[58] Aderlass (Heikunst) nennt man die chirurgische Operation, welche in der Eröffnung einer Ader besteht, und Blutentziehung zum Zweck hat. Sie wird vermittelst des sogenannten Schneppers oder von geübtern Händen mit der Lanzette ausgeführt. Beide Weisen haben ihre Vortheile und Nachtheile. Der Aderlaß kann zweierlei Art sein, entweder an einer Blutader oder an einer Schlagader. Die letztere Art betrifft bloß Einen Fall, die Eröffnung der Pulsader des Schlafes am Kopfe bei verschiedenartigen entzündlichen Leiden im Innern des Kopfes oder an dessen äußeren Theilen. Der Aderlaß ist ein natürliches Heilmittel d. h. ein solches, zu dessen Anwendung der Instinkt der Thiere uns Anleitung gibt und als solches ein besonders achtenswerthes Mittel, weil es vor Allem das Bestreben des Arztes sein muß, die Natur nachzuahmen, welche nur in seltenen Fällen den weniger begabten Geschöpfen un.[58] heilvoll zur Seite steht. Der Aderlaß ist ein sehr altes Heilmittel und Podalirius, der Sohn des Aeskulap soll im Jahre 1184 vor Chr. Geburt, also zur Zeit der Zerstörung von Troja, dieses Mittel zuerst angewandt haben, als er Syrna, die Tochter des karischen Königs Damäth durch Oeffnung der Adern an beiden Armen von einer Krankheit heilte. Von dieser Zeit an ist es diesem wichtigen Heilmittel wie so vielen andern ergangen. Es wurde in den Himmel erhoben, und ohne Maß und Ziel angewandt, und ward so angefeindet, daß man es ganz verwarf. Der Nutzen des Aderlasses ist klar, seine Wirkung oft augenscheinlich. Wer nur einmal Gelegenheit hatte, die qualvolle Angst eines von wirklicher Lungenentzündung befallnen Menschen die ihn peinigende Hitze und seine Schmerzen, und nach geschehenem Aderlasse die oft augenblickliche Besserung zu beobachten, der wird der einseitigen Rede vorurtheilsvoller, verstockter Menschen, kein Gehör mehr leihen. Die Thiere, deren Blut durch hitziges oder zu gutes Futter, durch Sonnengluth und andere Ursachen zu entzündlich gestimmt oder zu reichlich ward, wie z. B. die Pferde, beißen sich die Adern auf, um sich zu erleichtern. Dem auf ganz naturgemäße Art lebenden Menschen ist der Aderlaß vielleicht selten oder gar nicht nothwendig, dem in den Ueppigkeiten erhöhter Cultur und reizenden Genüssen schwelgenden ist er aber wohl unentbehrlich, da ohne Uebertreibungen schon die zum täglichen Nahrungsmittel erhobnen Genüsse das Blut schon unnatürlich erhitzen und nähren. Doch muß der Aderlaß immer nur Heilmittel sein, nicht aber zu einer Gewohnheit für den Körper werden, und als Heilmittel seine Anwendung nur auf wichtigere Fälle beschränkt, nicht aber leichtsinnig bei jeder kleinen Blutbewegung angewendet werden. Der oft wiederholte Aderlaß schwächt, denn er entzieht dem Körper zu edle, wohl in der Menge, keineswegs aber in Güte schnell wiedererzeugte Stoffe. Für das schöne Geschlecht ist, wegen mehrerer ihm eigenthümlichen Beziehungen, der Aderlaß am Fuße dem am Arme vorzuziehen.[59] Die angeführten Arten nennt man allgemeine Aderlässe. und ihnen entgegengesetzt sind die örtlichen Blutentziehungen durch Blutegel und Schröpfköpfe, welche oft anzuwenden sind, wenn jene nicht zulässig sein sollten, indem sie die Blutmasse örtlich vermindern, ohne auf die allgemeine Blutbereitung des Körpers zu wirken, (siehe Adern).
D.