[64] Dämon, dämonisch, Dämonologie. Die Dämonen (Höchsteinsichtsvollen, Weisen, Allwissenden) bilden einen wichtigen Artikel in der Geschichte des Glaubens und Aberglaubens aller Völker und Zeiten. Nirgends in der unendlich reichen und mannichfaltigen Schöpfung gewahrt der Mensch einen Sprung. Ueberall tritt ein stufenweises Aufsteigen von dem Unvollkommenen zu dem Vollkommenen hervor. Von dem todten Steine bis zur Pflanze, von der Pflanze bis zum Wurme, von dem Wurme bis zum Menschen baut das Leben sich fort von Stufe zu Stufe. Warum sollte daher eine so große, beinahe unabsehbare Lücke sein zwischen dem Menschen und der Gottheit? Eine Ursache davon konnte der Sterbliche nicht finden. Und deßhalb füllte die schöpferische Phantasie des Orientalen diesen scheinbaren Sprung mit einer zahllosen Menge von Mittelwesen aus. Immer ist eine Klasse dieser Wesen nach ihrer Art vollkommener als die andere Jedes derselben aber erscheint gut oder böse, je nachdem sein Gebieter als Urquell des Guten oder Bösen gedacht wurde. Denn alle diese Mittelwesen sind Vollstrecker des Willens ihres Meisters. Sie beglücken die Menschen, oder sind auch bestimmt, sie zu züchtigen, zu quälen und zu peinigen. Sie leiten der Sterblichen Schicksale. Diese Ansicht entwickelte sich wahrscheinlich in Hochasien, und von da aus strömte sie gleichsam über alle Zonen der Erde. Daher finden wir die Furcht vor Dämonen und den Glauben an sie bei den Chinesen und Hindus wie bei dem Amerikaner, bei dem Kamtschadalen und Grönländer wie bei dem Feuerländer, Hottentotten und den Bewohnern der Südsee-Inseln. Ja selbst in den geoffenbarten Religionen, deren Grundpfeiler der Glaube an Einen Gott ist, bahnte das Gefühl der Abhängigkeit und angebornen Schwache, wie die [64] Unbegreiflichkeit der Wege des Schicksals: der Dämonologie, sichern Eingang. Denn Jehova's Thron umgeben sieben Engel. (Tob. 12,15.) Diese bilden seinen Staatsrath, sind aber auch die Vollstrecker seiner Befehle. Das unabänderliche Schicksal der Moslims steht unter der Leitung solcher Geister. Und während Jesus durch einen Ausspruch (Matth. 18,10.) die Lehre von den Engeln, als der Schutzgeister begründete, welche Christen gewordene Philosophen mehr ausbildeten, gab er auch zugleich Gelegenheit, in den widrigen Schicksalen, welche den kurzsichtigen Sterblichen heimsuchten, die gewaltige Einwirkung böser Geister zu erkennen, und das Einwirken der bösen Geister (Dämonen) dem der guten (Engel) entgegen zu setzen. So wurden allmälig alle heidnischen und jüdischen Ansichten von bösen Geistern in die christliche Dogmatik eingeführt und eine förmliche Dämonologie (Lehre von den Dämonen) hervorgebildet.
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