Stabat mater

[270] Stabat mater ist der Anfang des berühmten katholischen Kirchengesangs, der eine Verherrlichung der Leiden und Schmerzen der Maria am Kreuze des Herrn ist und an den ihr geweihten Andachten gefangen, aber auch sonst ihr zur Ehre und zum Preise in dem Munde des Volkes geführt wird. Gewöhnlich heißt er auch mater dolorosa oder Mariae compassio, oder planctus beatae Mariae virginis, die Kreuzesklage der seligen Christmutter und Jungfrau Maria. Das Lied ist in schlechtem Latein und platten Reimen verfaßt, aber aus dem Drange des wahrsten Gefühls hervorgegangen, in innigster Theilnehmung, Wehmuth und Bußfertigkeit, mit einem von Glaube und Liebe überströmenden Herzen. Die Strophen sind stammelnde Seufzer der frommen, büßenden Einfalt, die in der Entzückung der Seele das Kreuz des Erlösers wirklich zu umfassen glaubt, die Schmerzen der göttlichen Mutter wirklich sieht und theilt, und die darum eine Wahrheit, eine Wärme und einen Ausdruck des Erhabenen in sich haben, wobei jeder nicht Gefühllose das barbarische Latein und die schlechten Reime gern vergißt. Früher wurde häufig der zu Todi im Herzogthum Spoleto in Oberitalien geborene und im J. 1306 gestorbene Franziskanermönch Jakobus de Benedictis (gewöhnlich mit dem Spottnamen Jakopone da Todi oder Jakoponus benannt) für den Verfasser gehalten; doch haben die neuesten Untersuchungen über den Ursprung des Liedes es fast zur unbezweifelten Gewißheit gebracht, daß es von dem h. Bernhard von Clairvaux herrührt. Von den in großer Anzahl in unserer Sprache vorhandenen dichterischen Übersetzungen und Nachahmungen des Liedes ist eine der gelungensten die von Wieland, aus welcher wir hier die zwei ersten Strophen mittheilen:


Schaut die Mutter voller Schmerzen,

Wie sie mir zerrißnem Herzen

Unterm Kreuz des Sohnes steht:

Ach, wie bangt ihr Herz, wie bricht es,

Da das Schwert des Weltgerichtes

Tief durch ihre Seele geht!


O wie bittrer Qualen Beute

Ward die Hochgebenedeite

Mutter des Gekreuzigten!

Wie die bange Seele lechzet,

Wie sie zittert, wie sie ächzet,

Des Geliebten Pein zu sehn!


Unter den musikalischen Compositionen hat die des neapol. Tonkünstlers Pergolese alle andern, selbst die eines Joseph Haydn, übertroffen. Ihre hohe Vortrefflichkeit soll sie dem besondern Umstande verdanken, daß Pergolese, als er sie verfertigte, seiner schwächlichen Gesundheit wegen zu Torre del Greco, am Fuße des Vesuvs, in stiller Abgezogenheit lebte und, obgleich kaum 33 Jahre alt, sein kurz darauf folgendes[270] Ende bereits herannahen fühlte. Eine der letzten Ausgaben ist »Stabat mater für zwei Sopranstimmen, von G. B. Pergolese, im vollständigen Clavierauszuge, mit lat. und deutschem Texte, herausgegeben von Karl Kluge« (Berl. 1824).

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 270-271.
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