[640] Recrutirung wird das Zusammenbringen von Recruten, d.h. frischen Mannschaften für den Kriegsdienst, und die Einstellung derselben in ein Heer genannt; die verschiedenen Arten, wie dies bewirkt wird, unterscheidet man als Recrutirungssysteme. Sie machen die Grundlage der Heerverfassung eines Staates aus und äußern zugleich einen höchst wichtigen Einfluß auf das Volksleben. In ihrer jetzigen Ausbildung gingen sie erst in der neuesten Zeit aus der wachsenden Bedeutung der stehenden Heere (s.d.) hervor, welche anfänglich blos aus freiwillig in den Kriegsdienst getretenen Männern bestanden. Die Gewinnung derselben hieß vorzugsweise Werben und man bediente sich dabei in den Zeiten nach dem dreißigjährigen Kriege bis gegen Ende des vorigen Jahrh. oft des empörendsten Zwanges und der schmäligsten List. Die größern deutschen Heere hatten nicht nur innerhalb ihres eigenen Gebietes sogenannte Werbeplätze, von denen aus ein Offizier mit einigen darauf abgerichteten Unteroffizieren und Soldaten, zusammen Werber genannt, die Werbung betrieb, sondern sie erkauften auch das Recht zur Werbung im Gebiete kleinerer Länder, deren Fürsten dafür gewisse Summen erhielten oder als ernannte Inhaber eines Regiments oder Generale im Heere des größern Staates bezogen. Auch überließen kleinere Fürsten im eignen Namen geworbene Truppen gegen jährliche Subsidien an fremde Heere, wie z.B. 1780 mehre würtemberg. Regimenter zum Dienste auf dem Vorgebirge der guten Hoffnung an Holland, sowie von Hessen-Kassel mehre tausend Mann zum Kriege gegen die Nordamerikaner an Großbritannien verkauft wurden. Die Werber nahmen ihren Aufenthalt gewöhnlich in Schenken und Wirthshäusern und bestachen junge Leute durch Wohlleben, glänzende Versprechungen und ein ansehnliches Handgeld, oder suchten ihnen im Rausche die Einwilligung abzulocken, wofür oft das bloße Aufsetzen des Soldatenhutes mit der Cocarde galt. Den Betrunkenen ward mitunter das Handgeld ohne ihr Wissen in die Tasche gesteckt und für falsche Zeugen, daß sie es genommen hätten, war im voraus gesorgt, wie denn überhaupt den Werbern jeder Betrug ein erwünschtes Mittel zu ihrem Zwecke war, den sie auch wol mit offener Gewalt zu erreichen suchten, wenn es galt, einen ausgezeichnet hochgewachsenen Mann zu erlangen. Die franz. Revolution und ihre Folgen setzte diesem empörenden Unwesen endlich ein Ziel und es ging daraus das System der sogenannten Aushebung hervor, nach welchem besonders Arme und Liederliche und die Söhne der Landleute zum Kriegsdienste genommen wurden, von welchem Adel, Geistliche und Gelehrte, Staatsdiener u.s.w. befreit blieben. Nur in Großbritannien wird das Heer noch durch freiwillige Werbung ergänzt und geworbene ausländische (Schweizer-) Regimenter stehen noch in neapolit. und in päpstlichen Diensten; auch gehören dahin die von Ausländern gebildete franz. Fremdenlegion und einige bei den letzten Thronfolgekämpfen in Portugal und Spanien gebrauchte Truppencorps. Allein auch durch Aushebung der obigen Art recrutirt sich blos noch das russ. Heer, durch Ausdehnung derselben aber auf die untern Classen der Städtebewohner ging daraus das Cantonssystem (s. Canton) hervor. Die erneuerte Anerkennung allgemeiner Verpflichtung zum Kriegsdienste endlich hatte die Einführung der Conscription zur Folge, welche zu bestimmter Zeit, und meist jährlich, die gesammte in einem gewissen Alter stehende junge und waffenfähige Mannschaft für den Kriegsdienst auf eine bestimmte Anzahl von Jahren in Anspruch nimmt, und wenn dieselbe der Zahl nach den Bedarf übersteigt, durch das Loos entscheiden läßt, wer davon zunächst oder überhaupt wirklich ins Heer eintreten muß und wer von der betreffenden Altersclasse davon ganz befreit oder vielleicht erst im nächsten Jahre in Anspruch genommen werden soll, je nachdem es die deshalb geltenden Conscriptionsgesetze anordnen. Die auf solche Weise zum Kriegsdienste ausgewählten jungen Leute werden davon Conscribirte [640] genannt und können in der Regel sich durch Stellung eines Andern an ihrer Statt, eines Stellvertreters, oder durch Zahlung eines bestimmten Geldbetrags vom Dienste losmachen, für welchen die Regierung den freiwilligen Eintritt eines Stellvertreters übernimmt, dem auch mitunter, wie z.B. im Königreiche Sachsen, nach abgelaufener Dienstzeit jene Summe anheimfällt. Mit der allgemeinen Verpflichtung ist aber auch die allgemeine Leistung von Kriegsdiensten verbunden worden, wie in Preußen (s.d.), wo sie zuerst im stehenden Heere, dann in der Landwehr (s.d.), endlich im Landsturm von jedem dazu fähigen Staatsbürger mit geringen Ausnahmen gesetzlich erfüllt werden muß.