des bis dahin unübertroffenen Bourdaloue eine sehr schwierige Stellung. Aber weit entfernt, von der Eigenthümlichkeit desselben etwas anzunehmen, brach sich sein Geist vielmehr eine ganz neue Bahn, auf welcher er zur vollständigen Herrschaft über die Gemüther der Menschen gelangte. Begeistert von der Religion, fehlte es ihm nicht an Besonnenheit, Sprachgewandtheit und Menschenkenntniß, sie überall als das Eine, was Noth thut, darzustellen. Sein Ausdruck war edel, ungekünstelt und leicht faßlich, und nicht sinnreicher Witz, sondern die erhabene Einfalt des Gedankens sollten seine zum ununterbrochenen Nachdenken auffodernden, aber für den Lehrbegriff seiner Kirche völlig eingenommenen Vorträge anziehend machen. Hierdurch wurde M. der Lieblingspredigee seiner Zeit und Ludwig XIV. und XV., die ihn stets mit vielem Beifall hörten. Ersterer äußerte gegen denselben am Schlusse einer Predigt sogar einmal mit den Worten: »Wenn ich andere Prediger gehört habe, war ich sehr wohl mit ihnen zufrieden; aber da ich Sie gehört habe, bin ich sehr unzufrieden mit mir selbst gewesen.« Bei solcher Gesinnung Ludwig XIV. gegen M., die er sich auch in dessen Nachfolger zu erhalten wußte, fehlte es seinem Verdienste nicht an äußerer Anerkennung. Schon 1717 war er zum Bischof von Clermont ernannt worden, wobei jedoch ein Freund M.'s die Kosten decken mußte, und unter andern Auszeichnungen wurde ihm später auch die zu Theil, daß ihn die Akademie der Wissenschaften zu ihrem Mitgliede aufnahm. M. starb im J. 1742 zu Clermont, allgemein geliebt und betrauert wegen seiner hohen Tugend und Menschenliebe. Unter seinen Predigten, die 16 Octavbände füllen, nehmen die unter dem Titel Petit-Carême (Fastenpredigten) bekannten Reden, welche er vor dem erst neun Jahre alten Ludwig XV. hielt, in Hinsicht geistlicher Beredtsamkeit eine der ersten Stellen ein.