Krieg

[668] Krieg ist der Zustand thätlich sich äußernder Feindschaft zweier Völker gegeneinander. Die Völker stehen zueinander in einem Verhältniß, welches ganz ähnlich demjenigen ist, welches die einzelnen Menschen gegen einander einnehmen. Jedes Volk hat sein besonderes Eigenthum, seinen eigenthümlichen Charakter, seine besondern Interessen, und demgemäß benimmt es sich gegen die übrigen Völker, mit denen es in Conflict geräth, so oft sich die gegenseitigen Interessen berühren. Während nun aber die ähnlichen Verhältnisse der Individuen durch die in dem Staatsverbande geltenden Gesetze geordnet werden und dadurch alle Willkürlichkeit um so [668] mehr ausgeschlossen ist, je besser die Gesetzgebung im Staate ist und je kräftiger dieselbe gehandhabt wird, so sind dagegen die Völker nicht zu einem durch Gesetze geregelten Ganzen, welches durch eine diese Gesetze bewachende Macht zusammengehalten wird – gleichsam zu einem Völkerstaate – verbunden und es kann daher nicht fehlen, daß gewöhnlich wenn gegenseitige Interessen sich feindlich berühren, unter Völkern die Selbsthülfe, d.h. Krieg eintritt, wo bei den Individuen das Gesetz die Entscheidung übernimmt. Allerdings haben die gebildeten Staaten einem solchen Zustande der Willkür der Völker untereinander durch gegenseitige Verträge abzuhelfen gesucht, weil man wohl bemerkt hat, daß der Krieg stets für beide Theile nachtheilig ist und nur gezwungen unternommen werden darf, d.h. dann, wenn man einsieht, daß dasjenige Gut, welches errungen werden soll, so werthvoll ist, daß gegen dasselbe die Nachtheile des Kriegs nicht in Betracht kommen. Die Verträge reichen aber nicht immer aus, weil unter den Völkern ebenso unvorhersehbare Rechtsverwickelungen vorkommen, wie dieses unter Individuen der Fall ist, und es müssen dann in der Regel die Waffen die Entscheidung herbeiführen. Nicht eher kann man hiernach hoffen, daß ein das ganze Menschengeschlecht erfreuender ununterbrochener Friede zu Stande komme, als bis alle Völker der Erde zusammen Einen großen gesetzmäßig bestimmten Staat bilden. Man hat die Kriege nach den Hauptzwecken, welche während derselben von einem Volke im Auge behalten werden, näher bezeichnet und in dieser Beziehung von Eroberungskriegen, Vertheidigungskriegen, Freiheitskriegen gesprochen – oder nach der Beschaffenheit des Kriegsschauplatzes, auf welchem der Krieg geführt wird, von Landkriegen und Seekriegen geredet. Der schrecklichste Krieg ist der Bürgerkrieg, welcher von Parteiungen in einem und demselben Staate geführt wird. Hier sind sich die Gegner durch Volks- und Familienbande nahestehend, und je schwerer eine Zerreißung dieser natürlichen Bande fällt, mit um so größerer Blutgier pflegt dann auch der Krieg geführt zu werden; den Überwundenen trifft nicht nur die Strenge des Siegers, sondern auch noch die härtere blutiger Gesetze; er wird nicht nur als Überwundener, sondern auch als Verbrecher behandelt; Freunde und Feinde scheiden sich nicht, das Vertrauen der Menschen gegeneinander ist vernichtet und selbst unter den zusammenhaltenden Parteien hat der gesetzliche Zustand aufgehört, weil sich jeder durch den Übertritt zur Gegenpartei sogleich Straflosigkeit verschaffen kann. – Ursprünglich ist jeder waffenfähige Mann im Volke auch ein Streiter für dasselbe, ein Krieger. Nachdem sich aber in den Völkern Handel, Gewerbe und Wissenschaften auf einen höhern Standpunkt gehoben hatten, mußte es bald dahin kommen, daß sich ein eigner Kriegerstand bildete, welcher von den übrigen Ständen erhalten wurde und dafür die Pflicht übernahm, seinerseits diesen im Fall der Noth zum Schutze zu dienen. Auch die Art der Kriegführung ist eine wesentlich andere geworden. Nicht allein ist dieselbe durch die Waffen bedingt, deren sich die Krieger bedienen, sondern man hat auch allmälig gelernt, daß Klugheit ebenso viel im Kriege werth sei, als eine große Kriegerzahl, und hat daher aus der rohen Kriegführung, die in ungeregelten Anfällen und Überfällen bestand, eine regelmäßige Kriegskunst gebildet. Zu ihr gehören die Waffenlehre, von der Anwendung der einzelnen Waffenarten, die Lagerkunst, welche von dem Terrain abhängig ist, die Lehre von Stellung und Bewegung der Truppen, die eigentliche Gefechtslehre, die Befestigungslehre und der Festungskrieg. (Vgl. Festung.) Je höher die Kriegskunst gestiegen ist, desto mehr haben sich die einzelnen Theile derselben zu wahren Kriegswissenschaften ausgebildet. Zu diesen rechnet man auch die Wissenschaften, welche als Vorkenntnisse von Demjenigen erworben werden müssen, der sich der Kriegskunst widmen will, also namentlich Mathematik, Geographie, Naturlehre und andere. Eine wichtige Kriegswissenschaft ist auch die Kriegsgeschichte, welche namentlich der künftige Feldherr zu studiren hat, indem er in ihr lehrreiche Beispiele von der Kriegführung großer Kriegshelden findet und indem er auch begangene Fehler bemerkt, solche selbst vermeiden lernt. Seitdem die Kriegskunst eine höhere Ausbildung erlangt hat, ist es für alle gebildete Staaten Bedürfniß geworden, wissenschaftlich gebildete Offiziere zu haben, und man hat zu diesem Zweck die Kriegs- oder Militairschulen (s. Militair) gestiftet. – Da zu einer kunstgemäßen Kriegführung ein gehörig eingeübtes und namentlich auch ein an den strengsten Gehorsam und ehrenhafte Haltung gewöhntes Heer die erste Bedingung ist, so sind besonders zur Aufrechthaltung der Mannszucht eigne Kriegsgesetze gegeben, deren Übertretung streng geahndet wird, und weil während eines Krieges keine langwierige Untersuchung geführt werden kann, so ist die Entscheidung über die Straffälligkeit einem schnell aburtheilenden Kriegsgericht übergeben. Bei jedem einzelnen Fall nämlich wird unter dem Vorsitz eines Generals oder Stabsoffiziers ein Gericht zusammenberufen, das aus Kriegern besteht, die mit dem Angeklagten von gleichem Range sind. Die beiden vornehmsten Beisitzer des Kriegsgerichts stehen stets eine Stufe über dem Range des Beklagten. Die Beisitzer werden vereidet, der Beklagte erscheint unter Beistand eines Kriegers von seinem Grade, ein Auditeur theilt die Acten mit und gibt die von dem Gesetz ausgesprochene Strafe an. Nachdem der Beklagte abgetreten, sprechen die Beisitzer ihr Schuldig oder Nichtschuldig aus, wobei je zwei Beisitzer Eine Stimme haben und bei gleicher Stimmenzahl der Vorsitzende den Ausschlag gibt. Unterschieden ist das noch strengere Standrecht, das im Kriege über Unteroffiziere und Gemeine gehalten werden kann und bei welchem ein Hauptmann den Vorsitz führt. Gewöhnlich spricht dasselbe die Todesstrafe aus, welche sogleich vollzogen zu werden pflegt. – In den Heeren pflegen gewisse Gebräuche herkömmlich zu sein, z.B. daß eine mit Sturm genommene Stadt der Plünderung preisgegeben wird, daß der Gefangene die Waffen übergibt u.s.w., und diese Gebräuche sind es, welche Kriegsraison oder Kriegsbrauch genannt werden. – Die im Kriege gefangenen Soldaten der Gegenpartei werden Kriegsgefangene genannt. Der Soldat darf sich ohne Verletzung seiner Ehre als solcher nur ergeben, wenn ihm jede Möglichkeit, sein Leben und seine Ehre mit den Waffen zu vertheidigen, abgeschnitten ist. In Kriegen, welche mit großer Erbitterung geführt werden, hat man nicht selten die Kriegsgefangenen getödtet, doch betrachten dies einstimmig alle gebildeten Völker als verabscheuungswürdige Grausamkeit. Gewöhnlich behält man die Gefangenen bis zum Friedensschluß unter Bewachung, damit sie nicht aufs Neue die feindlichen Waffen tragen, oder man wechselt sie gegen Gefangene der. eignen Partei aus. [669] Offiziere werden gewöhnlich entlassen, nachdem sie auf ihr Ehrenwort gelobt haben, in diesem Kriege nicht wieder bei dem Gegner Kriegsdienste leisten zu wollen. In frühern Zeiten war es Sitte, daß die Kriegsgefangenen sich mit Geld, der Ranzion, auslösen mußten.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 668-670.
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