[388] Christine, Marie, Königin von Spanien, verwitwete Königin von Spanien, geborne königliche Prinzessin von Sicilien, ist die Tochter des nachmaligen Königs Franz I. von Neapel, aus seiner Ehe mit Marie Isabella von Spanien, und Urenkelin der großen Maria Theresia (s. d). Das noch nicht abgeschlossene politische Leben dieser Fürstin gestattet bis jetzt in seiner Unentschiedenheit noch keine feste und gemessene Charakteristik; doch tritt in dem Drange der Zeit, welchem sie unerschüttert die muthige Stirne bietet, und aus dem Eifer, mit welchem sie strebt, die Rechte ihrer Tochter zu bewahren, jene Festigkeit des persönlichen Charakters und jene fast männliche Energie hervor, welche, gepaart mit Wohlwollen und Güte, bereits in früherer Jugend ihr Eigenthum waren. Viel scheint sie von dem Geiste ihrer Großmutter Marie Karoline (s. d.), die in einer wichtigen Zeit das Königreich beider Sicilien mit männlicher Kraft und Umsicht beherrschte, geerbt zu haben. Sie wurde am 27. April 1806 zu Palermo geboren, wo ihr Vater, damals noch Kronprinz, lebte. Später, am Hofe zu Neapel, gab sie viele Beweise von Scharfsinn, Selbstständigkeit und Besonnenheit, wie sie in einem so jugendlichen Alter nur selten gefunden werden; sie unterhielt sich mit Künstlern und Gelehrten, und offenbarte in ihren Urtheilen über Gegenstände der Kunst ein sicheres und geläutertes Urtheil. Als im Jahre 1829 ihr Oheim (der Bruder ihrer Mutter), König Ferdinand VII. von Spanien seine dritte Gemahlin durch den Tod verloren hatte, reichte er Maria Christinen seine Hand. Sie verließ im September dieses Jahres Neapel, und hielt im December ihren feierlichen Einzug in Madrid. Das Volk empfing sie mit Jubel, und als sie den, für eine Frau die nicht Spanierin ist, erschütternden Anblick eines Stiergefecht's, ohne zu erbleichen, ertrug, jauchzte die Menge und[388] rief:, »viva la reyna!« Ging sie in der einfach-zierlichen Tracht der Andalusierinnen am Arme des Königs auf dem Prado spazieren, so lief der Ausruf: »Seht, wie sie die Mantilla und Basquina trägt; sie ist in der That die schönste Frau auf dem Prado!« von Mund zu Munde. Bald hatte Marie Christine durch ihre Liebenswürdigkeit das Herz des Königs unauflöslich an sich gefesselt. Auf ihre Fürsprache wurden Verbrecher begnadigt, ihr Einfluß selbst im Kabinete des Königs erzielte wohlthätige Maßregeln für das Land, und Spanien erblickte in ihr nach einer düstern, Argwohn-erfüllten Zeit, seinen guten Engel, den Verkündiger einer besseren Zukunft. Es war eben so des stets kränklichen Königs, wie auch derjenigen mächtigen Partei, welche den Infanten Don Carlos (Bruder Ferdinand's) von der Thronfolge ausgeschlossen zu sehen wünschten, eifrigster Wunsch, im Falle des Ablebens des Königs, das Scepter in den Händen der jungen, thätigen und muthvollen Königin zu wissen. Ferdinand erließ deßhalb, als Marie Christine Mutter zu werden hoffte, ein Decret, nach welchem das frühere Gesetz, welches die Frauen von der Erbfolge in Spanien ausschloß, aufgehoben wurde, und im Falle der Geburt einer Prinzessin, diese zur Thronerbin erklärt ward. Trotz der Protestationen aller ausländischen Zweige der spanischen Regentenfamilie trat dieses Gesetz, als es die Anerkennung der Cortes erhielt, in Kraft. Marie Christine gebar im October 1830 eine Tochter, welcher später die Großen des Landes, da kein männlicher Erbe folgte, als ihrer dereinstigen rechtmäßigen Beherrscherin huldigten. Später schenkte sie ihrem Gemahl noch eine Tochter, und als der König tödtlich erkrankte, übernahm sie die Regentschaft, führte dieselbe mit Kraft und Umsicht, erließ treffliche Verordnungen, und versprach durch ihre Handlungsweise für Spanien eine schöne Morgenröthe. Nach Ferdinand's Genesung verlor sie zwar einen Theil ihres öffentlichen Einflusses, aber nicht ihre Popularität und die Anhänglichkeit der Partei, in deren Interesse sie gehandelt und welche sie erhoben hatte 1833 starb Ferdinand,[389] und Isabella's Thron stand plötzlich auf dem Krater eines Vulkans. In mehreren Städten bes Reiches empörten sich die Anhänger des Don Karlos, welcher früher aus Spanien verwiesen, sich zu Don Miguel nach Portugal begeben hatte. In den nördlichen Provinzen widersetzten sich ihr die Karlisten mit offener Waffengewalt. Christine aber verlor weder den Muth noch die Besonnenheit; sie zog treue Freunde in ihre Nähe, berief Andere, die Talent und Einfluß besaßen, aus der Verbannung zurück, unterdrückte mehrere Aufstände in der Hauptstadt, organisirte ihr Ministerium, stand selbst an der Spitze der Staatsgeschäfte und befestigte den Thron ihrer Tochter nach Innen und Außen. Sie sandte eine Hilfsarmee nach Portugal, um in Gemeinschaft mit Dom Pedro den Usurpator, Don Miguel, zu bekriegen, und der Donna Maria (s. d.), die rechtmäßige Krone zu verschaffen, gab dem Lande eine neue Verfassung, berief die Versammlung der Procures, gab neue Gesetze für das Schulwesen und die Volkserziehung, und entwickelte in jeder Hinsicht die bewundernswürdigen Eigenschaften von Energie, Thätigkeit, Ausdauer, Kühnheit und Großmuth. Zwar noch im Kampfe mit der Gegenpartei des Landes, noch gerüstet gegen die Armee des Prätendenten, noch schwankend zwischen mannichfachen politischen Interessen von Außen, schreitet Marie Christine dennoch bis jetzt auf der eingeschlagenen Bahn muthvoll vorwärts und scheint mit jedem Schritte festern Fuß zu fassen, und ihre Selbstständigkeit, wie den Thron ihrer Tochter immer entschiedener zu behaupten. Wie aber auch immer im Conflict der Ereignisse und Interessen das politische Loos dieser Fürstin sich für die Zukunft gestalten möge, so kann ihren persönlichen und Regenteneigenschaften doch die unparteiische Geschichte Bewunderung und Anerkennung nicht versagen. Ihre ältere Schwester ist die Herzogin von Berry (s. d.), und wer möchte wohl in dem Charakter dieser beiden Frauen die auffallendste Aehnlichkeit läugnen?
An.
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