Homer

[823] Homēr (grch. Hómēros), der älteste und gefeiertste griech. Dichter; seine Lebensgeschichte ist durchaus sagenhaft, er soll im 9. Jahrh. v. Chr. gelebt haben, aus Ionien gebürtig, ein Sohn des Mäon (daher der Mäonide), als blinder Sänger umhergezogen und auf Ios gestorben sein. Schon im Altertum stritten sieben Städte (Smyrna, Rhodus, Kolophon, Salamis, Chios, Argos, Athen) um die Ehre seines Geburtsorts. Die Alten hielten den H. für den Verfasser der Ilias und der Odyssee (nur die Chorizonten schrieben die Odyssee einem andern Verfasser zu) sowie der Homerischen Hymnen (z.B. Thucydides), einzelner Gedichte des epischen Zyklus, des Gedichtes »Margites« und der »Batrachomyomachia«, und die Künstler stellten ihn blind dar, wie sich der Dichter des Hymnus auf den delischen Apollon selber nennt. Aber die Person H.s und alles, was von ihr berichtet wird, ist in mythisches Dunkel gehüllt, die kleinern Epen und Hymnen sind nicht von dem Verfasser der Ilias und Odyssee, und diese beiden großen Epen nicht in dem Sinne die Worte eines Dichters. Lange vor H. waren epische Lieder von den Kämpfen und Fahrten griech. Helden gesungen und bei der Wanderung äol. und ion. Stämme mit nach Kleinasien gebracht worden, wo sie durch die Kolonisationskämpfe neue Züge erhielten und mehr und mehr bei den Ioniern Verbreitung und Pflege durch Aöden und Rhapsoden fanden. Da faßte ein Rhapsode den Gedanken, eine größere Anzahl dieser Lieder, die zu einem bes. beliebten Sagenkreise gehörten und von jeher zueinander, dem Stoff der Sage entsprechend, in Zusammenhang gestanden hatten, mit Benutzung der Schreibkunst zu einer Einheit zusammenzufassen. Ob derselbe, der so die Ur-Ilias herstellte, auch die Ur-Odyssee hergestellt hat, ist unsicher; ebensowenig läßt sich mit Sicherheit heute sagen, was zu jenen ursprünglichen Epopöen später noch hinzugekommen ist. Jedenfalls hatten Ilias und Odyssee schon zu Aristoteles' Zeit im wesentlichen die Gestalt, in der sie auf uns gekommen sind (vgl. Ludwich, »Die Homerausgabe als voralexandrinisch erwiesen«, 1898). Die Ansicht, daß Ilias und Odyssee das Werk eines Dichters sei, wurde bekämpft von F. A. Wolf in seiner »Prolegomena ad Homerum« (1795). Eine Übersicht über die sog. »homerische Frage« gibt Cauer, »Grundfragen der Homerkritik« (1895); Ausgabe des Textes der Ilias und Odyssee von Cauer (2 Bde., 1890-91 u.ö.) und (auf Grund der Aristarchischen Rezension) von Ludwich (1899 fg.); erklärende Ausgaben von Faesi (Ilias und Odyssee in vielen Auflagen), Ameis (desgl.) u.a.; Wörterbuch von Autenrieth (9. Aufl. von Kaegi, 1902); deutsche Übersetzungen von Voß (1793 u.ö.) und Jordan (Odyssee, 2. Aufl. 1889; Ilias, 2. Aufl. 1892) u.a.; wichtig ist auch W. Helbig, »Das homerische Epos aus den Denkmälern erläutert« (3. Aufl. 1899).

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 823.
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