[427] Tiberĭus Claudius Nero, der zweite röm. Kaiser, 14–37 n. Chr., wurde 42 v. Chr. geboren und war der Sohn eines vornehmen Römers von der Livia Drusilla, welche nachmals mit dem Kaiser Augustus vermählt ward. Er zeichnete sich als Feldherr aus und gewann dadurch die Gunst des Augustus, sodaß ihn dieser bewog, sich von seiner Gemahlin Vipsania zu scheiden, um des Augustus Tochter Julia zu heirathen. Diese, welche vor ihm schon zwei Männer gehabt hatte, brachte ihm die Stiefsöhne Cajus und Lucius zu, welche Augustus adoptirt hatte. Julia führte ein so lasterhaftes und ausschweifendes Leben, daß sich T. von ihr trennte und sich nach der Insel Rhodus zurückzog. Nachdem aber endlich Augustus in die förmliche Scheidung von der Julia gewilligt hatte, kehrte Jener nach Rom zurück und wurde, nach dem bald darauf erfolgten Tode seiner Stiefsöhne, von Augustus im I. 4 v. Chr. adoptirt. Schon früher hatte sich T. durch Kriegsthaten ausgezeichnet, er hatte über Pannonier, Dacier und Dalmatier und über die Germanen gesiegt, und nach seiner Adoption überwältigte er in einem dreijährigen Kriege die Germanen so, daß sie um Frieden bitten mußten. Ein feierlicher Triumph und die Ernennung zum Mitregenten belohnten ihn, und als Augustus gestorben war, folgte er demselben im I. 14 n. Chr. als Alleinherrscher. Um sich in der Herrschaft zu befestigen, ließ er seinen dritten Stiefsohn, den einzigen noch übrigen Enkel des Augustus, den Agrippa Posthumus, hinrichten und traf verschiedene neue Einrichtungen, welche den Einfluß des röm. Volks vollends vernichteten und alle Macht in die Hände des ganz von ihm abhängigen Senats brachten. Durch Freigebigkeit, Gerechtigkeit und Erleichterung der Abgaben suchte er sich zugleich beim Volke beliebt zu machen und der Anfang seiner Regierung versprach dem röm. Staate glückliche Zeiten. Seine finstere und argwöhnische Gemüthsart machten ihn aber binnen kurzem zum grausamen Tyrannen. Nicht ohne Grund hegte man gegen ihn den Verdacht, den edlen Germanicus [427] (s.d.) ermordet zu haben, und bald erlagen noch mehre hochgestellte und angesehene Männer seiner blutgierigen Eifersucht. Sein Günstling Sejanus, welcher ihn endlich ganz beherrschte und welcher hinter dem Schein der Unterwürfigkeit die ehrgeizigsten Absichten verbarg, schaffte den Sohn des Tiberius, Drusus, heimlich aus dem Wege und brachte die Söhne des Germanicus in den Kerker, wo sie umkamen. T. verließ im I. 26 n. Chr. Rom und zog sich nach einer Reise durch Campanien auf die von Felsen eingeschlossene Insel Caprea in der Bai von Neapel zurück, wo er sich niedern Ausschweifungen überließ, während Sejanus in Rom fast allmächtig war. Die Unterwürfigkeit des Senats ging so weit, daß er die öffentliche Verehrung der dem Sejanus zu Rom errichteten Bildsäulen befahl. Dies mochte dem T. endlich Argwohn gegen seinen Günstling einflößen, den er endlich im I. 31 n. Chr. im Senat anklagen und zum Tode verurtheilen ließ. Das Urtheil wurde sofort vollzogen. Der Gemüthszustand des T. wurde immer trauriger, nicht nur Menschenhaß und Furcht, sondern auch Gewissensbisse peinigten ihn, und so ließ er sich zu immer neuen Grausamkeiten hinreißen, wenn er dazwischen auch einzelne von Klugheit und Edelmuth zeugende Handlungen vollbrachte. So lehnte er es ab, daß man seiner Mutter göttliche Ehrerbietung erweise, verwendete bei Gelegenheit zweier Feuersbrünste in Rom große Summen zur Unterstützung der Unglücklichen, gründete aus eigenen Mitteln eine Bank, welche unter billigen Bedingungen Darlehn gab, um den Wohlstand Roms zu heben. Die letzte Zeit seines Lebens brachte er auf einem früher dem Lucullus gehörenden Landgute beim Vorgebirge von Misenum zu. Er verfiel endlich im I. 37 n. Chr. in einen todtähnlichen Zustand und als er aus demselben noch einmal erwachte, so ließ ihn der prätorische Präfect Macro mit Betten ersticken, um sich die Gunst des Caligula (s.d.) zu erwerben, welcher dem T. in der Herrschaft folgte.